Und ihren Arm ungezwungen in den Roses einhängend zog Carola diese fort nach dem Erdgeschoß, dabei unaufhörlich plaudernd. Unten traten sie in das große Speisezimmer in dem das Frühstück auf einem großen, runden Tisch angerichtet war, aber die Gesellschaft, für die es bestimmt war, ließ die Tee- und Kaffeemaschine ruhig summen und saß plaudernd bald hier, bald da.
»Fräulein Rose Eckhardt!« stellte Carola das junge Mädchen vor, auf das sich nun aller Augen richteten, aber das kleine Fräulein ließ dazu nicht viel Zeit; sie führte Rose vor einen Lehnsessel, in dem eine alte Dame saß. »Meine Tante, Frau van der Lohe,« sagte sie.
Man sah es der alten Dame an, daß sie einst sehr schön gewesen sein mußte, und sie war es auch heute noch trotz einiger scharfer Linien um den Mund, dessen Winkel tief herabgezogen waren. Sie war eine stattliche Erscheinung, groß und voll, und stolz saß der Kopf mit dem silberweißen, weichen Haar auf den Schultern. Ehe sie Rose langsam ihre etwas große, aber sehr schön geformte Hand reichte, hatte das junge Mädchen eine fast beleidigende Musterung ihrer kalten blauen Augen zu bestehen, dann sagte Frau van der Lohe nicht ohne ein gehöriges Teil Herablassung: »Ich freue mich, Sie zu sehen, Fräulein Eckhardt, hoffentlich werden Sie sich wohl auf Eichberg fühlen. Ich werde Ihr jugendliches Temperament keiner zu harten Geduldsprobe aussetzen, indem ich Sie viel an meine Person fessele.«
»Ich bin gar nicht so ungeduldig, gnädige Frau,« erwiderte Rose, »und will sicher nicht murren, wenn Sie selbst in der Nacht meiner Gesellschaft bedürften.«
»N–ein,« sagte Frau van der Lohe gedehnt, »ich möchte Sie mehr als Vorleserin in Anspruch nehmen. Meine Augen gestatten nicht mehr das viele Selbstlesen. – Aber warum tragen Sie solch dunkle Kleidung? Ich liebe, in meiner Umgebung helle Farben zu sehen.«
»Ich trauere um meinen Vater,« entgegnete Rose leise.
»Ah – so! Olga, du hattest mir nicht gesagt, daß Fräulein Eckhardt trauert!«
»Ich hatte nicht darauf geachtet,« entgegnete Frau von Willmer achselzuckend.
»Sehr unangenehm, in der Tat,« murmelte Frau van der Lohe recht deutlich.
Olga zuckte nochmals mit den Achseln, Carola aber deutete auf Roses Haar.
»Nun, Tantchen, für die dunkle Farbe von Fräulein Eckhardts Kleidern entschädigt uns wohl reichlich diese helle, goldige Pracht,« meinte sie.
»So ist's,« rief einer der anwesenden Herren, indem er sich vor Rose verbeugte:
»Goldig wallt dir vom Nacken der Haare leichtwellige Fluten,
Lieblich erfreuend den Laien, den Künstler begeisternd zur Tat.«
»Mein Name ist Theophil von Sonnenberg,« setzte er, seine strohfarbene Mähne schüttelnd, hinzu.
»Welchen Künstler meinen Sie?« fragte Carola spöttisch, »wohl den Haarkünstler?«
»O, o,« sagte Sonnenberg tadelnd, »Fräulein Eckhardt wird es wissen, daß ich den Künstler meine,
Der da berufen ist, das auf die Leinwand zu bannen,
Was das Aug' erfreut und bildet den menschlichen Sinn.«
»Gut gebrüllt, Löwe,« spendete Carola lachend Beifall.
»Gut? Nun ja, aber dunkel war der Rede Sinn,« meinte ein älterer Herr lächelnd, Professor Körner, der berühmte Bildhauer. »Ich schließe mich übrigens Fräulein Carolas Meinung an,« fügte er freundlich hinzu, »Fräulein Eckhardts Haar paßt gut zu der dunklen Kleidung, wenn auch dieser Effekt leider eine so schmerzliche Ursache hat.«
»Sie müssen mir zu einem Bilde sitzen, Fräulein Eckhardt, ich bin nämlich Maler,« rief Theophil von Sonnenberg. »Zum Beispiel als Lorelei auf hohem Felsen, zu Füßen den Schiffer im kleinen Schiffe.«
»Nein, lieber Sonnenberg, Fräulein Eckhardt ist doch nicht das Modell zu einer Lorelei, das Haar allein macht's noch nicht,« fiel der Professor ein, »ich möchte in Fräulein Eckhardt lieber eine jener deutschen Mädchengestalten sehen,
die uns näher stehen, zum Beispiel Gretchen, Thusnelda oder –«
»Was seid ihr Künstler doch für drollige Menschen,« lachte Frau von Willmer laut auf. »Fräulein Eckhardt wird sich wundern über das Aufheben, das man von ihrem Haar macht. Nicht wahr?«
»Die Herren sind sehr gütig, ihm eine Beachtung zu schenken, die es wahrscheinlich gar nicht verdient,« sagte Rose verwirrt.
