Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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wachen Zustande zu tun, als ob es aus ihrem eigenen Willen entspränge –? Herr des Himmels, führen Sie mich nicht in Versuchung«, stöhnte Sigrid.

      Spini lächelte seltsam.

      »Ist der Dämon in Ihnen so stark, daß er eine Versuchung, eine Falle in jedem absichtslosen Worte findet?« fragte er. »Woran denken Sie? An ein Verbrechen? Und ich Ihr Berater, Ihr Mitwisser dazu? Sonderbare Logik! Ich meinte anders! Sie wollten ja so gern einen wunden Punkt in Fürst Hochwalds Vergangenheit wissen – nun, dies wäre doch die beste Gelegenheit, durch dieses Medium zu erfahren, ob überhaupt nur ein Schatten den Charakter jenes Mannes trübt. Legen Sie einen Gegenstand in die Hand Ihrer Schwester, der dem Fürsten gehört hat oder von ihm stammt. Und dann fragen Sie, vorausgesetzt, daß –«

      Er stockte, doch Sigrid achtete nicht darauf. Ihr Blick irrte im Zimmer umher und blieb schließlich an Iris linkem Handgelenk hängen, das ein dickes, schlichtes, goldenes Kettenarmband umschloß, von welchem ein goldener St.-Georgs-Taler herabhing. Diese Münze hatte Fürst Hochwald an der Uhrkette getragen und für Iris an ein Armband hängen lassen, da sie einmal den Wunsch geäußert, einen Georgstaler zu besitzen. Sigrid kettete das Armband von dem Handgelenk ihrer Schwester los, legte die Münze in ihre Linke und dann die herabhängende Rechte darüber. Dann blickte sie mit fieberhaft erwartungsvollen Augen zu Spini auf.

      »Und nun?«

      »Nun fragen Sie!«

      »Ich weiß nicht, wie ich's anfangen soll«, sagte sie unsicher. »Fragen Sie, bitte!«

      Wieder lächelte er sein eigentümliches Lächeln.

      »Wie Sie befehlen«, sagte er indes. Dann machte er mit beiden Händen streichende Bewegungen in der Nähe von Iris Stirn und Schläfen. »Sehen Sie!« befahl er ihr dann mit großer Sicherheit.

      »Ich sehe«, sagte Iris mit jener fremdklingenden Stimme, die immer ein Resultat jener Experimente ist.

      »Sagen Sie, wen Sie sehen.«

      Iris bewegte den Kopf unruhig hin und her, dann lächelte sie.

      »Marcell!« rief sie ganz glücklich.

      »Wo ist er? Allein?«

      »Er steht in einem Blumenladen«, fuhr Iris fort. »Oh, er wählt Blumen für mich! Die Verkäuferin zeigt ihm Kamelien – er schüttelt mit dem Kopfe. Nun bringt Sie weiße Rosen – nicht weiße Rosen! Er wendet sich von ihnen ab und sagt – o Gott, ich kann nicht verstehen, was er sagt!«

      »Hören Sie aufmerksam zu – was sagt er?« befahl Spini.

      »Ich kann nicht«, stammelte Iris.

      »Doch. Sie müssen! Was sagt er?«

      »Er sprach es leise vor sich hin. Um alles in der Welt keine weißen Rosen für Iris. Die weißen Rosen von Ravensberg!««

      »Weiter!«

      »Er scheint bewegt – die Verkäuferin holt andere Blumen, weiße Orchideen! Er kauft sie – für mich! Schnell fort mit den weißen Rosen, damit ich seine Blumen gleich anstecken kann, wenn er kommt!«

      Sigrid zog den Diamantpfeil, mit dem Iris immer ihre Blumen feststeckte, heraus und legte ihn auf ein Tischchen in eine Schale und das Rosenbukett in die Hände der Schwester zu der Münze.

      »Weiter! Was sehen Sie jetzt?« befahl Spini.

