Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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des Grafen Erlenstein, den Iris noch in der Hand hielt, Aufklärung über diese wunderbare Erbschaft? Wahrscheinlich wohl! Diese Reflexion leitete Sigrids Blick zum erstenmal auf ihre Schwester, und jetzt erst bemerkte sie deren seltsame Starrheit im Blick, deren Regungslosigkeit –

      Und nun kam eine Versuchung über Sigrid. Wie, wenn sie diese Hinneigung zu einem seelisch paralytischen Zustand benützte und, wie damals in Florenz, ihre Macht, zu hypnotisieren, erprobte! Iris würde dann wieder auf die ihr vorgelegten Fragen antworten und den Zusammenhang der auf dem Tisch ausgebreiteten Gegenstände erklären können. Aber freilich, wenn Marcell davon erführe – sie hatte ihm ja doch versprochen – Gott bewahre, gar nichts hatte sie ihm versprochen! Er hatte ihr mit seinem Zorne gedroht, weiter nichts. Was brauchte er davon zu erfahren? Er war sicherlich jetzt ausgeritten.

      Und Sigrid erlag der Versuchung. Sie heftete den Blick ihrer großen, kalten Augen auf Iris, diese Augen, deren helle Umrahmung den Blick noch kälter, fast drohend erscheinen ließ. Iris fühlte die Augen auf sich gerichtet – mühsam erhob sie den eigenen Blick zu dem der Schwester empor, und nun da die zwei Paar Augen sich kreuzten, konzentrierte Sigrid ihre ganze Willenskraft auf den Wunsch, Iris in einen hypnotischen Schlaf zu versetzen. Die zunehmende Starrheit der Züge der jungen Frau belehrte Sigrid, daß ihr Wunsch erreicht sei, und da sie sich der Handbewegungen, die der Cavaliere angewendet, nicht genau erinnerte, so sagte sie laut und befehlend und den Blick fest in das blasse Antlitz vor sich bohrend: »Schlafe!«

      Da lehnte Iris das Haupt rückwärts gegen die Lehne des Sessels und die Augenlider fielen ihr schwer herab.

      »Schläfst du?« fragte Sigrid.

      »Ich schlafe«, war die mit leicht veränderter Stimme gegebene Antwort. Aber dies genügte Sigrid nicht. Sie zog eine Stecknadel aus ihrem Kleide und stach damit leicht Iris in die Hand.

      »Fühlst du das?«

      »Ja. Eine Nadel.«

      »Du sollst nichts fühlen, gar nichts. Ich verbiete es dir. Hast du mich verstanden?«

      »Ja.«

      Nun stach Sigrid von neuem, diesmal aber so stark, daß ein roter Blutstropfen auf Iris' weiße Haut trat.

      »Fühlst du etwas?«

      »Nein«, war die lächelnde Erwiderung, und in der Tat hatte Iris bei dem schmerzhaften Stich nicht gezuckt.

      »So sage mir den Inhalt des Briefes, den du in der Hand hältst«, befahl Sigrid.

      Auf dem lieblichen Gesichte der jungen Frau malte sich jetzt deutlich die Anstrengung, deren ihr Geist sich unter dem fremden Willen unterwerfen mußte. Sie bewegte den Kopf unruhig hin und her, ihre Brauen zogen sich schmerzlich zusammen, ihre Farbe wurde noch bleicher.

      »Ich kann nicht«, murmelte sie.

      »Du mußt«, befahl Sigrid hart. »Lies!«

      Wieder begann das schmerzliche Mienenspiel, dann aber begann Iris den Brief, den ihr physisches Auge noch nicht gesehen, langsam und deutlich herzusagen: »Diese Zeilen, mein liebes Kind, sollen nur den Schlüssel zu der schwarzen Samttruhe umschließen, die Dir nach meinem Heimgange als Dein Eigentum übergeben werden wird. Ihr Inhalt ist ein Vermächtnis, das ich gern vor meinem Tode zerstört hätte, da es hoffentlich für Dich immer bedeutungslos bleiben wird. Aber ich habe mich zu solch einem eigenmächtigen Schritt nicht für berechtigt gehalten. Ich gebe Dir, meine Iris, den Rat eines Vaters und Freundes, den Inhalt der schwarzen Truhe zu vernichten, bevor Du ihn gesehen. Er würde Dich zunächst enttäuschen, dann aber befremden, und da er, wie gesagt, wahrscheinlich stets bedeutungslos für Dich bleiben wird, so ist es besser, Du siehst die Dinge darin nicht.

      Gottes reichster Segen über Dich, meine Iris.

