Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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sich selbst dabei wie durch eine hohe Mauer von beiden getrennt. Geistig nicht arm, in vielem sogar reich, fehlte ihr doch die warme Begeisterung, die Iris für alle geistigen Interessen hatte. Und doch hatte auch Sigrid mit Fleiß an ihrer geistigen Bildung gearbeitet, immer überflügelt von der warmherzigen Begeisterung, mit der Iris vorwärts eilte. Martas Fleiß – Marias Glut. Darin eben lag der Unterschied, die himmelweite Kluft.

      Mit Spini hatte Sigrid kein Wort mehr über jene Szene in der Kirche der Badia gewechselt. Er sprach nach wie vor im Erlensteinschen Hause vor und wurde höflich empfangen, ohne irgendwie ermutigt zu werden in seiner Verehrung Sigrids; auch in der Villa Chrysopras traf er oft mit dem Grafen und seinen Töchtern zusammen, widmete sich jedoch dort mehr der strahlenden, armen Sascha, welche übrigens Iris' Porträt im Brautkranze und Schleier, duftig und zart wie ein Gedicht, heimlich als Hochzeitsgabe für ihren Onkel malte.

      »Eine rechte Kunst, wenn man mit Liebe malt«, pflegte sie freudestrahlend zu sagen, wenn Spini, den sie eingeweiht hatte in ihre »Überraschung«, ihr Werk lobte, aus Überzeugung lobte. Da Iris natürlich jeden Morgen mindestens eine Stunde »sitzen« mußte, so war Fürst Hochwald sich über die Natur der Überraschung nicht sehr im unklaren, nur das Wie, die Ausführung blieb ihm als solche vorbehalten.

      Gral Erlenstein sonnte sich sichtlich im Glücke des Kindes, das er zu seinem eigenen gemacht, von dem er selbst nicht mehr empfand, daß es sein eigen Fleisch und Blut nicht war. Wenn er trotzdem stiller ward als ehedem, so war das nicht der Egoismus der bevorstehenden Trennung von seinem »Sonnenschein« – er fühlte sich vielmehr leidend und gestand dies auch Sigrid, die ihn oft bis spät in die Nacht schreibend fand und ihn bat, sich zu schonen.

      »Wer weiß, ob mir noch Zeit bleibt. Ich habe manches zu ordnen!« hatte er mehrmals gesagt.

      Schließlich verging die Zeit wie im Fluge, und der Florentiner Frühling erreichte den Höhepunkt seiner Schönheit. Es war am Vorabend des ersten Mai und um die Dämmerzeit. Iris und Sigrid saßen im Zimmer der letzteren, beide nachdenklich und wenig redend; die junge Braut in der feierlichen, gehobenen Stimmung, die so wohl zum Vorabende ihres Ehrentages paßte – Sigrid müde, traurig und schweren Herzens, in dem sie vergeblich, wenn auch ehrlich kämpfte mit den Dämonen der Eifersucht, des Neides und Hasses, die ihre wilden, lauten Stimmen um so höher erhoben, je näher die Stunde rückte, in welcher Marcell Hochwald und Iris verbunden werden sollten fürs Leben. Ubaldo hatte geräuschlos die Lampe auf einen Seitentisch gestellt und die Jalousien herabgelassen. Iris saß auf einem niederen Sessel, die schlanken Hände nach rückwärts unter den Kopf verschränkt und träumte mit weit offenen Augen von Myrten, Weihrauch und Brautliedern, vom Meere, das ihre neue Heimat umspülte und von ihm, der sie so überselig gemacht.

      Sigrid saß in der Sofaecke und sah geradeaus, und da die Lampe sie blendete, stand sie auf und breitete einen roten Schleier über die Glocke, der das Zimmer alsbald in ein rosa Dämmerlicht hüllte und das weiße Kleid von Iris wie mit Abendröte überhauchte. Es war ein liebliches Bild, und Sigrid mußte gleich daran denken, wie es ihn entzücken würde, wenn er bald eintreten wird, und –

      Mit einem Ruck riß sie den roten Schleier wieder von der Lampe, warf ihn in ein Schubfach und suchte in demselben herum, bis sie einen grünen Schleier fand, den sie nun über die Lampenglocke breitete. Das Licht tat ihren Augen wohl; es glich dem Mondschein, so mild war es, so gedämpft und magisch – und ihre Augen suchten wieder Iris, deren Kleid jetzt grünlich beleuchtet war wie ihr Gesicht, und wenn ihre offenen Augen nicht gewesen wären, man hätte sie können für tot halten, so sehr nahm das grüne Licht die Lebensfarbe von ihrem zarten und doch so lebensfrischen Gesicht.

