Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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Stückwerk vor dem Allmächtigen, daß er da treffen muß, wo es am tiefsten schmerzt, am langsamsten und bittersten abtötet?« – Und fast erliegend unter den Schmerzen seiner Seele, klammerte er sich mit der Rechten an den Stamm des Kreuzes und preßte die Linke gegen die schmerzende Stirn.

      »Es ist alles eitel – auch der Schmerz«, sagte da eine tiefe, ruhige Stimme hinter ihm. Es war der Superior des Klosters, der, im Haine sein Brevier betend, seinen unbekannten Gast beobachtet hatte. Der Angeredete stand auf und nickte ernst.

      »Ich weiß, er endet mit dem Tode«, sagte er. »Aber bis dahin –«

      »Bis dahin legen wir ihn als ein Opfer zu den Füßen des Kreuzes nieder«, entgegnete der Superior mild. »Wir sind zum Schmerze geboren, und für die meisten Menschen ist er notwendig, um durch ihn ihre Seele zu Gott zu führen und zur Erkenntnis Gottes. Hingegen ist es wahr, daß für andere das Glück dazu notwendig ist, denn sie finden in ihm den Weg zur Allgüte. Doch das Glück kann nur wenigen zum Heile gereichen.«

      »Warum?« fragte Hochwald heftig. »Wenn wir glücklich sind, sollen wir Gott dankbar dafür sein – es ist also eine Gottesgabe, das Glück. Wie aber kann es das sein, wenn es nur wenigen zum Heile gereicht?«

      Da trat der Superior einige Schritte beiseite und pflückte den Stengel einer Pflanze ab.

      »Seht, mein Freund«, sagte er, »dies ist das Kraut des Stechapfels, der ein furchtbares, verheerendes Gift enthält. Und doch hat Gott auch diese Pflanze wachsen lassen, denn in der Hand des Arztes, des Geprüften, des Wissenden, wird es zum Heilmittel. Versteht Ihr den Vergleich?«

      »Doch, mein Vater, und ich danke Ihnen dafür«, erwiderte der Fürst müde und gebrochen. »Leider hat der Vergleich mit dem Glück keinen Bezug mehr auf mich, und eines Tages werde ich doch erscheinen und Sie um eine Ihrer leeren Zellen bitten.«

      »Die Zelle könnt Ihr jederzeit haben«, sagte der Superior ruhig. »Aber dennoch – seid Ihr auch sicher, daß Euer Schmerz von Bestand ist? Nichts ist trügerischer als Schmerz und Freude, nichts ist flüchtiger als sie.«

      Hochwald senkte den Kopf und dachte nach – nicht über die Beständigkeit seines tiefen Unglücks, denn dieses hatte sich ihm verbunden für dieses Leben, sondern es war ihm plötzlich der Gedanke gekommen, sich diesem schlichten Franziskaner mit den klugen, milden Augen anzuvertrauen. »Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen, mein Vater«, sagte er dann kurz entschlossen. »Habt Ihr Zeit, mich zu hören?«

      Der Superior heftete seinen klugen Blick durchdringend auf seinen, wie ihn dünkte, recht seltsamen Gast.

      »Ihre Geschichte, mein Sohn?« fragte er langsam.

      »Sei es, meine«, erwiderte der Fürst nach einer Pause. »Es sind zwanzig Jahre her, daß ich mit jemand darüber gesprochen habe – im Beichtstuhle, Herr Superior – aber er Zweifel ist geblieben, das ist ein Stachel im Herzen, der nimmer ruhen will, und heut, heut ist er so frisch wie am ersten Tage.«

      »Wollen wir in die Kirche gehen?« fragte der Franziskaner zögernd.

      »Nein«, antwortete Hochwald. »Ich sagte Ihnen ja schon, daß ich im Beichtstuhle freigesprochen wurde, trotzdem ich nichts beschönigte, keine Falte meines Herzens undurchforscht gelassen habe.«

      »Das Menschenherz ist trügerisch, mein Sohn. Es sucht und findet stets etwas, seine Fehler zu beschönigen.«

      »Ich habe nichts beschönigt – im Gegenteil, ich habe schwärzer gemalt, als es war. Und nicht in diesem Sinne habe ich den Zweifel genährt zwanzig lange Jahre hindurch – mein Herz war damals zu sehr erschüttert, um unaufrichtig zu sein. Wollen Sie mich hören?«

      Statt aller Antwort setzte sich der Superior auf die Rasenbank zu Füßen des Kreuzes.

      »Ich höre«, sagte er einfach.

      Und Hochwald erzählte, was er allein getragen seit so langer Zeit. Als er geendet, atmete er erleichtert auf – das hatte ihm wohlgetan. Der Superior hatte ihn mit keiner Silbe unterbrochen, doch als sein Gast geendet, da erhob er sich und trat, den Blick voll und bis in die Seele dringend, vor den Fürsten hin und legte ihm die Hand auf die Schulter.

