Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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schon vorwitzig ihre schwellenden Knospen oder wohl gar kleine, neue, lichtgrüne Blättchen zeigten. Und so wehte des Winters letzter Gruß stöhnend durch den weiten, dichten Forst und heulte klagend um die festen, alten Mauern des Forsthauses am Saume des Waldes.

      Drinnen aber im warmen, behaglichen Zimmer lag der alte Oberförster Freiherr von Fels zurückgelehnt in seinem großen Lehnstuhl, schwer und tief atmend, und am Fenster, die Stirn an die kühlen Scheiben gedrückt, stand sein einziges Kind, seine Rose, das »Heideröslein«, wie er sie gern nannte, und horchte hinaus in den wilden Sturm.

      »Wie das tobt und rauscht,« hatte sie vorhin zu der alten Wirtschafterin gesagt, »weißt du, Dore, das klingt wie das Flügelrauschen des Todesengels, der ums Forsthaus fliegt!« Und sie hatte recht – es mochte der Todesengel sein, denn der starke, kräftige Oberförster lag im Sterben. Der Sturm knickt eisenfeste Bäume, und der Ewige droben brach durch seinen Willen die unverwüstliche Lebenskraft und Gesundheit dieses Mannes. Seit Stunden hatte ihn ein tiefer, schwerer Schlaf übermannt, und Rose wartete mit ängstlicher Sorge auf das endliche Erwachen.

      »Der Schlaf tut nimmer gut,« hatte die alte Dore kopfschüttelnd gesagt.

      »Heideröslein« stand am Fenster, und es legte sich immer schwerer und banger auf ihr junges, frohes Herz. Der erste Schmerz, die erste Sorge sollte sie treffen, denn als die Mutter starb, war sie noch zu jung gewesen, um es recht zu fühlen, kaum, daß sie damals verstand, was man ihr sagte. In dem alten Forsthause hatte sie ihre Kindheit, ihre Jugend verlebt, frei wie ein Vogel war sie in Wald und Heide aufgewachsen, sie kannte jeden Baum, jeden Strauch, jeden Vogel im Revier, und die Rehe kamen zutraulich, ihr die Leckerbissen aus der Hand zu nehmen. Und neben diesem freien Emporblühen und Wachsen legten treffliche Lehrer den Grund gediegener Bildung in das leicht empfängliche Gemüt des Mädchens, dessen geweckter Verstand alle Schwierigkeiten des Lernens spielend überwand.

      So war sie denn aufgewachsen, kräftig, schön und blühend in der frischen Waldluft. Ihre Gespielen waren die Tiere des Forstes, sie war höchstens bis in die nächste Stadt gekommen, und die Nachbarfamilie drüben auf dem Lande hatte keine Kinder. Rose hatte zwar viel mit ihr verkehrt und war ein stets gern gesehener Gast auf Hochfelden, denn sie fühlte sich sehr zu der sanften, leidenden Gutsherrin hingezogen, aber eine Gespielin konnte ihr die bedeutend ältere, stets an ihren Rollsessel gefesselte Frau nicht sein.

      Der Oberförster liebte sein Kind und war stolz auf sie. Es war ihm freilich mitunter der Gedanke gekommen, was aus ihm werden sollte, wenn sich eines schönen Tages ein Märchenprinz durch den dichten Wald arbeitete, um Rose im Sturm davonzuführen, wie weiland Dornröschen. Aber der Gedanke war ihm nie gekommen, daß ihm einst das große Halali geblasen werden würde und er seinen Liebling allein zurücklassen müßte, denn im Bewußtsein seiner strotzenden Kraft dachte er nicht an einen Zusammenbruch, bis vor einer Woche plötzlich eine Schwäche über den Riesen kam und eine höhere Macht ihm die Flinte aus der Hand nahm. Und das an dem Tage, da ein besonders gnädiges königliches Schreiben ihn zum Forstmeister ernannte. Das hatte den Freiherrn recht wehmütig gestimmt, und zum ersten Male dachte er daran, was aus seinem Heideröslein ohne ihn werden sollte. In den ersten Stunden seiner Krankheit waren ihm trübe Gedanken durch den Kopf gezogen; es fiel ihm ein, daß die Welt schlecht und sein Kind jung sei, erst achtzehn Jahre alt, und am Ende gar noch hübsch – wahrhaftig, er hatte gar nicht gewußt, daß sie hübsch war; er wünschte nun fast, sie möchte häßlich sein in dieser nichtsnutzigen Welt, die doch auch wieder so schön ist. Verstohlen prüfte er Roses Züge und Gestalt – er fand, trotzdem er es nicht recht glauben wollte, daß ihr Wuchs vollkommen und dabei leicht und biegsam wie eine junge Tanne war, und was ihre Züge anbetraf, so mußte er sich stolz und doch wieder staunend gestehen, daß sie regelmäßig und wunderlieblich waren: die schöne, weiße Stirn mit der Fülle rötlichgoldblonder krauser Löckchen darüber, die feine, gerade Nase mit den schön gezeichneten Nüstern, der rosige, leicht aufgeworfene Mund, die zarten, pfirsichfarbenen Wangen mit den Grübchen, endlich die sonnigen Augen von solch lichtem Braun, daß es goldig aussah, und darüber die feinen, dunklen Brauen.

