Als dann alles rasch und glatt geordnet, Sigrid in die Villa Chrysopras übergesiedelt und der alte Palazzo am Borgo degli Albizzi geschlossen und dem Verwalter übergeben worden war, reisten Hochwalds wieder von Florenz ab, und Iris hielt, in schwarzen Krepp gehüllt, ihren zweiten Einzug in die neue Heimat.
Die Trauer verbot ja zunächst jede Geselligkeit – das gab eine gute Zeit zu innigem Zusammenleben, zum Durchstreifen des Landes und der Wälder zu Pferd, zu Fuß und zu Wagen, zu köstlichen Segelfahrten auf der weißen, goldverzierten Jacht »Iris« mit einer Lilie am Bug als Wahrzeichen – alles das war ja neu und voll von niegeahnten Wundern für Iris, die ihr junges Leben nur im Süden Italiens zugebracht und wohl das Tyrrhenische, das Adriatische und das Mittelmeer, nicht aber den Norden, geschweige denn den mit Buchen- und Eichenwäldern gekrönten Strand der Nordsee kannte. Der Sommer ging hin wie im Traum, und der Winter brachte neue Freuden in den Kunst- und Bücherschätzen des Schlosses, aber auch manch eine Stunde bangen Herzklopfens für Iris, wenn die Stürme das Schloß umtobten, wenn die Brandung brüllte und donnerte und die Wogen ihren Gischt turmhoch spritzten.
Und dann taute der tiefe, tiefe Schnee im Park und in den Wäldern, ein blaues Veilchenwunder löste die Schneeglöckchen ab in ihren Heroldsrufen des kommenden Frühlings – im Boudoir der jungen Fürstin duftete es jetzt von zahllosen Maiglöckchen, Veilchen und Narzissen, und als die Kirschblüten aufbrachen und der Rotdorn zu blühen begann – es war just, wie dem Tage zu Ehren, am ersten Mai, da wurde dem Stamme des Fürsten von Hochwald ein Erbprinz geboren, blond und blauäugig wie seine Mutter, und von dem alten, würdigen Schloßkaplan sogleich auf den Namen Siegfried getauft.
Die Glocken der Schloßkapelle und der Dorfkirche läuteten das frohe Ereignis jubelnd hinaus in die sonnige Luft, und von der Düne donnerte das Strandgeschütz fünfzigmal über die spiegelglatte See. Die junge Mutter lag selig lächelnd in ihren weißen Kissen, betend und Träume spinnend für das Kind, vor dessen spitzenumhülltem Bettchen der Fürst stand mit vor Glück übervoll geschwelltem Herzen.
Nun war's Juli geworden, und die Rosen blühten wie im Märchengarten Rosalindens, es versprach ein köstlicher Sommer zu werden.
Früh am Morgen hatte Iris im Kinderzimmer die blauseidnen, spitzenbedeckten Vorhänge am Bettchen des schlafenden Siegfried fester zugezogen und die Fenstervorhänge dichter geschlossen, damit die Morgensonne den kleinen Schläfer nicht vorzeitig wecke, hatte der jungen, kräftigen Fischersfrau, deren Mann im zeitigen Frühjahr gestrandet und ertrunken war und die nun als Amme des kleinen Prinzen im Schloß eine Heimat gefunden, noch einige Anweisungen gegeben – und war dann, leis eine Weise singend, wie sie's früher schon gern getan, hinabgeeilt in die große, eichengetäfelte Halle, von deren kassettierter Holzdecke Schiffsmodelle und Seeungetüme herabhingen zwischen mächtigen schmiedeeisernen Lichterkronen und Schiffsflaggen – eine Halle, die an eines nordischen Seekönigs Burg erinnerte mit ihren altersschwarzen, seltsam geschnitzten und mit Runenschrift verzierten Kaminen, in denen an kühlen Frühlingstagen oft mächtige Scheite glühten – mit ihren massiven, eichenen Tischen und Sesseln, ihren Bärenfellen, Waffen, Rüstungen, Hirsch- und Elchgeweihen – ein Raum, den zu sehen schon mancher Archäologe herbeigereist war.
