Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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Jahre jünger. Nur zehrt sie auch schrecklich – Kinder, ich hab' Hunger!«

      »In einer Viertelstunde ankern wir, Olga«, tröstete der Fürst.

      »Also in längstens einer Stunde gibt's Tee«, berechnete Madame Chrysopras und nahm daraufhin noch eine kandierte Erdbeere zu sich.

      In der Tat lief die Jacht kurz darauf in eine kleine Bucht an der Südseite des Eilandes ein. Die Segel wurden gerefft, der Anker ausgeworfen, die Schiffstreppe angelegt und das Boot herabgelassen, denn die Bucht war zu seicht, eine bloße Watte, und man mußte per Boot ans Land.

      »Ah, meine alte Balder-Insel!« sagte Madame Chrysopras gerührt. Man kam überein, daß Iris mit Fuxia und Sigrid, sowie die mitgenommenen Diener, die die Ingredienzien zu einem solennen Fünfuhrtee mit sich führten, zuerst hinübergerudert werden sollten, um die Vorbereitungen zu treffen und den Platz zu wählen, da sie das Eiland natürlich gut kannten. Die kräftigen Arme der Matrosen brachten diese »Eclaireurs« der Partie binnen zehn Minuten an das hier ganz flache, sandige Gestade, und mit dem Rufe: »Kommt ich weiß ein reizendes, köstliches Plätzchen!« eilte Iris voran, schnell eingeholt von Sigrid und Fuxia, die sie nur um die Ecke des hier bis ans Ufer sich erstreckenden Eichenhaines zu einem wirklich unendlich malerischen Plätzchen führte, wo uralte knorrige Eichen ihre Zweige zu einem Dach verstrickten, unter dem ein geheimnisvolles, grüngoldiges Dunkel herrschte, während eine Lichtung wie eine riesenhafte Münsterpforte einen Ausblick gewährte auf das hier jäh abfallende romantische Ufer mit seinen Felsenblöcken, seinen wie von Zyklopenhänden umhergeschleuderten Findlingen, seiner schäumenden, tosenden Brandung, die ihren Gischt hoch in die Höhe warf, daß er im Sonnenschein aussah wie hell geschliffene Diamanten, die eine Wasserfrau im übermütigen Spiele emporschleudert.

      »Hier laßt uns Hütten bauen und den Tee trinken!« rief Iris heiter, indem sie auf eine der mächtigsten Eichen deutete unter deren Zweigen sich jenes weiche, lichte, graugrüne, silberschimmernde Moos ausbreitete, das dem Norden eigen ist.

      »Ah, ja! Splendid, quite splendid!« bewunderte Fuxia, der Eiche zueilend.

      »Aber da liegt schon etwas im Moose« flüsterte sie, zurückfahrend.

      »Was denn? Eine Boa constrictor?« fragte Sigrid lachend.

      »Jedenfalls eine Personifizierung des Schlafes«, lachte Fuxia, und die drei schönen jugendlichen Gestalten traten vorsichtig näher. Richtig, da lag »etwas« schlafend im Moose, und zwar ein junger Mann, im eleganten Touristenanzug, den schönen, ausdrucksvollen Kopf mit dem dunkeln, kurzgehaltenen welligen Haar auf die rückwärts gebogenen Arme gestützt. Neben ihm lag ein Buch, aber es standen auf dem aufgeschlagenen Blatte merkwürdigerweise keine landschaftlichen Aufnahmen, sondern Noten.

      »Die Frist ist um, und abermals verstrichen

       Sind sieben Jahr. – Voll Überdruß wirft mich

       Das Meer ans Land . . . Ha, stolzer Ozean!

       In kurzer Frist sollst Du mich wieder tragen!«

      las Iris. »Der fliegende Holländer!« sagte sie mit geheimnisvollem Flüstern.

      »Gott bewahre! Siegfried – Parzifal! Ja, Parzifal, der reine Tor!« raunte Fuxia, auf das schöne, jugendliche, bronzefarbene Gesicht herabdeutend.

      »Nichts als eine Boa constrictor, die hier Siesta hält«, lachte Sigrid leise, angesteckt von dem Übermut der anderen.

