»Wo hab' ich Sie nur singen hören?« fragte Fuxia lebhaft. »Helfen Sie mir suchen, please – because l know your powerful and sweet voice!«
Doch ehe der Fremde antworten konnte, verkündete Hochwalds Stimme, der mit Sascha und Boris eben die Waldecke betrat, daß die Partie vollzählig sei, zugleich aber hatten die drei Damen unter der Eiche noch eine andere Überraschung Aus dem Dickicht trat nämlich ein kleiner, dicker, ältlicher Herr mit einem kurzgehaltenen Backenbart, der Mund und Kinn frei ließ und nach Art einer sogenannten Holzhauerfräse auch den gleichfalls sogenannten Kehlbraten umhüllte. Hinter der Brille blitzten ein paar kluge Äugelein vergnüglich in die Welt und auf die Eitelkeit der Menschen, denn der Anzug des kleinen Herrn war durchaus nicht elegant, wenn auch solide, sein großer weißer Pflanzerhut hing ihm an einem Sturmbande auf dem Rücken, und die mächtige Glatze trocknete und rieb er sich im Gehen mit einem gelbseidenen Taschentuche. Kaum aber sah der kleine, dicke, ältliche Herr die ihm entgegentretende Gruppe, als er sich auch schon mit dem Ausrufe: »I nee, da brat mer doch gleich eener 'n Storch« – in einen für den Zuschauer überwältigenden Galopp setzte und dem Fürsten Hochwald um den Hals fiel.
»Professor, Freund! Wo kommen Sie denn hier her?« fragte Hochwald überrascht, sobald er wieder Luft hatte.
»Nu, wo werd' ich denn herkommen?« strahlte der Kleine selig im reinsten Sächsisch. »Auf 'ner Ferienreise bin ich seit zwee Tagen und will da mal so nebenbei den Norden abgrasen. Das Ding, die Insel hier, hat mich schon längst gelockt – mein Boot liegt fünf Minuten von hier. Aber nu, mein liebster Hochwald, stellen Se mich, bitte, Ihrer Gesellschaft vor und nehmen Se meine Toilette nicht übel!«
»Mein lieber Freund, der Professor der Geschichte Dr. August Glauchau aus Leipzig«, stellte Hochwald vor. »Wir trafen uns vor vier Jahren auf den Trümmern Karthagos und zogen zusammen den Nil entlang. Es war eine lange Reise, aber schön und unvergeßlich, durch Sie, liebster Professor«
»Hören Sie, schmeicheln steht nicht auf dem Programm«, drohte der kleine Herr mit ganz glücklichem Gesicht. »Schön und unvergeßlich war die Reise durch Sie, mein bester Hochwald. Ja, glauben Sie denn, man trifft allemal, wenn man die Nase raussteckt in die Welt, einen Menschen, der einen versteht und dem's mit der Archäologie so ernst ist wie Ihnen? Nu nee! Sehen Sie, hier dieser junge Mann war mein Schüler, das heißt in der Geschichte und der Archäologie – na, er hat sich ja auch 'n paar ganz nette alte Lappen, Waffen und Möbel gesammelt – aber Tiefe, Verständnis für etwas, was sozusagen nach nischt aussieht und für'n Salon unbrauchbar ist – nicht für'n Sechser. Gestern hab' ich'n getroffen; riesig gefreut hat er sich, bummeln wollt er auch, und da's was Neues war, hat er sich angeboten, als mein Famulus mitzuziehen. Ja, sonst was! Das Rudern hat ihm noch Spaß gemacht, und dann hat er erklärt, 'sBlut stieg' ihm in'n Schädel, wenn er in der Hitze auf der Erde rumrassaunen sollte. Und das will mein Schüler sein!« schloß der alte Herr seine Philippika gegen den armen Sünder, der lachend Zeichen der Reue in den Redestrom einflocht.
»Aber, liebster Professor, Sie müssen eben mit den Unvollkommenheiten der menschlichen Natur rechnen«, sagte er, zu Worte kommend.
»Junger Mann«, erwiderte der Professor und Träger eines berühmten Namens mit komischer Würde, »junger Mann, Sie reden, wie Sie's verstehen, und das ist nicht weit her, trotzdem Sie mein Schüler gewesen sind. Aber das kommt vom Umsatteln. Veranlagung, schöne Kenntnisse – alles in den Wind geschlagen. Sie brauchen nicht zu lächeln! 'smag ja richtig sein, daß Sie berühmter sind als ich, aber ich gönne Ihnen die paar Lorbeeren von Herzen! Meine Wirtin in Leipzig verwendet sie zu Ragoutsoßen!«
Alle lachten, am meisten aber der Gemaßregelte, und der Professor mit.