      »Er läßt die Blumen in Seidenpapier hüllen und geht mit ihnen fort. Ich sehe ihn durch die Straßen gehen. Er sieht nach der Uhr – er geht weiter.«

      »Ist er allein?«

      »Es geht niemand mit ihm.«

      »Sind Sie dessen so sicher? Sehen Sie genau hin!«

      »Es ist so finster – er steht jetzt im Schatten des Campanile am Dom obendrein.«

      »Geben Sie sich Mühe. Ich will es! Ich befehle es Ihnen! Ist er allein?«

      »Ja. Er nestelt an dem Papier der Blumen – halt! Ein Schatten steht hinter ihm. Aber nicht sein Schatten – ein halb zerflossener Schatten, ein – ich sehe nichts mehr!«

      »Sie sollen aber sehen. Ich will es!« rief Spini, indem er wieder seine streichenden Bewegungen über die Schläfen der Schlafenden machte, die sich unruhig hin und her bewegte.

      »Es ist kein Schatten mehr, nur ein zerfließendes Gebild von Nebeln – ah! Der Mond tritt hinter den Häusern vor, ich sehe«, murmelte Iris. »Marcell steckt die Nadel fest in das Papier, er sieht den Schatten nicht. Aber der Mond scheint durch und durch, ich sehe ihn – es ist eine Frau!«

      »Ah!« machte Sigrid unwillkürlich, aber Spini hob warnend den Finger.

      »Wie sieht die Frau aus? Was tut sie?« fragte er.

      »Sie trägt ein dunkles Kleid und einen weißen Spitzenschleier über dem Kopf und in der Hand – seltsam, in den Händen hält sie ihre langen, blonden Haare – der Mond scheint darauf, und Sie sehen aus wie Sonnengold, so fein, so lang. Oh, ich sehe, unter dem Schleier sind ihre Haare abgeschnitten und um den Hals hat Sie einen schmalen roten Streifen wie ein Band. Es ist aber kein Band. Es tropft daraus und fällt auf die weißen Rosen, die sie an der Brust trägt. Drei weiße Moosrosen. Aber sie leuchten schon ganz purpurn – – ist das Blut?« schloß sie leise zusammenschauernd.

      »Weiter!« befahl jetzt Sigrid, und »weiter!« sagte auch der Cavaliere.

      »Die Frau lächelt«, begann Iris wieder, aber sehr leise und müde. »Sie lächelt, und – oh! ich bin es selber!« schloß sie lauter, wie überrascht, und überraschter noch sahen Sigrid und Spini sich an.

      »Weiter!« befahl letzterer, sichtlich gespannt.

      »Nein, es ist Sigrid«, fuhr Iris fort. »Wir beide sind es – und wieder nein! Es ist die Frau im weißen Rosenkranz in dem weißen Etui, das Papa mir gab –«

      Der Cavaliere sah fragend nach Sigrid hinüber, die aber zuckte mit den Achseln. »Phantasien!« sagte sie enttäuscht. »Iris, ich, ein Porträt –! Enden wir!«

      »Noch eins lassen Sie mich fragen. ›Was tut der Schatten der Frau?««

      »Er neigt sich zu Marcell und spricht – Ich sehe die Lippen sich bewegen –«

      »Hören Sie die Worte!«

      »Ich kann nicht –«

      »Sie müssen. Ich will es!«

      Iris' Antlitz nahm den Ausdruck angespanntester Aufmerksamkeit an.

      »Es ist zu leise«, murmelte sie.

      »Hören Sie! Sie sollen hören.«

      »Ich höre. Der Schatten sagt: ›Die weißen Rosen sind jetzt rot – sie sind gesühnt«. Ah – jetzt zerfließt der Schatten – er ist fort!«

      »Hat der Fürst ihn bemerkt?«

      »Nein.«

      »Hat er die Worte gehört?«

      »Ich weiß nicht. Nein, er hat sie nicht gehört. Er geht jetzt weiter, ganz im Mondlicht –«

      »Ist er allein?«

      »Ja!«

      »Sie sehen keinen anderen Schatten neben ihm?«

      »Keinen.«

      »Sehen Sie genau hin!«

      »Ich sehe nichts, keinen Schatten. Er biegt jetzt vom Domplatz in die Via del Proconsolo – schon ist er am Palazzo von Finito – gleich ist er hier –!«

      »Um Gottes willen«, fiel Sigrid ein.

      »Wachen Sie auf!« befahl Spini mit einigen raschen Handbewegungen, und Iris schlug sofort die Augen auf.

      »Hab' ich geschlafen?« fragte sie, verwundert um sich blickend.

      »Doch – eine ganze Weile lang«, erwiderte Sigrid, ihrer Schwester