»So also sieht eine Lügnerin, eine Meineidige, eine Betrügerin aus«, sagte sie, ihrem Spiegelbilde zunickend. »Ja, nennen wir's nur immerhin beim rechten Namen, wir sind ja allein, Sigrid Erlenstein! Gelogen hast du unten – gelogen aus purer Feigheit und Nichtswürdigkeit! Meineidig bist du, weil du gegen seinen Wunsch gehandelt, der dir heilig sein mußte, als hättest du darauf einen Eid geleistet, und betrogen hast du ihn, weil du seine edle Entschuldigung angenommen, ihn um einen Kuß betrogen hast! Ach –!«
Sie senkte den Kopf, und schwere Tränentropfen rieselten auf ihre gerungenen Hände nieder, Tränen, die keinem heiligen Quell entströmten, wenn auch aus keinem so trüben wie die Tränen, die unten zwei edle und der Verstellung unfähige Herzen gerührt und versöhnt und die doch nur aus Neid und Eifersucht und ohnmächtiger Wut über das Glück der ihr am nächsten stehenden Menschen geflossen waren. Und Sigrid dachte jener Tränen und schüttelte die jetzigen zornig aus den Augen.
»Was nützt's, daß er mich geküßt! Es macht mich nur noch elender!« murmelte sie, ihr Haar auflösend. »Ich muß fort von hier – ich ertrage es nicht, sie in Glück und Glanz zu sehen! Was konnte er mich nicht lieben, mich, deren Herz ihm gehört vom ersten Moment an, da ich ihn sah. Wenn er mich geliebt hätte, wäre ich gut geworden und großmütig und – – nein, ich werde hierbleiben!« schrie sie auf, indem sie sich vor die Stirn schlug. »Törin, die ich war mit meinem unverhohlenen Haß, meiner Bitterkeit auf dem Präsentierteller für jedermann, Törin, dreifache Törin! Jetzt weiß ich's, wie ich's anfangen muß! Er selbst hat mir's gesagt und mir mit seinem Kusse selbst die Binde von den Augen gerissen. Was wollte ich denn so erreichen? Nichts, als daß sie mich schleunigst loszuwerden versucht hätten. So aber – –! Wer weiß, Sigrid Erlenstein, ob du nicht noch triumphieren wirst – –! Und morgen kommt der Cavaliere!«
Eine halbe Stunde später nahm Sigrid, blaß zwar, aber sonst gefaßt und heiter, an dem gemeinschaftlichen Gabelfrühstück teil, herzlich gegrüßt von Iris, die in ihrer sorglos fröhlichen Weise sich anklagte, ihre Schwester so erschreckt zu haben.
»Ich muß mich nett benommen haben«, lachte sie, »daß du selbst fast ohnmächtig darüber geworden bist. Geschah aber sehr gegen meinen Willen, das kannst du glauben. Also mit Marcell hast du oben einen ewigen Bund geschlossen mit diversen Küssen? Ist recht so, das heißt, solange ich nicht eifersüchtig werde«, setzte sie neckend hinzu und mit jener Sicherheit, die das unbedingte Vertrauen der Liebe verleiht.
Sigrid wollte der leichte Ton nicht sogleich gelingen, und da sie einsah, daß die Maske in diesem Falle nur zur Fratze werden könnte, so hielt sie sich vorläufig weise zurück. Etwa eine Stunde nach dem Gabelfrühstück war die Yacht klar zum Segeln, und die kleine Gesellschaft ging an Bord der »Iris«. Es war ein köstlicher Nachmittag – klar, warm und doch durch eine leichte Brise erfrischt, der Himmel blau, das Wasser von jenem unergründlichen Grünlichgrau, wie es eben nur die Nordsee hat, und in diesem Wasser, auf dieser kaum leicht sich kräuselnden Fläche badete sich die nordische Sonne in ihrer ganzen Glorie und schuf darauf ein wechselndes, reizvolles Bild.
»Was gibt es Schöneres, Erhabeneres als unsere Nordsee?« rief Iris der Fürstin Fuxia zu, die mit Madame Chrysopras, Sigrid und Sascha zusammen unter einem gestreiften Zelte saß.
»Very splendid, indeed, mit diesem Hintergrunde«, sagte Fuxia mit einem sehnsuchtsvollen Blicke auf das weiße Schloß am Meere.
»Ja, es ist einzig schön, nicht wahr?« – nickte Iris mit naiver Freude. »Sie müssen sich auch am Meere ansiedeln, liebe Fuxia, ein Schloß bauen so recht nach Ihren Träumen. Nur nicht stilvoll, denn das ertötet die Behaglichkeit.«
»Was nützt mir ein neues Haus?« fragte Madame Ukatschin-Chrysopras verächtlich. »Ich habe früher nur für neue Häuser geschwärmt und die alten Eulennester und Spinnwebenwinkel genannt. Aber seitdem ich Hochwald kenne –«, sie seufzte leise.
