»Gott bewahre, – damit wäre ich vorweg schon durchgefallen,« seufzte Rose entsetzt, indem sie gewandt die Treppe hinabeilte und bald am Seeufer stand.
»Gute Nacht!« rief sie zurück.
»Darf ich Sie nicht begleiten? Oder sind Sie Ihres Weges sicher?«
»Ich denke wohl. Dort sehe ich überdies schon den steinernen Oberon, ich kann also nicht fehlen. Also gute Nacht nochmals!«
Und sich leicht verbeugend, eilte sie von dannen.
Johann van der Lohe lehnte sich an den Stamm einer Eiche und sah ihr nach, bis sie auf den hellen, mondbeleuchteten Platz mit dem Springbrunnen trat, dort sich bückend einen Heliotropstengel brach und im Hause verschwand.
»Hm!« sagte er nach einer Weile, »sie ist natürlich wie alle anderen: hübsch, gefallsüchtig, oberflächlich – was weiß ich?«
Damit ging er dem Hause zu, aus dessen geöffneten Fenstern im Erdgeschoß soeben Wagners Walkürenritt, von Meisterhand gespielt, dahinbrauste.
»Eine Walküre könnte das blonde Mädchen nicht sein,« dachte er, »eher eine Elsa oder eine der luftigen Rheintöchter – nun, Sonnenberg wird schon wissen, in welcher Gestalt sie auf die Leinwand zu klexen ist.«
Mit diesem Gedanken, der ihn lachen machte, trat er in das Haus und vermied dadurch eben noch eine Begegnung mit Frau von Willmer, die aus dem Musikzimmer auf der davorliegenden Terrasse erschien. Sie schritt die Treppe hinab, und ihr seidenes Kleid in die Höhe nehmend, um die zarte Farbe nicht vom Tau des Rasens beflecken zu lassen, schlenderte sie langsam der Lindenallee zu, die nach dem See führte.
Kurz darauf verließ auch ein Herr das Zimmer, ein leichtes Tuch auf dem Arm, und eilte der schönen Witwe nach. Er war von mittlerer Größe, hatte leichte und elegante Bewegungen und war im übrigen, was man gemeinhin einen hübschen Menschen nennt. Bald hatte er die langsam Dahinschreitende erreicht, die sich halb nach ihm umdrehte und ihn fragend ansah.
»Sie werden sich erkälten, Olga,« sagte er, ihr das Tuch reichend, »man darf dieser trügerischen Mailuft noch nicht trauen.«
»Um mir das zu sagen, folgen Sie mir, Baron von Hahn?« fragte sie scharf.
»Mein Gott, Ihre Gesundheit liegt mir am Herzen –«
»Wirklich?« fiel sie ihm spöttisch ins Wort.
»Sie kränken mich durch Ihre Zweifel, Olga!«
»Herr Baron, wer gibt Ihnen das Recht, mich mit Vornamen zu nennen? »
»Ach, Sie sind wirklich ein Madonnenbild ohne Gnade!« seufzte er geziert. »Ist das der Lohn für meine Hingebung?«
»Aber ich bitte Sie, das ist doch Ihr Privatvergnügen! Hingebung!« Olga lachte, aber es klang etwas gezwungen.
»Sie spielen mit mir, meine Gnädigste,« entgegnete Hahn, nun auch etwas gereizt.
»Was Sie sich nicht einbilden! – Warum sind Sie denn eigentlich hier?«
»Weil Herr van der Lohe, oder besser gesagt, seine Mutter mich eingeladen hat.«
»Muß man jeder Einladung Folge leisten?«
»Ich habe es aber getan, um Sie hier zu treffen.«
»Nun, und was ist des Pudels Kern?«
Baron Hahn trat etwas näher.
»Warum verlangen Sie noch eine Erklärung? Sie wissen es ohne meine Bestätigung, daß ich Ihretwegen nach Eichberg kam. Sie können es doch nicht vergessen haben wie oft ich Ihnen meine Liebe erklärte. Nun habe ich doch ein Recht zu fragen: warum geben Sie mir keinen bestimmten Bescheid, warum lassen Sie mich immer im ungewissen über Ihre Gefühle?«
Frau von Willmer antwortete nicht gleich, – sie überlegte. »Lassen Sie uns morgen darüber sprechen,« sagte sie endlich.