Die Gestalt von Iris in dem weichen Morgenkleide von weißer Wolle, ihr lieblicher Kopf mit den blauen Augen und dem lichten Flachshaar schien wie bestimmt für diesen Raum – sie hätte nur eines der mächtigen Trinkhörner vom Kredenztische zu heben brauchen, um die Täuschung zu vollenden, als ob Königin Dagmar dem heimkehrenden Gatten, Waldemar dem Dänenhelden, den Frühtrunk kredenzen wollte. Iris aber ließ die Hörner an ihrem Platze und eilte hinaus auf die Seeterrasse, da sie dort den Fürsten Marcell zu finden hoffte. Aber er war nicht da – sie nickte ihrem geliebten Meere, das im Sommermorgen-Sonnenglanz so feierlich dalag wie ein harmlos schlafendes Kind, einen Gruß zu:
»Groß ist das Meer und der Himmel,
Doch größer ist mein Herz,
Und schöner als Perlen und Sterne
Leuchtet und strahlt meine Liebe.«
Dann verließ sie die Terrasse, durchschritt die Halle abermals und die links liegende Bibliothek, im Erdgeschoß nach dem Park, in zwei Stock Höhe der Meerseite zu, und fand den Fürsten am Schreibtische in seinem Arbeitszimmer neben der Bibliothek – einem geräumigen, behaglichen Gemache mit bequemen Sesseln und Möbeln. Die auch hier getäfelten Wände schmückten Jagd- und Pferdebilder und eine Kollektion von seltenen Rehgehörnen, ferner einige Familienporträts und dem die Mitte des Zimmers einnehmenden sogenannten Diplomatenschreibtisch gegenüber stand Saschas wunderschönes Pastellporträt von Iris im Brautschmucke.
Marcell Hochwald saß über einen Forstbericht gebeugt, als Iris neben ihn trat und seinen Hals mit ihren Armen umschlang.
»Ah, guten Morgen und willkommen, Sonnenscheinchen« sagte er, mit glücklichem Lächeln ausblickend. »Komm, setze dich mit deinem Frühstück zu mir, bis ich diesen Bericht gelesen habe. Dann wollen wir die Posttasche öffnen, und dann muß ich hinaus nach der Oberförsterei, und du kannst mich begleiten!«
»Oh, Marcell, wie herrlich«, jubelte Iris wie ein Kind dem man ein Vergnügen verspricht, und da ihr auch schon ein Diener folgte, um zu wissen, wo Durchlaucht das Frühstück nehmen werden, so stand der leicht transportable Teetisch mit seinen wohlbesetzten Etageren bald neben dem Schreibtisch, und Iris bereitete am sprudelnden und zischenden Samowar den Tee. Während des Frühstücks schloß Hochwald die Posttasche auf und ordnete die darin befindlichen, für den Schloßbezirk bestimmten Briefe.
»Zwei fürs Rentamt, einen für den Kaplan, einen an die Beschließerin – nun, das ist heut ein magerer Tag«, meinte er. »Doch nein, hier ist noch einer an mich – ein wahres Manuskript von Olga, und wie ein Wiedehopf nach Juchten riechend. Der Kuckuck hole diese modernen Parfüms! Oh, Iris, du bist fertig mit deinem Tee – lies du mir die Epistel vor, das heißt, wenn deine Nase weniger empfindlich ist.«
Iris nahm lachend den Brief mit dem riesenhaften farbigen Monogramm in russischen Lettern entgegen und schnitt das Kuvert auf.
»Ich wette, Boris riecht jetzt auch auf zehn Schritte nach Juchten«, meinte sie, den Brief entfaltend. Und dann las sie wie folgt:
»Mon cher Marcell! Da ist sie wieder heraus aus der Feder, die französische Anrede, wegen der Du mich voriges Jahr in Florenz so ›dienstlich gerissen‹ hast. Aber was willst Du von einer Kosmopolitin, bei der die babylonische Sprachenverwirrung eigentlich doch ganz natürlich ist? Deutsche von Geburt, der Verheiratung nach Russin, in Italien, Frankreich und England zumeist lebend – ich bin ja ein lebendiges Beispiel internationaler Nationalität. Doch um zur Sache zu kommen – Du und Deine Frau, Ihr habt jetzt genug têtê-á-têtês gehabt, und ich finde, daß Se. Durchlaucht der Erbprinz alt genug sind, um Damenbesuch empfangen zu können. Also wir kommen, Sigrid, Sascha und ich, als drei gute Feen an Siegfrieds Wiege zu stehen, das heißt wenn er eine hat. Moderne Kinder werden ja nicht mehr gewiegt, was für den Verstand vorteilhaft, für bequeme Wärterinnen aber sehr unbequem sein soll. Sobald Du auf die Zeilen telegraphierst: »Bienvenu« oder »Welcome« oder »Benvenuto«, dann packen wir und erscheinen als drei Grazien auf Hochwald. Ich sehne mich schon so sehr, das liebe alte Schloß wiederzusehen – nach 22 Jahren zum erstenmal wieder, denn den kurzen Aufenthalt dort im vorigen Jahre zur Vorbereitung von Iris' Empfang kann ich doch nicht als Besuch rechnen. Außerdem war die See in diesen Tagen stark bewegt, und ich hatte nachts, wenn ich schlief, so schreckliche Träume – –
Also wir kommen, und freuen uns darauf, das kann ich wenigstens für mich behaupten und für Sascha auch, die Dich und Iris ganz närrisch liebt und für die See schwärmt. Ob Sigrid sich freut, kann ich nicht sagen