Dies sind die Menschen, denen Sie im Hause begegnen werden, doch auch Tiere spielen hier eine Rolle. Da ist zunächst Jos prächtige Ulmer Dogge, Lord genannt, und dann ein großer schwarzer Kater, den ich in dankbarer Erinnerung an den ›Trompeter von Säckingen‹ Hiddigeigei benamset habe. Lord und Hiddigeigei leben nicht wie ›Hund und Katze‹, sondern haben innige Freundschaft geschlossen. Beide genießen hier ein hohes Ansehen und haben Sitz und Stimme.
Nach diesen plastischen Schilderungen werden Sie ein schwaches Bild von den Bewohnern von Eichberg erhalten haben, das heißt mit meiner Auffassung. Bilden Sie sich immerhin Ihre eigene, aber ich bin überzeugt, daß Sie mir beistimmen werden. Doch es ist beinahe finster geworden, und Sie werden schlafen wollen. Ruhen Sie also aus und vergessen Sie nicht, sich Ihren Traum zu merken, denn Sie wissen, daß der Traum, den man in der ersten Nacht unter fremdem Dach träumt, in Erfüllung geht. Gute Nacht, Lorelei!«
Und ehe es Rose sich versah, war Carola van der Lohe hinausgeschlüpft, so schnell wie sie gekommen war. Rose war wirklich müde, aber sie hätte jetzt um kein Wunder zu Bett gehen können, sie mußte erst das Gehörte überdenken, und so trat sie denn, als sie allein war, an das offene Fenster. Der Mond war aufgegangen und goß sein Märchenlicht lieblich auf Park und See aus, und als Rose hinausschaute in die wunderschöne Mainacht, da war's ihr, als raunte ihr der Oberon in dem Springbrunnen leise zu: »Komm herab, verlaß die dumpfe Stube.« Da litt es das Kind des Waldes nicht länger in dem Zimmer, und ihrer Eingebung folgend, schlüpfte sie hinaus und entdeckte zum guten Glücke eine kleine Treppe dicht an ihrer Tür, die für die Dienerschaft bestimmt war und ins Freie führte.
Rose atmete hoch auf, als sie drunten im Garten stand, und schnell huschte sie hinein in den Schatten der Bäume, denn sie kannte nicht das leise Grauen der Stadtleute, das sie überrieselt, wenn sie nachts allein durch den Wald gehen müssen und die Wipfel über ihnen raunen und flüstern und das Schilf und die Binsen am Teich gespenstisch herübernicken. Das Heideröslein eilte furchtlos durch dichte Bosketts und schattige Laubgänge, bis sie den See erreicht hatte, den sie sich zum Ziel ausersehen Nun lag sie vor ihr, die schimmernde Fläche, hell und spiegelglatt, nur wo Bäume ihre Äste weit über das Ufer neigten, da sah das Wasser tiefschwarz und unheimlich aus, wenn auch weiße Wasserrosen wie Sterne darauf blühten. Der See hatte einen ziemlich großen Umfang, was Rose von ihrem Fenster aus nicht feststellen konnte, wie auch eine dichte Baumgruppe ihr die Aussicht auf ein Gebäude verdeckt hatte, das sie, am Ufer entlangschreitend, erst jetzt entdeckte.
Es war eine Ruine, jedenfalls ursprünglich ein Kloster, wie ein noch erhaltener Kreuzgang, um dessen Säulen sich Efeu und wilde Rosen rankten, bewies. Inmitten des Kreuzganges entdeckte Rose einen Hof, aus dessen Steinplatten das Gras hervorwuchs, und das sich sogar zwischen den Ritzen des eingetrockneten Brunnens eingenistet hatte. Das Mondlicht schien gespenstisch hinein, und Rose überlief ein Schauer: wessen Füße mochten dort gewandelt sein? Jetzt war's der Tod, der hier wohnte.
Indem sie die Ruine verlassen wollte, entdeckte sie eine schmale Wendeltreppe in dem Dunkel einer Ecke, und ohne sich zu besinnen, stieg sie diese empor und befand sich vor einer Tür, die sich ohne weiteres öffnete und in ein achteckiges, gut erhaltenes und sogar möbliertes Gemach führte. Der Mond schien hell genug durch das Fenster und eine Glastür hinein, um alles deutlich erkennen zu lassen, Bücherregale und Simse, auf denen fremdartig geformte, alte Gefäße standen; ein eichener Tisch mit gedrehten Beinen stand vor der tiefen Fensternische, ein lederbezogener Sessel daneben, als ob der gespenstische Bewohner dieses Gemachs es soeben erst verlassen hätte. Die Glastür war offen, und Rose trat hinaus auf eine Art von Söller, eine Plattform mit steinernem Geländer, von der schlüpfrige, bröckelnde Stufen bis hinab in den See führten.