»Wirklich, morgen?« entgegnete er nicht ohne Hohn. »Morgen würden Sie mich auf übermorgen vertrösten, und so weiter. Ich kenne dies ›Sprechen wir morgen davon‹ nun seit einem Jahre. Warum soll ich nun wieder auf dieses ewige ›morgen‹ warten?«
Olga biß sich auf die Lippen. Dann atmete sie rasch auf und sagte entschlossen: »Nun wohlan, so sprechen wir heute! Ja, ich kenne das alte Lied; es hatte, scheint mir, den Inhalt, daß Sie mir Ihre Hand antrugen. Ist's nicht so?«
»Ich sehe, Sie vergessen nicht so schnell, wie ich dachte.«
»Nicht wahr? Nun also: warum wollen Sie mich heiraten? Ein jeder Mensch hat doch Gründe für seine Handlungen!«
»Den meinigen habe ich doch so oft schon wiederholt. Aber wie Sie wollen: Ich liebe Sie. Ist das kein Grund?«
»O ja. Aber er ist nicht der richtige.«
»Nun erlauben Sie –«
»Ich kenne den wahren Grund Ihres Antrages. Sie halten mich für reich, und weil Sie für Ihren Beruf eine ›gute Partie‹ brauchen –« sie hielt ein und zuckte mit den Achseln.
»Sie sind bewundernswert, Olga,« lachte der Baron etwas gezwungen. »Sie haben Anlage zum Dichten.«
»Widersprechen Sie doch, wenn Sie können,« sagte Frau von Willmer kühl, »ich will Ihnen aber reinen Wein einschenken. Also, ich bin von Hause aus arm, die Stahlecks haben alles in einem Prozeß verloren. Mein verstorbener Mann hatte ein kleines Vermögen, das er mir hinterließ, aber die Zinsen davon genügten mir nicht, ich griff das Kapital an und habe dieses in den vier Jahren meines Witwenstandes – verbraucht. Ich bin so arm wie zuvor. Jetzt wissen Sie alles, und wenn Sie trotzdem bei Ihrer Bewerbung beharren, dann will ich glauben, daß Ihr einziger Beweggrund wirklich die Liebe war.«
»Mein Gott, Olga, wie können Sie nur denken, daß –«
»Ich will jetzt nichts weiter hören, – überlegen Sie sich's, Baron! Und jetzt lassen Sie mich hübsch allein.«
Damit drehte sie um und kehrte in das Zimmer zurück, in dem immer noch rauschende Flügelmusik erbrauste.
Baron Hahn aber fand es für gut, die vorher geschmähte Mailuft selbst zu genießen.
»Uff,« machte er, sich mit dem Taschentuch die Stirn wischend, »das war hart! Wer hätte gedacht, daß diese Frau so verschwenderisch wäre! Gott sei Dank, daß ich sie zum Reden zwang! Nun weiß man doch, wie, wo, und so weiter! Jetzt wird man erst tun, als setzte man seine Bewerbungen fort, dann wird man allmählich kühler, und zuletzt zieht man sich mit Grazie aus der Schlinge. Wozu wäre man Diplomat?«
Nach zehn Minuten trat Baron Hahn wieder in das Musikzimmer ein, und selbst der Neid hätte ihm nicht nachsagen können, daß es ohne »Grazie« geschah.
Indes schlummerte oben das Heideröslein, eingewiegt von den gedämpften Klängen des »Walkürenrittes«.
Ihr träumte, der steinerne Oberon mit dem goldenen Horn stände neben ihr und bliese einen wundervollen Hochzeitsmarsch, und sie selbst schwebte, umflattert von des Elfenkönigs Gefolge, über den spiegelglatten See. Und dann träumte ihr von einem hohen, mächtigen Eichenstamm, um den sich ein wildes Röslein rankte, und dann kam ein Sturm, so entsetzlich und grausig, daß er die stärksten Bäume biegen und brechen machte. Nur die Eiche brach nicht, die hielt stark und fest das Heideröslein, aber sie konnte nicht hindern, daß es arg zerzaust wurde. Dann aber wurde es wieder licht, der Sturm war vorbei, und wonniger Hauch umspielte das gerettete Röslein, das sich aus Dankbarkeit um so fester an den starken Eichenstamm schmiegte.
Sah ein Knab' ein Röslein stehn,
Röslein auf der Heiden.
Goethe
Der folgende Tag war ebenso sonnenhell und schön wie der vorige gewesen war. Rose atmete entzückt die herrliche Luft ein, nachdem sie sich fertig gemacht hatte, um sich Frau van der Lohe vorzustellen, aber es kam doch etwas wie ein leichtes Herzklopfen über sie, als sie