      Wenn man an etwas gewöhnt ist, fällt es einem nicht mehr auf, darum hatte der Oberförster auch gar nicht gewußt, daß Rose so hübsch war. Tagtäglich nahm er sich vor, mit ihr über die Zukunft zu sprechen, und tagtäglich schob er es wieder auf – er mochte wohl nicht glauben, daß es wirklich zu Ende gehen sollte. Heute, während der Sturm um das Forsthaus heulte, träumte der Kranke irre, wirre Träume durcheinander, und als er endlich erwachend die fieberhaft glänzenden Augen aufschlug und Rose herbeieilte, ihm das Kissen unterm Kopfe gerade zu rücken und sein sonnverbranntes, wettergefurchtes Antlitz zu küssen, da seufzte er tief auf.

      »Jetzt ist's bald aus, Heideröslein,« sagte er matt, »der da droben hat das Halali geblasen, und da muß ich schon kommen, mag ich wollen oder nicht!«

      »Aber Papa, lieber, lieber Papa,« flüsterte Rose erstickt.

      »Ja, ja, 's ist bitter für dich, armes Kind,« entgegnete er, »um allein zu stehen in der Welt, bist du eigentlich noch viel zu jung, – brr, wie das draußen heult und stöhnt! Der Sturm wird mich mitnehmen von hier. Na, schade ist's nicht um mich alten morschen Stamm, aber was machst du ohne Stütze, junges Bäumlein? Armes Heideröslein, mir wird das Scheiden von dir recht schwer! Mir bangt um deine Zukunft. Aber ich denke, du hast meinen Charakter geerbt, und da weiß man wenigstens, was man will – gut, gut! Konnte diese anschmiegenden Efeucharaktere mein Leblang nicht leiden, mögen recht gut sein fürs Haus, taugen aber in der Welt gar nichts. Ja, was wollte ich gleich sagen, Heideröslein?«

      »Ruh' dich doch aus,« bat Rose.

      »Ruhen? Werde bald für immer ruhen, Kind! Nein, heut muß ich reden, sonst wird's zu spät – meine Frist ist abgelaufen. Der Sturm draußen, das ist nach altem Jägerglauben der Todesengel, der mit den Flügeln rauscht, und gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen, wenn auch die alte Dore meint, mir mit ihren greulichen Tees wieder aufhelfen zu können. Sag', Heideröslein, was wirst du tun ohne mich – ich lasse dich arm und verwaist zurück, allein auf dieser großen, öden Welt!«

      Rose war unfähig, zu antworten. Mit überströmenden Augen kniete sie neben dem Sterbenden nieder und lehnte sich auf seinen Arm.

      »Na, weine nicht, Kind,« sagte er, »geschieden muß einmal sein, und leicht wird's mir, weiß Gott, nicht! Aber der da droben wird dich schützen, und ich will über dir wachen. Nimm dich in acht, Heideröslein, auf deiner Wanderung durchs Leben, du bist jung, unerfahren und hübsch! – Aber sie wird nicht verderben und untergehen,« setzte er leise hinzu, »denn sie hat meinen Charakter.«

      Es war eine Weile still in dem Gemach, dann hob der Freiherr wieder an: »Ich hinterlasse dir nichts, Kind, aber du hast dein Kapital im Kopf und Herzen. Ich mag freilich schlecht gewirtschaftet haben, nun, auf das Geldzusammenscharren hab' ich mich mein Lebtag nicht verstanden. Sei du die Erbin meiner Liebe, der Liebe überhaupt, kleine Rose! Ich, ich habe nichts geerbt als Haß. Deine Mutter war ein gutes Geschöpf, aber geliebt habe ich sie nicht so, wie ich gesollt hätte. Du hast ja von Romeo und Julia gelesen; nun, ehe ich deine Mutter heiratete, hatte auch ich meine Julia, aber ein alter Streit trennte unsere Häuser, und an meines Vaters Sterbebett mußte ich schwören, diesem Mädchen zu entsagen – ich wurde der Erbe seines Hasses! Sei du also die Erbin der Liebe, Rose, und wenn du ihr einst begegnest, meiner Julia, dann vergelte ihr durch Liebe das Böse, das Herzeleid, das ich ihr zufügen mußte. Liebe und Vergebung ist edler und vornehmer als Rache und Haß – aber freilich, das Herz läßt sich nicht zwingen.«

      »Wer ist sie, wie heißt sie, lieber Vater?« fragte Rose. Aber der Freiherr war in sein Kissen zurückgesunken, seine Augen sahen stier und verglast vor sich hin.

      »Ihr Name –« stammelte er, »sag' ihr – ich hätte sie – ewig geliebt! –Sag' ihr – Rose, Heideröslein – es ist – aus – behüt' – dich Gott!«

      Er fiel zurück. Rose warf sich über ihn, angstvoll seinen Namen rufend, und dazu klirrte und rasselte der Sturm an den Scheiben.

      Der Freiherr wandte seine Augen seinem Kinde zu, ein Lächeln irrte über seine Lippen, und mit erlöschender Stimme sagte er nur ein Wort noch: »Heideröslein!«

      Dann