»Signore Spini hat sich von dem Tage an, da wir ihn in Rom kennenlernten, wie ein Schatten an Sigrid geheftet«, sagte sie nachdenklich. »Sie hat ihn niemals ermutigt, im Gegenteil, aber ich hab's ihm angesehen, daß er nicht nachließ, sondern jäh seinem Ziele zustrebte. Es ist ihm nie im Traume eingefallen, sich um Saschas Liebe zu bemühen, und ich wette, er tut es heut so wenig wie damals. Warum also will sie mit ihm hier zusammenkommen? Ich bin keine nervöse Person, Marcell, aber ich muß gestehen, daß der Gedanke an dieses ›Warum‹ mich nervös machen könnte!«
Fürst Hochwald zündete sich sehr gelassen eine Zigarre an.
»Durch Olgas freundliche Vermittelung kann ich jetzt wohl kaum anders, als ihn einladen«, meinte er. »Wenn aber Sigrid meint, hier Katze und Maus mit ihm spielen zu können, so irrt sie – dies ist mein Haus, und ich bin Herr darin. Also sei ganz ruhig, Liebling! Das schlimmste ist, daß unsere schöne Ruhe nun geopfert ist; freilich, über kurz oder lang hätten wir uns ja doch der Welt einmal zeigen müssen, aber was sie immer bieten mag, so schön wie diese fünfzehn Monate des Alleinseins mit dir wird uns niemals mehr eine Zeit sein, weil wir sie mit anderen teilen müssen!«
»Oh, Marcell –!«
Iris glitt von ihrem Sessel herab und legte kniend ihren Kopf an ihres Gatten Brust und sah auf zu ihm aus feuchtschimmernden süßen, blauen Kinderaugen.
»Marcell, ist es denn wahr, hab' ich dir denn genügt, und hast du nichts vermißt in meiner Gesellschaft allein?« fragte sie zaghaft.
Da nahm er ihr blondes Köpfchen in beide Hände und küßte ihre reine Stirn.
»Wie kannst du von Genügen und Vermissen sprechen, mein Liebling, da ich doch durch dich erst den Mittelpunkt, den Anfang und das Ziel des Daseins gefunden habe. Ich müßte dich weit eher fragen, ob dir der graue nordische Himmel genügt und dieser enge Fleck Erde?«
»Du lieber, guter, alter, närrischer Marcell«, lachte sie unter Tränen auf zu ihm. »Ja, Italien ist schön, und andere Länder mögen noch schöner sein, aber der schönste Fleck Erde fürs Herz ist doch die Heimat, und meine Heimat ist Hochwald. Erst gestern, als du fortgeritten warst und ich allein zu Haus war, da ist mir's so recht mit Macht durchs Gemüt gezogen, wie Hochwald mir so alles ist mit dir und mit Siegfried. Da raunten und flüsterten die Eichen und Buchen in der leichten Sommerbrise das Hohelied von der Heimat über meinen Haupte, und wie die Flut kam und mit ihrem süßen träumerischen ›Talatta! Talatta!‹ an der Terrasse heraufstieg, da fühlte ich's, wie sie mich nicht mehr loslassen würde, wie mein Herz mit jeder Welle verkettet ist, die sich an diesem Strande bricht!«
Fürst Hochwald strich sanft mit der Hand über ihr lichtes Blondhaar und über ihre glühende Wange.
»Das macht mich ja so glücklich, daß du meine Heimat liebst«, sagte er schlicht. »Hier hab' ich meine Kindheit zugebracht, hier zwanzig einsame Jahre meines Lebens, als ich wähnte, ich hätte kein Recht mehr an die Freuden der Welt.«
»Das war ein langer Wahn, Marcell!« erwiderte Iris ernst und immer noch vor ihm kniend.
»Es war dir vorbehalten, mich davon zu heilen«, entgegnete er nicht ohne äußere Bewegung.
»Und doch hast du mir noch nie gesagt, worin dein Wahn bestanden hat«, setzte sie mit fragendem Blick hinzu.
»Er ward begraben, als du mein wurdest – lassen wir ihn ruhen –«, sprach er mit tiefem Ernst und großer Güte. Und Iris verstand ihn sofort mit dem Takt der wahren Liebe.
»Er ruhe, ruhe für immer«, sagte sie leise. »Und es möchte mir vorbehalten sein, zu vermögen, daß er niemals wieder auferstehe.«
»Wie könnte er! Vor meinem Sonnenschein müssen alle Schatten weichen«, erwiderte Hochwald herzlich. »Höchstens, daß mir im Traum noch hin und wieder eine halbdunkle Erinnerung aufsteigt an jene Zeit, sonst ist alles jetzt für mich klar und licht – durch dich, Iris! Doch ich träume im ganzen selten genug – es war niemals eine Gewohnheit von mir, wie bei Olga, die uns immer lange Geschichten von ihren Träumen zu erzählen wußte. Schrieb sie nicht in diesem Briefe, sie hätte im vorigen Jahre hier ›schreckliche‹ Träume gehabt?«
»Ja, Marcell! Aber Olga spricht gern in Hyperbeln.«
Fürst Hochwald strich immer noch liebkosend über Iris' blondes, seidenweiches, wie Schwanendaunen lockeres und weiches Flachshaar.