      Tot! Wenn sie wirklich tot wäre, heute stürbe, am Vorabend ihrer Hochzeit –! Sigrids Herz stockte bei diesem Gedanken, und neben der Lampe stehend, mußte sie unverwandt hinsehen auf das ihr zugewendete zarte Profil von Iris, das sich an dem dunkeln Blau des Sessels wie aus Alabaster geschnitten abhob. Tot –! Was würde Marcell Hochwald sagen, was tun, wenn er heut abend käme und seine Braut tot fände? Oh, sein Schmerz würde ihr, Sigrid, die Seele zerfleischen, aber ihre Sympathie würde ihn stützen, ihn trösten, und am Ende würde sein Herz sich der schönen Trösterin zuneigen, vielleicht vorerst nur, um mit ihr von der Verklärten zu sprechen, und dann – wer weiß! dann auch in Liebe –

      Drüben im Sessel seufzte Iris tief, tief und ließ die Arme herabsinken und den Kopf rückwärts auf die Lehne des Sessels gleiten – die Augenlider sanken ihr herab und schlossen fast ganz diese veilchenblauen Augen, in die er immer so entzückt hineinsah, als könnte er sich nicht satt daran sehen – –

      Aus Sigrids lichtblauen Augen, die eher den Vergleich mit Türkisen als mit dem sanften Vergißmeinnicht herausforderten, schoß ein fast roter Blitz hinüber auf das stille blasse Gesicht im Lehnsessel, und dieser Blitz schien zu erstarren und zu fixieren.

      Iris machte eine Handbewegung, wie um etwas von sich abzuwehren, aber ihre Hand sank schwer und willenlos herab, die Lider schlossen sich, und ihre Züge nahmen eine eigentümliche Bewegungslosigkeit an – –

      Mit angehaltenem Atem, den Oberkörper vorgebeugt, stand Sigrid da und sah unverwandten Blickes hinüber – – konnte ein Wunsch, eine Idee schon töten? War Iris tot? Sie lag im Sessel, ohne sich zu regen, kein Atemzug war hörbar, alles still, still wie der Tod –! Oder täuschte nur das grünliche Licht – –? Langsam, lautlos, wie gebannt schritt Sigrid vor, bis sie neben der regungslosen weißen Gestalt stand. Die weißen Rosen, die Iris heut an die Brust gesteckt hatte, dufteten schwül und stark, kein Atemzug bewegte ihre Brust, und war's nur der grüne Lampenschleier, oder lag auf den stillen, sanften Zügen wirklich jene Farbe des Todes? – –

      Entsetzen faßte Sigrid – wie, wenn ihre sündhaften, mörderischen Gedanken Erhörung gefunden hätten? Sie wollte Iris' Namen rufen, aber die Zunge versagte ihr, sie wollte die Stirn der Schwester berühren, aber sie vermochte nicht einen Finger zu rühren. Da klopfte es diskret an die Tür – Gott, o Gott, wenn Marcell Hochwald jetzt schon käme –! Schleppenden Schrittes trat Sigrid hinweg von dem Sessel – wie sollte sie ihm entgegentreten, wie sich vor ihm verbergen? Aber es war nicht Marcell Hochwald – es war der Cavaliere Spini, der jetzt, nachdem er noch einmal geklopft, die Tür öffnete.

      »Verzeihen Sie, meine Damen«, sagte er eintretend. »Der Graf, bei dem ich mich melden ließ, schickte mich hierher – er wollte mir bald folgen –«

      Noch ehe er ausreden konnte, stand Sigrid schon neben ihm, blaß, verstört, mit irrem Blick.

      »Sehen Sie, dort – Iris!« flüsterte sie. »Ist sie tot?«

      Spini warf einen prüfenden Blick auf Sigrid, die mit ihren starren, kalten Händen wild seinen Arm umklammerte, und trat, sie mit sich ziehend, neben den Sessel hin, in welchem Iris mehr lag als saß.

      »Was ist mit ihr geschehen?« fragte er, sich über sie beugend.

      »Nichts. Ich habe sie angesehen, und dabei ließ sie die Arme sinken und schloß die Augen –«

      »Angesehen! Nur angesehen, ohne etwas zu denken, ohne etwas zu wollen?« fragte der Cavaliere langsam.

      Sigrid fuhr zurück wie getroffen.

      »Wie kann man es verhindern, zu denken?« fragte sie heiser zurück.

      »Und in diesen unvermeidlichen Gedanken, was haben Sie gewollt?« fuhr er mit scharfer Betonung fort, und wieder stellte Sigrid eine andere Frage dagegen:

      »Ist sie tot?« Spini heftete einen seltsam forschenden Blick auf Sigrid und fuhr mit der rechten Hand leicht über Iris Stirn. »Nein«, sagte er ruhig, »sie ist nicht tot. Dazu reicht der menschliche Wille zum Glück nicht hin.«

      »Wie können Sie wagen –«, fuhr Sigrid auf; aber ehe sie vollendet, senkte sie den Blick vor den voll auf sie gerichteten Augen des Cavaliere, und mit gänzlich verändertem Tone fügte sie hinzu: »Schläft sie?«

      »Ja, sie schläft – aber einen künstlichen, unbewußten Schlaf«, erwiderte Spini. »Sie haben Ihre Schwester hypnotisiert, Gräfin – Sie ist willenlos, ein bloßes Werkzeug. Warum nützen sie das nicht aus?«

      »Hypnotisiert!«