»Es ist eben ein Glück, daß der Geschmack verschieden ist,« meinte Olga von Willmer.
Carola sah erst ihre Kusine und dann Rose an, die nicht wußte, ob sie lachen oder sich verletzt fühlen sollte. Zum Glück für die etwas peinlich gewordene Stimmung trat eben Herr van der Lohe in Begleitung des Barons Hahn und eines anderen Herrn ein; dessen etwas auffallende Kleidung und schwarze, lange, krause Mähne sollten ihn wahrscheinlich als »Künstler« kennzeichnen, – es war Herr Leßwitz, der Klaviervirtuos. Van der Lohe küßte seiner Mutter die Hand und verbeugte sich gegen die anderen; Carola stellte ihm Rose förmlich vor, und kein Wort, kein Blick verriet, daß er sie schon kannte. Rose wollte ihn im ersten Antrieb an ihre gestrige Begegnung erinnern, aber sein fremder, kalter Blick hielt ihr das Wort auf den Lippen zurück, und sie erwiderte seine förmliche Verbeugung in gleicher Weise.
»Du hast uns lange warten lassen, Jo,« bemerkte Frau van der Lohe etwas ungnädig.
»Ich denke, es war abgemacht, daß die Herrschaften den Kaffee ohne mich nehmen,« erwiderte er harmlos.
»Allerdings, aber Olga meinte –«
»Olga? Ja, was hat denn Olga damit zu tun?« fragte Herr van der Lohe verwundert.
Frau von Willmer trat an den Frühstückstisch, an dem ihr Vetter mit den anderen Platz genommen, und reichte ihm eine Tasse Kaffee.
»Es ist mir immer, als sei ich ganz und gar allein, wenn du nicht da bist,« flüsterte sie ihm dabei zu.
»So? Nun, ich dächte, du hättest dich nachgerade an dieses Alleinsein gewöhnen können,« sagte er trocken.
Olga seufzte, während sie heldenmütig den in ihr aufsteigenden Ärger über diese Abweisung zu bekämpfen versuchte. Aufblickend begegnete ihr Auge dem des Barons Hahn, der ihr mit liebenswürdigem Lächeln zurief: »Ihre Hand zittert, gnädige Frau – sollten Sie sich gestern abend doch erkältet haben? Vertrauen Sie die Bedienung unseres verehrten Wirtes lieber anderen Händen an, der Kaffee könnte sonst Ihrem weißen Kleide gefährlich werden.«
»Wahrhaftig, es wäre schade darum,« sagte van der Lohe ernsthaft und fügte zu Rose gewendet hinzu, als er sah, daß ihr Haar immer noch von Herrn von Sonnenberg mit Kennerblicken gemustert wurde: »Nehmen Sie sich in acht, Fräulein Eckhardt, unser Apelles scheint Lust zu haben, Sie auf der Leinwand zu verewigen. Verleiten Sie den armen Menschen zu keiner neuen Sünde an der Kunst! – Um Gottes Willen keine Rede, Sonnenberg! Sie sind ein vortrefflicher Mensch, solange Sie nicht malen.«
»Glauben Sie kein Wort davon, gnädiges Fräulein,« rief der Angegriffene. »Van der Lohe neckt mich bloß. Aber ich habe einen Gedanken, der mich berühmt machen wird. Ich werde ein Bild malen: die beiden Leonoren. Frau von Willmer als Leonore d'Este und Sie als Leonore Sanvitali. Denken Sie sich die Gegensätze, Professor,
»Dunkel die eine, mit nachtschwarzen Auges Gefunkel,
Glühend und herrlich, die andere blond, schön wie ein Traum!«
»Ihre Versfüße hinken, Sonnenberg,« sagte van der Lohe ruhig.
»Jo, du greifst unseren Apelles in seinen heiligsten Gefühlen an, wenn du seine Verse anzweifelst,« lachte Carola, und Professor Körner meinte