Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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Zug seines lieben, gütigen Herzens kommt in der Erinnerung so schön zurück und verklärt sein Bild in unserem Gedächtnis. Du hast recht, das läßt sich schwer beschreiben!«

      »Ja«, sagte Sigrid zögernd. »Das meinte ich eigentlich aber nicht. Ich sagte dir ja schon, ich tauge nichts für den wechselseitigen Austausch von Gefühlen. Es hat mich aber schon oft danach verlangt, mit dir über das zu sprechen, was mir immer noch unklar, ja rätselhaft ist. Ich meine Papas Testament, sein Nachlaß vielmehr.«

      »Oh«, erwiderte Iris, bitter enttäuscht, »ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht.«

      »Natürlich nicht – das sind äußere Dinge, um die Maria sich nicht kümmert, die aber in Marthas Ressort schlagen«, war die bittere, fast höhnische Erwiderung.

      Iris unterdrückte mit großer Selbstbeherrschung ein herbes Wort, das sich sehr gegen ihren Willen auf ihre Lippen drängte. Aber die Sanftmut und Freundlichkeit ihres Herzens siegte wie immer.

      »Gute Nacht«, sagte sie statt aller Antwort.

      »Es ist ja noch nicht spät«, meinte Sigrid mit einem Blick auf die Uhr, die allerdings erst wenige Minuten über die zehnte Stunde zeigte. »Komm, steige herab aus deinen Wolkenhöhen und schwatze mit mir sterblichem, an der Erde klebendem Wurm.«

      Und sie zog Iris neben sich auf ein Sofa nieder, und die junge Frau blieb, wenn auch widerwillig, denn Sigrids Scherze klangen ihrem Ohre nicht wohl. Und Sigrid merkte das.

      »Siehst du, Kind, du bist jetzt in einer Lebensstellung, wo die materiellen Dinge der Welt dir ganz aus den Augen gerückt sind«, beeilte sie sich zu sagen. »Das sollte also kein Vorwurf sein. Doch, wovon ich reden wollte – ja, Papas Nachlaß. Wenn du einmal darüber nachdenken willst, so wird dir auch rätselhaft sein, wie Papa solch eine Summe hinterlassen konnte. Wir haben immer von den Zinsen eines Drittels derselben gelebt. Warum? Du kannst das natürlich ebensowenig wissen wie ich – vielleicht aber hat Papa in seinem nachgelassenen Briefe an Marcell darüber Klarheit gegeben –?«

      »Ich weiß es nicht«, entgegnete Iris. »Marcell hat mir nie etwas von dem Inhalt des Briefes gesagt.«

      »Ah – ich dachte, zwischen Eheleuten gäbe es keine Geheimnisse«, sagte Sigrid leicht.

      »Nein, die gibt es nicht. Aber wo der Wille eines Heimgegangenen Schweigen geboten hat, wird niemand plaudern«, erwiderte Iris ernst.

      »Schweigen – warum Schweigen?« wiederholte Sigrid nachdenklich. »Gleichviel. Das zweite Rätsel ist die ungenannte Pate, die dich zur Erbin von Geld, Schmuck und einem verschlossenen Kasten gemacht hat. Apropos, was hast du darin gefunden?«

      »Ich habe noch nicht nachgesehen.«

      »Was?« Sigrid sprang auf. »Willst du damit sagen, daß du den Kasten tatsächlich noch nicht aufgemacht hast? Nein? Nun, das zeugt freilich von so wenig Neugierde, daß man's fast Teilnahmslosigkeit nennen möchte. Oder hat Papas hinterlassener Brief an dich dir gesagt, was sich in dem Kasten befindet?«

      »Ich habe auch den Brief noch nicht gelesen, Sigrid! Marcell bat mich damals, damit zu warten, bis der erste Schmerz vorüber sei, und ich gab ihm den Brief zur Aufbewahrung. Marcell meinte, der Brief enthielte nichts Persönliches, vielleicht kaum ein paar Worte, die sich auf den Kasten und den Schlüssel bezögen.«

      Sigrid kreuzte die Arme und sah mit einem unbeschreiblich spöttischen Lächeln auf Iris herab.

      »Merkwürdig, daß Charaktere, wie der deinige, solch harte, fühllose Seiten haben können«, sagte sie schneidend. »Hätte mein Vater mir eine Zeile hinterlassen, Gott weiß worüber, mit einem letzten Gruße an mich – auf alle Fälle – ich die Phantasielose, die praktische Martha, ich hätte gedürstet nach diesen Zeilen, hätte sie als eine Reliquie gehalten und mich in ihrem Besitze weit weniger als eine Waise gefühlt. Aber freilich – bei mir ›meint‹ ja auch kein Marcell irgend etwas! Du bist so reich an Liebe und Glück, daß die letzten Worte des Vaters in seiner Todesahnung für dich wertlos geworden sind –.«

      Iris war sehr bleich geworden. Jetzt stand auch sie auf und schnitt mit einem Blicke der Schwester das Wort ab.