Rose setzte sich auf die oberste Treppenstufe und blickte wie verzaubert hinaus auf den glitzernden See, und all die Märchen der Kinderzeit, die die alte Dore ihr erzählt, kamen ihr in den Sinn, ahnungslos, daß sie selbst einer Märchengestalt glich, wie sie hier auf dem Söller der mondbeleuchteten Ruine mit dem wallenden Goldhaar saß.
So tief war sie in ihre Träumerei versunken, daß sie nicht hörte, wie ein leichter Schritt die Treppe heraufkam und dann in das achteckige Gemach trat. Plötzlich rollte ein Schuttstückchen die Treppe herab; sie fuhr empor und sah sich um – in der offenen Tür stand die Gestalt eines Mannes und betrachtete erstaunt den Eindringling. Rose sprang empor – sie war heftig erschrocken.
Nach einer flüchtigen Pause trat der Herr aus dem Schatten hervor, lüftete den Hut und machte eine ironische Verbeugung.
»Ich vermute ein menschliches Wesen vor mir zu sehen,« sagte er leicht, »oder sollten Sie zu den luftigen Wesen gehören, die hier umgehen sollen?«
Seine ruhige Stimme gab Rose die Sicherheit zurück.
»Seh' ich denn gar so luftig aus?« fragte sie mit unwillkürlichem Lächeln.
»Wie kommen Sie hierher, wenn ich fragen darf?« sagte er scharf.
»Mich litt es nicht in der Stube,« erwiderte Rose, etwas betreten.
»Ah – und mit wem habe ich das Vergnügen?«
Rose warf die glänzenden Haare in den Nacken.
»Sie haben wohl ein Recht, meine Vorstellung zu erwarten?«
»Vermutlich, denn ich bin Johann van der Lohe.«
»Und ich Rose Eckhardt, die Gesellschafterin Ihrer Mutter.«
»Ah –« er lüftete nochmals den Hut und fügte dann etwas spöttisch hinzu: »Sie haben also topographische Studien gemacht – im Mondschein!«
Rose errötete. »Ich sagte Ihnen schon, Herr van der Lohe, daß es mich nicht in der Stube litt – ich mußte etwas frische Luft haben nach der heißen Reise. Daß ich, verführt von der unerwarteten Romantik dieses Ortes, bis hierher vordrang, bitte ich, mir zu verzeihen. Ich glaubte die Ruine unbewohnt.«
»Und Sie hatten keine Furcht, dies alte, einsame Eulennest zu betreten? Junge Damen pflegen sonst so großen Mut nicht zu entwickeln. Es soll hier ›umgehen‹.«
»Die Unheimlichen haben über mich keine Gewalt,« sagte Rose lächelnd, »denn ich bin ein Sonntagskind.«
»Ah so – Sie Glückliche! Das hab' ich mir immer gewünscht zu sein,« erwiderte van der Lohe leicht. »Sonntagskinder sollen ja die Sprache der Tiere verstehen und noch manch anderes.«
»Gewiß,« bestätigte Rose ernsthaft. »Aber dazu braucht man kein Sonntagskind zu sein! Wenn man, wie ich, in der freien Natur aufgewachsen ist, lernt man leicht ihre Sprache verstehen. Mein Vater sagte, man lernt im Walde ganz von selbst, wie und was er redet, wenn man nur Ohren hat, um zu hören. – Aber jetzt muß ich doch wieder zurück ins Haus, sonst komme ich hier in den Ruf einer Nachtwandlerin.«
Van der Lohe trat sofort zur Seite und folgte Rose dann in das Achteck.
»Wenn Sie sich für alte Bücher in Schweinsleder interessieren, Fräulein Eckhardt,« sagte er dabei, »so können Sie hier reiche Beute finden. Ich selbst stöbere gern in alten verstaubten Regalen zur Erholung herum.«
»Ich fürchte, Sie haben einen