      »Können Sie beim Kreuze schwören, mein Sohn, daß Ihre Gedanken rein, Ihre Worte absichtslos waren?«

      Hochwald trat einen Schritt näher und legte die Rechte wie zum Schwur auf den Stamm des Kreuzes, vor dem sie standen.

      »Ich schwöre es beim Kreuze«, sagte er feierlich.

      Und der Superior legte wieder die Hand auf die Schulter seines Gastes, und in seinen Augen glänzte es feucht.

      »So geh hinab, mein Sohn«, sagte er mild, »geh hinab, zurück in die Welt, wo dein Platz ist, und führe das liebliche Kind heim in dein Haus und singe Gott ein Halleluja, der es so gefügt, daß die schönste und herrlichste Sühne dir erwuchs in der Zeit deiner Buße!«

      Lange noch weilte Hochwald oben im Klostergarten unter Zypressen und Lorbeeren im ernsten Gespräch mit dem Superior, und als er endlich zurückfuhr, da betrat er Florenz als ein Mann, der den Zweifel bekämpft und überwunden hat.

      Trotzdem aber suchte er das Erlensteinsche Haus heut nicht mehr auf, denn nach den seelischen Erschütterungen dieses Tages bedurfte er der Ruhe, um sein inneres Gleichgewicht wiederherzustellen. Und dazu half ihm am besten der Gedanke an sein Glück. Wie pries er seinen Entschluß, sich dem Superior droben anvertraut zu haben – wie schlagend und wunderbar versöhnend hatte ihm der ergraute, weltfremde und doch so tief in die Seele blickende Mönch bewiesen, daß seine Zweifel Seifenblasen waren, die vor den Wahrheiten der Religion zergingen und zerflossen, und nun dünkte es ihm fast wunderbar, daß er es je anders als in diesem Lichte betrachtet.

      Über Nacht kam dann ein großer Frieden über ihn, eine Ruhe, um die er so lange gerungen und die er doch nicht gefunden hatte. Als er am anderen Morgen, so zeitig, als es der gute Ton nur eben gestattete, am Erlensteinschen Palazzo die Glocke zog und dem anmeldenden Diener auf dem Fuße folgte, standen der Graf und seine beiden Töchter – denn so müssen wir sie doch wohl auch ferner nennen – schon angekleidet zum Ausgehen im Korridor, und die förmliche Meldung Ubaldos: »ll Principe tedesco« verhallte ungehört, da die hohe Gestalt Hochwalds gleichzeitig vor ihnen stand.

      »Grüß Gott, lieber Fürst, wollen wir nicht in mein Zimmer treten?« fragte Graf Erlenstein, auf den das Erscheinen Hochwalds mächtig, weil gänzlich unerwartet, gewirkt. Aber Hochwald hörte nicht – sein Auge ruhte auf Iris, die bleich, mit großen Augen und klopfendem Herzen am Treppengeländer lehnte, als müsse sie mit einer Ohnmacht ringen. Da trat er zu ihr heran, nahm sie in seine Arme und lehnte ihr blasses Köpfchen sanft an seine Brust, wie man ein krankes Vögelchen bettet, und so trat er mit ihr vor den Grafen hin: »Darf ich sie behalten? Wollen Sie mir Iris geben?« fragte er mit dem nur ihm eigenen, warmen und liebenswürdigen Ton.

      Graf Erlenstein sah ihm tief, tief in die Augen, in diese offenen, ehrlichen Augen, die den tiefsten Grund seiner Seele wiederzuspiegeln schienen.

      »Marcell, Sohn meines Herzens–mach Sie glücklich, glücklich«, sagte er tiefbewegt.

      Und nun traten sie wirklich zurück in des Grafen Zimmer, in dem sich Hochwald aufatmend umsah. Wie anders heut als gestern, dachte er, nach der Fensternische blickend, in der er gestern den Schlag empfangen, den er für den härtesten des Schicksals gehalten. Und nun hatte sich ihm auch der in Segen verkehrt!

      Nachdem er Iris freigegeben, hatte sich diese wortlos an die Brust dessen geschmiegt, der ein Vater für sie gewesen, solange sie lebte, den sie als Vater liebte.

      »Ist es sehr, sehr undankbar von mir, daß ich ihn so lieb habe und dich verlassen will?« flüsterte sie ihm unter Tränen des Glückes zu.

      Graf Erlenstein strich ihr liebkosend über das lichte Blondhaar, von dem sie den Hut wieder abgenommen. »Du folgst dem Naturgesetz und einer urewigen Bestimmung, mein Sonnenscheinchen«, sagte er weich. »Es macht mich ja so glücklich, weil du die beste Wahl getroffen, weil du selbst ja glücklich bist!«

      Da umklammerte Iris noch einmal stürmisch