»Träumst du auch mitunter, Iris?« fragte er nach einer Pause.
»O, ja«, erwiderte sie lächelnd, »allerlei dummes Zeug natürlich.«
»Erschreckt hat dich aber ein Traum noch niemals?«
»Nein, erschreckt wäre zu viel gesagt«, meinte sie nachdenklich. »Es ist nämlich – aber du mußt mich nicht auslachen, Marcell!«
»Niemals, Iris.«
»Es ist nämlich komisch«, fuhr sie fort, »daß ich ja oft dasselbe träume, das heißt erst hier in Hochwald. Anfänglich wachte ich immer herzklopfend auf, wenn der Traum vorüber war, jetzt aber schreckt er mich nicht mehr, trotzdem er oft wiederkommt, und zwar genau so wie beim erstenmal –«
»Ganz natürlich, Iris. Du denkst daran, und die Fiktion wiederholt sich in deinem von der ruhenden Willenskraft unkontrollierten Gehirn. Wäre der Traum jedesmal verschieden, so müßten andere Eindrücke, andere Faktoren mitspielen.«
»Aber ich habe noch niemals beim Schlafengehen, selten nur am Tage an den Traum gedacht!« rief Iris lebhaft.
»Du mußt ihn mir erzählen, Liebling!«
»Gern. Also mir träumt davon, daß ich irgendwo gehe, stehe oder sitze – und der Ort, wo es geschieht, macht immer den einzigen Unterschied aus, ohne den Traum selbst zu verändern. Ich sehe mich zeichnen, sticken, geigen, spazierengehen oder sonst etwas tun – kurz, es steht dann plötzlich, aber ohne mich zu erschrecken, eine Dame vor mir im sehr schlichten, schwarzen Kleide, ein weißes, dreieckiges Spitzentuch so über dem Kopfe, daß der mittlere Zipfel ihr über die Stirn fällt. Wem sie gleicht, kann ich nicht genau sagen, aber ich denke, mir selbst – oder Sigrid, oder dem Bilde im weißen Maroquinetui, das Papa mir gab, weißt du's, Marcell?«
»Nun, und –«, fragte dieser gespannt.
»Und in den Händen hält sie ihre eigenen, abgeschnittenen blonden Haare und ein kleines Sträußchen weißer Moosrosen, mit dem sie auf einen roten Streifen um ihren Hals deutet. Und mit dem Sträußchen winkt sie mir auch, und ich folge ihr sofort, denn sie sieht mich freundlich an und ist sehr schön – trotzdem sie mir gleicht«, unterbrach sich Iris, schelmisch zu ihrem Gatten aufblickend.
»Erst den Traum, dann die Komplimente«, sagte dieser neckend, aber mit einer gewissen Überwindung.
»Ja, also meine Dame mit den weißen Rosen geht vor mir her bis auf die Seeterrasse und deutet dort auf eine der Schießscharten im alten Schloßflügel, dem westlichen, weißt du. Und durch diese Schießscharte sehe ich dann ein ganz schwaches rotes Licht schimmern, und wenn ich es gesehen habe, winkt sie mir wieder und führt mich durch das Schloß, ich meine immer in den alten Teil, durch lange, niedere Gänge und über enge, steile Wendeltreppen, die wahrscheinlich hier gar nicht existieren, bis in einen etwas breiteren Gang, wo alte Schränke stehen und allerlei Gerümpel liegt. Und vor solch einem alten, kastenartigen Schrank macht sie dann halt, sieht mich an und ist dann fort, und ich wache in diesem Augenblick zum Glück immer auf, denn ich würde mich allein ja gar nicht mehr zurückfinden. Aber so oft bin ich im Traume schon diesen Weg gegangen, daß ich von dem Gerümpel in dem breiten Gange, der fast wie eine Wachtstube aussieht, schon jeden zerbrochenen Schemel kenne«, schloß sie lächelnd.
»Und hast du dich bei Tage niemals auf die Entdeckungsreise dahin aufgemacht?« fragte Hochwald seltsam gespannt.
»Ich werde mich in acht nehmen«, lachte Iris aufspringend. »Neugierde war nie mein Fehler. So, nun hast du meinen Traum, der nichts Unheimliches oder Schreckliches hat, den ich trotzdem aber nicht gern träume. Und nun,