»Ich gratuliere«, erwiderte Sigrid laut und maschinenhaft. »Ich gratuliere« wiederholte sie, dem Fürsten die Hand reichend, durch deren Handschuh man die eisige Kälte derselben verspüren konnte. Und zum drittenmal sagte sie: »Ich gratuliere«, indem sie die Wange ihres Vaters küßte, der sie herzlich umarmte.
»Nun bleiben wir allein, Sigrid – es wird sich kaum das Wirtschaften lohnen«, scherzte er, »allein, bis auch du dem guten Beispiel deiner Schwester folgst!«
Aber Sigrid sagte nur noch einmal: »Ich gratuliere«, mit derselben automatenhaften, ausdruckslosen Stimme, und dann verließ sie das Zimmer – ruhig, langsam, beinahe lächelnd.
»Papa, Sigrid ist gewiß krank!« rief Iris beunruhigt. »Sie ist schon seit mehreren Tagen so sonderbar – wie sie niemals war!«
»O Iris, auch du warst so blaß, wie ich kam«, meinte Hochwald; aber eine rosige Röte, die sich über ihr reizendes Gesicht ergoß, behauptete jetzt siegreich das Gegenteil.
»Das machte, weil ich zwei Nächte lang so ängstlich geträumt hatte, und weil – weil ich doch wußte, daß du gestern hier warst und wieder fortgegangen bist«, gestand sie stockend. »Und Papa sah mich immer so mitleidsvoll, so traurig fast an – und – und da glaubte ich, mein Glück wäre dahin und du kämst nicht mehr wieder! Aber ich war zu feig, um eine Frage zu tun, aus Furcht, daß es wahr sein könnte.«
Da wechselte Hochwald mit dem Grafen einen Blick, der bei letzterem deutlich sagte: Gottlob, daß sie nicht gefragt – was hätte ich antworten sollen –? und dann verließ auch er das Zimmer, um den Verlobten den ersten Austausch ihres Glückes unter vier Augen zu gönnen.
Sigrid aber war die Treppe hinabgestiegen und auf die Straße getreten – sie hatte keine Absicht, irgendein Ziel zu verfolgen, sie mußte nur hinaus, denn die Steinmauern des alten Verschwörerpalastes schienen auf sie herabstürzen zu wollen. In die Via del Proconsolo einbiegend, ging sie äußerst langsam, fast feierlichen Schrittes weiter, bis sie vor dem Bargello stand, an dessen Portal eben ein Wagen vorfuhr. Hatte da nicht jemand »Sigrid« gerufen? Um Gottes willen, jetzt keine Bekannte sehen – jetzt nicht! Die Tür zur Kirche der Badia, dem Bargello gegenüber, stand offen – – ein paar hastige, schnelle Schritte, sie schloß sich hinter ihr, und Sigrid stand in der alten Klosterkirche, noch ganz atemlos und nicht wissend, wohin sich zu wenden. Am Hochaltar wurde eben die letzte, stille Spätmesse an diesem Morgen gelesen, und nur wenige, hie und da zerstreute Andächtige knieten vor ihren Strohstühlen. Durch die Luft schwebte es noch schwer duftend vom Weihrauch, und die Sonne schien hell durch die gemalten Scheiben – da sah Sigrid zur Linken eine Kapelle geöffnet, die leer schien – dorthin schritt sie leise, und da sie sich wirklich hier allein fand, sank sie auf einen geschnitzten Betstuhl in einer halbdunkeln Ecke nieder und legte die glühende Stirn auf ihre Hände.
Über ihr auf dem Altarbilde lächelte die lieblichste Madonna des Filippino Lippi auf den verzückten St. Bernhard herab, dem sie als eine himmlische Vision erscheint – Sigrid sah nichts von dem bewunderten, vier Jahrhunderte alten Meisterwerk, dem Stolz der Badia, sie spürte nichts von dem Gottesfrieden, der hier schwebte und webte, sie hörte auch nicht das Glöcklein des Ministranten vor dem Hochaltar, das zum Sanctus läutete – sie spürte nur das Pochen in ihren Schläfen und den stockenden Schlag ihres Herzens, und statt andächtig sich zu sammeln, tanzten ihre Gedanken einen wilden, rasenden, unheiligen Reigen.
Sie fühlte plötzlich, wie ihre Gedanken zurückwichen, wie ihre Glieder schwerer wurden und eine seltsame Willenlosigkeit über sie kam. Es war ihr, als müßte sie ihre fliehenden Gedanken haschen und zurückhalten, aber die wichen immer weiter, weiter, in eine unabsehbare Ferne – da raffte sie ihre letzte Willenskraft zusammen und hob den Kopf, um – mit ihren Augen dem starr auf sie gerichteten Blick des Cavaliere Spini zu begegnen, der in der Tür zur Kapelle stand und auf sie hinschaute.