      »Siesta hält –«, wiederholte Iris, »um nachher vielleicht den armen Tamino mit erneuter Wut zu verfolgen.«

      »Töten wir den greulichen Wurm«, schlug Sigrid vor. »Wir sind zwar nicht die drei schwarzen Damen aus der Zauberflöte, sondern dafür weiß gekleidet. Die Farbe tut aber nichts zur Sache!«

      »Also aufgepaßt!« rief Iris in hellem Übermut, indem sie ihren Schirm wie einen Speer erhob. Fuxia und Sigrid taten dasselbe, indem sie neben Iris in eine Reihe neben den Schläfer traten, um dessen Mund es verräterisch zuckte. »Eins, zwei, drei«, kommandierte sie, und die drei hellen Stimmen setzten in das erste berühmte Terzett der drei schwarzen Damen ein, indem sie ihre Schirmspitzen dem Fremdling auf die Brust setzten:

      »Stirb durch uns, du Ungeheuer –«

      Da schlug der Schläfer die Augen auf – zwei tiefdunkle, lachende, große, gefährliche Augen – –

      »Ungeheuer ist gut«, sagte er, ohne die Lage zu verändern. »Aber der Sopran sang zu tief.«

      Ein höchst übermütiges Lachterzett unterbrach das klassische des guten Wolfgang Amadeus – was braucht man sich auf einem einsamen Eilande in der Nordsee zu genieren!

      »Ich bin nicht kitzlig«, versicherte der Fremde mitlachend, da die drei Sonnenschirmspitzen sich bei dem Heiterkeitsausbruch fester auf seine graue Touristenbluse aufsetzten. Sofort wurden die gefährlichen Waffen zurückgezogen, und Fuxia sang ein Solo:

      »Unselig holder Mann,

       Hör! Was ich dich muß fragen!

       Den Namen sag mir an!

       Woher die Fahrt? Wie deine Art?«

      sang sie musikalisch richtig mit ihrer kleinen, aber sympathischen Stimme.

      Überrascht richtete sich der Fremde nun zu einer sitzenden Stellung auf und sang als Antwort ein anderes Bruchstück aus dem Lohengrin mit zauberhaft schöner, weicher und doch mächtiger, dunkel wie ein Baryton klingender Tenorstimme:

      »Nun hört, wie ich verbotne Frage lohne!

       Vom Gral ward ich zu euch daher gesandt;

       Mein Vater Parzifal trägt seine Krone,

       Sein Ritter ich – bin Lohengrin genannt.«

      Fuxia stieß einen leisen Schrei aus, als diese wunderbare Stimme einsetzte.

      »Die Stimme kenn' ich doch!« rief sie atemlos vor Entzücken, und lachend sprang der Fremde nun vollends in die Höhe.

      »Bitte«, sagte er, sich tadellos verbeugend, »wenn man von drei Grazien angesungen wird, dann muß man sich doch mindestens revanchieren. Ich fange an, dieses Eiland, auf das ich heut schon wie ein Rohrsperling geschimpft habe, höchst anziehend zu finden.«

      »Weil die Kultur es in Gestalt eines Picknicks beleckt?« fragte Iris lachend, indem sie auf den Diener zeigte, der eben den Spiritus unter einem kupfernen Feldteekessel entzündete.

      »Halten Ihro Gnaden, das gnädige Fräulein Dryade mich für so materialistisch?« fragte der Fremde, mit einem bewundernden Blick auf Iris' zarte, mädchenhafte Gestalt.

      »Jedenfalls für hungrig«, gab sie lächelnd zurück.

      »Ich danke Ihnen für diese gute Meinung!« rief er mit komischer Innigkeit. »Oh, es tut wohl, von einer fühlenden Seele verstanden zu werden, nachdem man eben erst mit einer Siesta haltenden, vollgefressenen Boa constrictor verglichen worden ist.« – Dabei sah er Sigrid an.

      »Was?« riefe diese empört, »Sie haben gar nicht geschlafen?«

      »Aber meine Gnädigste, versetzen Sie sich in die Lage Ihres untertänigsten Knechtes«, sagte der Fremde demütig. »Ich liege hier im Moos, hungernd und über mein Geschick hadernd, das mich in diese Mausefalle gelockt, zu welcher als gebratener Speck die Gesellschaft eines Menschen diente, der Geist mit einer unwiderstehlichen Komik vereint – ein Köder, der sich als irrig erwies, gleichviel aus welchen Gründen. Da sehe ich Sie, meine Damen, um die Ecke biegen – eine Vision in Weiß und drei Nuancen Blond. Was sollte ich tun – ich, im beschmutzten Touristenkostüm, ein ganz unsalonfähiger Mensch, ein Erdenwurm, der die Augen schließen muß, wenn ihm die Sonne hereinscheint. Und nun gar noch drei Sonnen.«

      »Sind Sie Ihres Zeichens Konzertredner?« unterbrach ihn Sigrid etwas spöttisch.

      »Leider nein«, sagte der Fremde seufzend. »Versetzen Sie sich gnädigst nochmals in meine Lage! Muß ein Mensch nicht eloquent werden, wenn sich ihm auf solch einer vertrackten Insel plötzlich Menschen zeigen? Das heißt, ich nehme an, daß die Damen mir nicht nur erschienen