»Nein, dem Jungen kann man nicht böse sein«, sagt er. »Hat er sich schon vorgestellt? Nein? Aha, den Inkognitus gespielt! Nu nee, runter mit der Maske, denn wie Sie ihn hier sehen, meine Damen, ist er der ›vielgenannte Sänger und wohlgewandte Rattenfänger‹, und ›in keinem Städtchen kommt er an, wo er's nicht mancher angetan‹. Zu deutsch heißt das, er ist der Kammersänger unzähliger und unaussprechlicher Potentaten, Herr Hans Kreuzwendedich Aus dem Winkel.«
»Was, Sie sind Hans Aus dem Winkel?« schrie Fuxia auf, der größte Wagnersänger der Gegenwart –?«
»Ein hoffnungsvoller Patriziersohn vom Rhein!« sagte der Professor vorwurfsvoll, »ein Bismarck in der Entwicklung. Aber das alte Haus Aus dem Winkel, das mit flüssigem Rheingold handelt seit Menschengedenken, konnte sich's schon mal antun, einen Jungen Diplomaten werden zu lassen. Gymnasium, Universität – er rassaunte's Ihnen nur so ab – Geschichte hörte er bei mir und Altertumskunde so nebenbei noch. Kommt da aber eines Tages so'n verrückter Musikant nach Leipzig, hört'n singen – na, 's Resultat haben Sie faustdick hier, meine Herrschaften! Adje, Bismarck, adje römisches Recht, Geschichte usw. – – Der Rest ist –: Der reine Tor!«
»Ich freue mich herzlich, Sie kennenzulernen, Herr aus dem Winkel«, sagte Hochwald, dem Sänger die Hand reichend und sich zu dem Professor zurückwendend, fuhr er fort: »Die Herren sind natürlich meine Gäste. Sie, Professor, lasse ich nämlich fürs erste nicht mehr los, und Herr aus dem Winkel wird mitgefangen und mitgehangen. Zunächst aber ein Bekenntnis – ich bin verheiratet!«
»Nee, was man alles für Enttäuschungen beim Menschen erlebt!« rief der kleine dicke Herr ehrlich entsetzt. »Kein größerer Ehefeind am Nil als Sie sozusagen – das ging ja noch über meine Ehescheu! Und nun verheiratet! Na, ich gratuliere von Herzen – 's muß jeder wissen, was er tut, und Sie sind doch nachgerade erwachsen. Ist Ihre werte Frau Gemahlin hier?«
»Ja«, antwortete Hochwald, und dabei kam ihm ein närrischer Gedanke. Er führte den Professor vor die zusammenstehende Gruppe der Damen und sagte feierlich: »Eine von ihnen ist's! Nun, sagen Sie mir, welche?«
Der Professor wischte sich seine Brillengläser mit dem gelben Taschentuche ab und blinkerte höchst vergnügt mit den Augen.
»Hören Sie, Sie machen mich da sozusagen zum Paris«, sagte er humoristisch. »Die Apfelgeschichte ist dazumal höchst ungemütlich verlaufen, weil der gute Junge, der Paris, nicht auf den klugen Gedanken gekommen ist, den Apfel zu teilen. Mein Fall ist hier nun noch viel kritischer, denn eine kann's doch nur sein, also 's Teilen würde mir nicht mal was nützen. Sie darf ich doch wohl von der engeren Wahl ausnehmen, meine Gnädigste«, wandte er sich an Madame Chrysopras.
»Warum?« sagte diese, auf den Scherz eingehend. »Bin ich ihnen etwa zu alt? Sie wären mir gerade der rechte Paris, der Juno, die Göttermutter, als zu alt aus der Schönheitskonkurrenz herausrobbert.«
»Ei, du Donnerwetter, da scheine ich ja in e recht nettes Wespennest gestochen zu haben«, rief der Professor so verblüfft, das alles in ein heiteres Lachen ausbrach. Doch Madame Chrysopras versicherte nun, daß sie als Schwester Hochwalds von selbst aus der Reihe der Grazien trete, und der kleine Gelehrte, dem die Sache Spaß machte, begann nun seine Prüfung.
»Well – bin ich's?« fragte Fuxia mit dem ganzen Siegesbewußtsein ihrer Nationalität vortretend.
Professor Glauchau sah sie lange prüfend an.
»Nein«, sagte er nach einer Weile, »Sie sind's nicht!«
»Warum nicht? Ich bitte um Gründe!«
»Haha! Ja, hören Sie, mein schönes Fräuleinchen – der Hochwald, den ich kenne – er müßte sich gerade fürchterlich in seinen Ansichten geändert haben, aber der war dazumal am Nil ein großer Freund von Gemälden und von der Kunst. Nur von der Kunst in der Natur, was der Franzose corriger la nature nennt und der Soldat das Lederzeug weißen – nein, davon hat er nichts gehalten. Und darum möcht' ich sagen, Sie sind's nicht!«
Fuxia verstand als Ausländerin nur halb, was der gute Professor in seinem Sächsisch dozierte, und Boris auch nur die andere Hälfte, aber sie begriff, daß es sich wohl um die wohlverteilte Schicht von Puder handeln müsse, die auf ihrem Gesichte lag. »Well«, sagte sie, »ich glaube, Sie sind nicht sehr höflich.«
»Mein schönstes Fräuleinchen, Sie haben meine Gründe hören