Die Kapelle schien sich im tollen Reigen um sie herumzudrehen – sie streckte die Arme aus, wie um sich zu halten – vergebens – sie fühlte sich sinken – aber noch ehe sie den Boden berührte, hatte der Cavaliere sie aufgefangen und ließ sie an einem Fläschchen mit englischem Salz riechen. Das brachte sie im Moment zu sich, aber noch ganz bebend kauerte sie auf dem Kniebrett ihres Betstuhles nieder, das Gesicht verstört, den Blick seltsam wirr geradeaus gerichtet.
»Sie sind ein gutes Medium für hypnotische Experimente, aber Sie haben auch viel Willenskraft«, sagte Spini nach einer Weile flüsternd. »Ich hatte nicht einmal gewollt, daß Sie aufsehen sollten – nein, fürchten Sie nichts«, setzte er hinzu, als Sigrid eine entsetzte Bewegung machte, »ich wiederhole das Experiment nicht.«
Wieder war alles still, und Sigrids Atem ging schwer; – da lehnte der Cavaliere sich an den Betschemel an und beugte sich tiefer herab zu ihr.
»Warum sind Sie in eine Kirche gegangen, wenn Sie aus dem Brevier des Teufels beten wollen?« flüsterte er ihr zu, und obgleich sie zusammenzuckte, sah sie doch nicht auf – was las dieser entsetzliche, unheimliche Mensch in ihren Gedanken? Und dennoch konnte sie einer immer heftigeren Versuchung nicht widerstehen – hier, hier hatte sie vielleicht das Mittel gefunden, um – –
Sie erhob sich mühsam und kniete wieder auf dem Betstuhl nieder, so daß das Ohr Spinis dicht an ihrem Munde war, da er immer noch auf der anderen Seite an dem Pulte lehnte.
»Meine Schwester hat sich vorhin verlobt – mit dem Fürsten Hochwald«, flüsterte sie.
»Ah, eine edle, eine gute Verbindung zweier alter Häuser«, erwiderte Spini ebenso. »Das wird immer seltener in der Welt!«
»Diese Verbindung darf nicht stattfinden – ich will es nicht!« – stieß Sigrid sprühenden Blickes heraus.
»Warum?« war die kühle Frage des Cavaliere darauf.
»Weil – weil –.« Der Atem stockte ihr so, daß sie nicht weitersprechen konnte.
»Sie brauchen mir das Warum nicht zu sagen, ich weiß es«, sagte Spini dicht an ihrem Ohre sehr ruhig. »Gestern noch hätte die Erkenntnis, daß Sie, Sigrid, den Fürsten Hochwald lieben, mich wahnsinnig gemacht – heut nicht mehr. Nicht mehr nach dieser Nachricht. Ich fühle ja mit Ihnen, wie es tut, wenn man liebt und keine Gegenliebe findet – aber –«
Er vollendete nicht, denn wieder blickte Sigrid auf zu ihm mit eigen glitzernden Augen.
»Wenn Sie mich wirklich lieben, wie Sie sagen, so verhindern Sie diese Heirat«, flüsterte sie mit heißem Atem.
Er fuhr zurück, daß er nun neben dem Pulte stand.
»Wenn Sie mich wirklich lieben!« wiederholte er langsam für sich. »Oh, über den Dämon im Weibe, der zweier Menschen Lebensglück zertrümmern will, weil sie nicht des einen Erwählte ist! Wir leben aber nicht mehr in Cinquecento, dem Zeitalter der Erbschaftspulver und der Aqua Toffana! Wie soll ich denn diese Heirat verhindern? Kenne ich ein Ehehindernis?«
»Suchen Sie eines«, flüsterte Sigrid.
»Das Leben Ihrer Schwester liegt Tag für Tag offen vor Ihnen – dort werden Sie wohl vergebens suchen! Nun, und der Fürst sieht nicht aus, als ob er ein Skelett im Hause hätte«, erwiderte Spini ebenso leise. »Was dann?«
»Dann? Was weiß ich –? Helfen Sie mir, helfen Sie mir diese Heirat verhindern um jeden Preis!« hauchte Sigrid schwer atmend.
»Um jeden Preis!« wiederholte er wieder mit eigentümlicher Betonung. »Sehr verbunden, Signorina! Bin ich ein Bravo?«
Bei diesen Worten fuhr sie auf, zitternd, bleich, entsetzt. Ein Bravo –?!« stammelte sie.
»Nun ja! Was scheuen Sie den Ausdruck, wenn Sie doch die Meinung haben?« fragte Spini kühl. »Ein Bravo erhielt Geld für seine – Arbeit. Was soll ich erhalten?«
Sigrid kniete wieder hin und barg das Antlitz in den Händen – es schwindelte ihr