       Ludwig Graf von Erlenstein

       Rom, im November 1885

      Sigrid stand, nachdem Iris geendet, einen Moment sinnend da. Dann nahm sie den Brief aus den Händen der junge Frau, zog den vierfach gefalteten Bogen aus dem Umschlag und las den Inhalt. Derselbe stimmte Wort für Wort mit dem überein, was Iris eben hergesagt, und diese für Uneingeweihte fast unglaubliche, ganz märchenhafte Tatsache überwältigte Sigrid auch für den Moment so, daß etwas wie ein Gefühl von Furcht sie überschlich und ihr die Zähne zusammenschlugen vor Erregung. Aber sie war trotzdem nicht die Natur sich von dem Übernatürlichen beherrschen zu lassen – in ihr lag es, dasselbe rücksichtslos für sich auszunutzen. Sie steckte deshalb den Brief zurück in den Umschlag, legte ihn auf den Tisch und ergriff zunächst das Medaillon, das darauf lag.

      »Wessen Bildnis ist dieses?« fragte sie, nachdem sie die Kapsel in Iris' Hand gelegt.

      »Mein eigenes!« rief diese mit naiver Freude zu Sigrids Überraschung.

      »Wem hat das Bild gehört?« fragte sie weiter. Da wich das Lächeln von Iris' Zügen, und sie bewegte unruhig den Kopf hin und her.

      »Es ist so dunkel, ich kann nicht sehen«, stöhnte sie.

      »Du sollst sehen! Wem gehörte dieses Bild?«

      Peinlicher, schmerzlicher wurde der Kampf in den Zügen der jungen Frau, sie stöhnte wie in unerträglicher Qual, aber Sigrid hatte kein Erbarmen.

      »Sieh!« befahl sie hart.

      »Ich sehe«, murmelte Iris matt. »Das Bild gehört der Frau mit den blonden Haaren!«

      »Wie heißt die Frau?«

      »Ich weiß es nicht!«

      »Besinne dich! Ich will den Namen wissen!«

      Ein Laut wie ein Todesröcheln brach über den blassen Mund von Iris.

      »Ich kenne den Namen nicht –«, ächzte sie.

      Sigrid überlegte. Sie mußte mehr wissen –! Richtig, die Haare! Sie legte die flachsblonde Strähne über Iris' Hände.

      »Ihre Haare! Es sind ihre Haare!« flüsterte sie.

      »Ihr Name! Du sollst ihren Namen sagen.«

      »Ich kann nicht!« stöhnte Iris. »Sie schüttelt mit dem Kopfe – sie steht vor mir – ich soll den Namen nicht wissen. Erbarmen! Mitleid! Es ist unerträglich!«

      Sigrid nahm unwillkürlich die Haare vom Schoße ihrer Schwester und legte statt deren die welken Rosen in ihre Hände.

      »Rot! Rot!« schrie diese auf. »Rot von seinem und ihrem Blut! Die weißen Rosen sind gesühnt – gesühnt –«

      Mit schwer arbeitender Brust hielt sie ein, und Sigrid nahm nun auch das Spitzentuch und legte es statt der Rosen über Iris' Hände. Da begann die junge Frau wie in Konvulsionen zu zucken, ihr Atem ging schwerer und schwerer, die Brust begann zu röcheln – – –

      »Sprich! Wem gehörte dieses Tuch?« fragte Sigrid blaß, aber entschlossen.

      »Ihr! Sie trug es auf dem letzten Gange«, kam es erlöschend von Iris' Lippen.

      »Wer trug es? Der Name! Ich will den Namen wissen!«

      »Ja, ja, ja! Ich komme!« ächzte Iris und öffnete ihre Augen mit dem starren, blicklosen Blick, und dann stand sie auf, mit den Fingern krampfhaft das Tuch umfassend – sie machte zwei, drei Schritte seitwärts der Tür entgegen – da glitten Tuch und Medaillon aus ihren Händen, und mit einem dumpfen Schrei brach sie auf dem Boden zusammen.

      Nun ergriff Sigrid eine ungeheure Angst. Nach dem ersten Moment des Entsetzens kniete sie neben der Bewußtlosen nieder, hob ihren Kopf hinauf, daß er in ihrem Schoß lag, und rief ihren Namen: »Iris! Iris.«

      »Ich höre!« kam es leise von deren Lippen.

      »Wach auf! Erwache! Erwache! Erwache! Ich will es!« rief Sigrid mit vor Angst wild klopfendem Herzen. Aber sie mußte es noch zehn-, fünfzehn-, zwanzigmal rufen, in wachsender Angst und Agonie, die ihren Willen schwächte, ehe Iris einen tiefen Atemzug tat und langsam die Augen öffnete. Und gerade in diesem Augenblick tönten von außen her schnelle energische Schritte, und der Fürst trat in die Bibliothek.