      »Schweig!« gebot sie ohne Zorn, ohne Schärfe, aber mit einer Überlegenheit des Herzens, die Sigrid sofort verstummen machte. »Du hast kein Recht, nicht das geringste, so zu sprechen. Marcell weiß, daß ich gegen diesen unseligen Kasten eine vielleicht sehr törichte Abneigung habe. Ich weiß auch nicht warum, aber man kann ja nichts gegen solche Dinge. Gute Nacht!«

      Und sie ging jetzt wirklich, ohne daß Sigrid versucht hätte, sie zurückzuhalten.

      »Es hat getroffen«, murmelte diese, als die Tür sich hinter der jungen Frau geschlossen. »Gleichviel – ich muß hinter das Geheimnis dieser unbekannten Pate kommen. Und was meinen treuen Verehrer, den Herrn Marquis in der Maremma anbelangt, so wird er mir helfen – er wird!«

      Iris war aus dem Zimmer ihrer Schwester erst in das Kinderzimmer gegangen, dem kleinen Siegfried einen Gutenachtkuß zu geben, und ging dann in ihr Ankleidezimmer, einen großen, schönen Raum mit Rokokoeinrichtung, wo auf dem spitzenbekleideten Toilettentische das schönste Necessaire in mattem Golde und Emaille ausgebreitet lag. In diesem behaglichen, kostbar ausgestatteten Raum fand sie den Fürsten lesend vor – er hatte auf sie gewartet. Ein Lächeln, wie ein Sonnenstrahl durch Regengewölk, ward ihm zum Gruße, aber das Auge der Liebe sah doch gleich, daß Iris ihr Gleichgewicht verloren hatte.

      »Wo fehlt's, mein Liebling?« fragte er, ehe Iris gesprochen hatte.

      Sie sah ihn überrascht an.

      »Wie gut du in mir lesen kannst«, sagte sie mit naiver Freude. »Jetzt, an deiner Seite, fehlt's nirgends mehr, vorher aber hatte ich so ein rebellisches Gefühl, solch Empfinden, als ob meine Geduld und meine Fähigkeit, Sigrids Besuch und Nähe zu ertragen, heut schon zu Ende wären. Das war schlecht und boshaft von mir, denn ich muß schuld sein an ihrer Veränderung, wenn auch unwissentlich. Nein – ach, wozu wiederholen, was sie gesagt hat. Zuletzt warf sie mir Lieblosigkeit und Mangel an Pietät vor, weil ich Papas Brief noch nicht gelesen – du weißt, der den Schlüssel zu der schwarzen Truhe enthält. Sie mag recht haben, gewiß, aber dennoch hat's mich empört und zornig gemacht, während ich Mitleid mit ihr haben sollte. Doch das bessere Gefühl, das Mitleid und die Geduld werden siegen, Marcell – nicht wahr, das traust du mir zu?«

      »Ich traue dir jeden schönen und edeln Charakterzug zu Iris. Es wäre auch schlimm, wenn mein Glaube in dich und dein schönes Herz auch nur die leiseste Schwankung erlitte. Doch was Sigrid betrifft – nein, Lieb', ich will nicht hart sein gegen sie und ungerecht. Sie ist deine – deine Schwester. Vielleicht tust du aber gut, intimere Gespräche mit ihr zu meiden, solange sie sich in dieser geistigen Verfassung befindet.«

      »Das will ich, Marcell. Und wenn sie fragt, warum ich ihr ausweiche, will ich ihr die volle Wahrheit sagen.«

      »Das wäre das beste, denn Gewitter reinigen die Luft. Und was den Brief deines Vaters betrifft –«

      »Ich werde ihn morgen lesen – nicht heut.«

      Fürst Hochwald erhob sich und ging ein paarmal sinnend auf und ab. Dann blieb er vor Iris stehen mit einem Ausdruck unendlicher Liebe im Blick.

      »Du sollst den Brief lesen, wenn du es für deine Pflicht hältst«, sagte er gütig. »Und was er auch enthalten mag – ich bin bei dir, es tragen zu helfen!«

      »Du meinst also, Marcell, er könnte eine Unglücksbotschaft enthalten, irgend etwas Schreckliches, Furchtbares?« fragte sie mit angsterfülltem Blick.

      »Nein, das glaube ich nicht«, sagte er, sie an sich ziehend. »Aber vielleicht gibt er dir Rätsel auf, die zu raten du dich versucht fühlen möchtest. Und es ist nicht immer heilsam und glückbringend, des Lebens Rätsel zu durchdringen.«

      Am nächsten Morgen, nachdem sie im Arbeitszimmer des Fürsten gemeinsam unter vier Augen das Frühstück genommen hatten, übergab Hochwald seiner jungen Frau den Brief des Grafen Erlenstein, den er bisher für sie verwahrt hatte. Doch während sie ihn noch zögernd in der Hand hielt, wurde