»Des Hauses Herrin bedankt sich für das Kompliment«, erwiderte Iris heiter, mit einer graziösen Verbeugung.
»Ja, Hochwald ist ein prächtiges altes Haus«, sagte Fuxia. Ich fange an, die alten Häuser zu lieben.«
»Zu viel Ehre für mich selbst«, sagte Fürst Hochwald lachend. »Sie haben mich doch gemeint, Fuxia?«
Sie lachte, daß man ihre weißen Zähne sah.
»Wie werde ich mich unterstehen, meinen Onkel ein altes Haus zu nennen«, meinte sie heiter, die Hände hinter dem Kopf, darauf ein schwarzer Matrosenhut mit flatterndem Scharlachbande keck genug saß, verschränkend. »Mein Onkel!« wiederholte sie, »ist das nicht drollig? Als ich Sie zuerst sah – war's nicht bei Madame Chrysopras? – hätten Sie sicher doch nicht gedacht, daß ich Ihre Nichte werden würde.«
»Verschlungen sind des Schicksals Pfade«, erwiderte Fürst Hochwald mit Pathos.
»Damals meinte ich Sie selbst zu heiraten«, fuhr Fuxia mit verblüffender Offenheit fort. »Aber Sie haben mir nicht einmal die Cour gemacht!«
»Schlechter Geschmack, Fuxia – aber Boris hat die Ehre der Familie in dieser Beziehung zum Glück gerettet«, erwiderte der Fürst lachend.
»Ist sie nicht höchst schick?« krähte Boris, seine Frau betrachtend. »Die Zusammenstellung deines roten Haares, Fuxia mit Scharlach ist einfach großartig. Schade, daß kein Künstler dich bewundern kann!«
»Worths Idee«, sagte Fuxia, einen Blick auf ihr cremweißes Tuchkostüm mit kurzem Rock und Matrosenbluse werfend, deren scharlachroter Kragen die Weiße ihres Halses allerdings noch mehr hervorhob. »Ich war erst entsetzt über die Idee, aber der große Mann lächelte nur verächtlich und hielt einen roten Zeuglappen gegen mein Haar. Der Effekt war überraschend. Man muß eben auch etwas wagen, selbst wenn die hergebrachten Ideen dadurch gestürzt werden.«
»Ja, Worth ist ein großer Mann«, meinte Madame Chrysopras schläfrig. Sie war mit der Siesta nach dem reichlich genossenen Frühstück noch nicht fertig, und das leichte Schwanken der Jacht ersetzte ihr vollständig die Wirkung eines amerikanischen Wiegestuhls, der sie nach dem Essen immer zu einem leichten Schläfchen aufnahm. »Sascha, sitz gerade«, ermannte sie ihre Lebensgeister noch einmal, dann fiel ihr die halbangerauchte russische Zigarette aus der Hand, sie lehnte den Kopf zurück in ihren bequemen Bambusstuhl, und Gott Morpheus nahm sie in seine langen Arme.
Sascha hob die Zigarette auf und warf sie über Bord. Dann holte sie ihr Skizzenbuch und öffnete es.
»Still gesessen, Onkel, ja?« bat sie, dem Fürsten freundlich zunickend, der, Iris an seiner Seite, gern auf den Wunsch seiner Nichte einging, die mit schnellen, sicheren Strichen eine Porträtskizze Hochwalds entwarf.
Langsam glitt die Jacht dahin auf der stillen See, die Küste weiter und weiter hinter sich lassend. Nordwestlich gerichtet durchschnitt der Kiel die glitzernde Flut, Inseln tauchten auf, kleine sandige Eilande mit spärlicher oder gar keiner Vegetation, wo die Möwen nisteten und nur die Fischar anlegten beim Fischfang. Dann, weiter hinaus kam ein Eiland in Sicht, dessen Ufer jäh herabstürzende Kreidefelsen bildeten, über die es herüberragte wie Baumkronen, Laubholz und dunkle Föhren.
»Da liegt unser Ziel«, sagte Iris, in die Ferne deutend, und der Fürst gab das Kommando zu einem nördlicheren Kurs.
»Das sieht aus wie Wald«, meinte Sigrid, die durch ein Fernrohr geschaut.
»Das ist Wald – eigentlich nur ein Hain, der Größe der Insel entsprechend«, erwiderte Hochwald. »In alten Zeiten war's ein heiliger Hain, dem Balder geweiht – vermutlich, weil dort der Frühling durch die geschützte Lage des Haines zeitiger kam als an den Küsten. Übrigens ein Eiland von ganz eigenem, melancholischem Reiz.«
»Melancholisch? Dann wundert's mich nur, daß Madame Chrysopras Gefallen daran gefunden hat!« rief Fuxia erstaunt.
Bei der Nennung ihres Namens schlug die Genannte die Augen auf, blinzelte, lächelte, gähnte, nahm aus ihrer Kleidertasche eine silberne Bonbonniere und naschte ein Fruchtbonbon.
»Nein«,