Wie's Fürst Hochwald versprochen, so geschah es; der Zauber seines Titels auf dem vorgezeigten Permesso, verbunden mit dem nötigen fürstlichen »mancio« öffneten ihm und Iris die Pforten zu diesem Paradiese, und allein schritt er mit ihr durch die großartigen Räume. Sie sprachen von nichts anderem als von jenen dahingegangenen Tagen, in denen die Mediceer hier Hof gehalten zur Sommerszeit, von Kaiser Karls V. Besuch und jenem furchtbaren Mahl, das Bianca Capello ihrem Schwager und Todfeinde, dem Kardinal und späteren Großherzoge hier bereitet haben soll, diesem Mahl, dem der eigene Gatte, der sie auf den Thron gehoben, zum Opfer fiel. Auch das Gemach, in welchem sie selbst, nun alles verloren, den Rest der todbringenden, kandierten Früchte verzehrte und starb, besuchten sie und standen neben dem kostbaren Bette der schönen Venetianerin – dann aber mußte Andrea del Sartos Darstellung der Tributpflichtigen mit seinem Farbenzauber die düsteren Erinnerungen verwischen helfen. Und als sie dann vor dem Wandgemälde des Franciabigio, »Der Triumph Ciceros«, standen und Iris die Frage stellte: »Aber das ist ja auch eine Huldigung für Cosimo l., denn Cicero trägt seine Züge« – da erwiderte Hochwald ganz unvermittelt: »Warum sahen Sie heut während der Fahrt so leidend, fast verstört aus, Gräfin?«
»Sigrid war heut Nacht krank und sprach so wirr – wohl im Fieber – und das hat mich erschreckt«, entgegnete Iris nach einer Pause leise, ohne den Blick von dem Gemälde zu wenden.
»Und was hat Gräfin Sigrid gesagt?« forschte der Fürst mit so liebevollem Interesse, wie wenn man mit einem Kinde spricht, und der warme Herzenston trieb dem gequälten – zum erstenmal in ihrem Leben gequälten jungen Mädchen die Tränen in die Augen. Aber sie antwortete nicht, sondern schüttelte nur mit dem Köpfchen.
»Ich sehe, es hat Sie sehr erschüttert – nicht verstimmt, sondern wirklich ergriffen«, fuhr Hochwald im gleichen Tone fort. »War es denn gar so schlimm? Darf ich's wirklich nicht wissen?«
»Besser nicht«, murmelte sie abgewendet.
»Ich möchte aber so gern Ihren Kummer teilen«, beharrte er auf seiner Frage. »Geteilter Schmerz ist halber Schmerz – und dann, ich kann Sie nicht leiden sehen. Sie nicht!«
»Nein?« fragte sie unter Tränen und sah zu ihm auf mit einem strahlenden, glücklichen Lächeln.
Da ergriff Hochwald ihre kleine, schlanke Hand und sah ihr tief ins Auge.
»Könnten Sie Vertrauen zu mir haben, Gräfin?« sagte er weich.
»O ja!« erwiderte sie ohne Zögern. »Ihnen könnt' ich alles sagen, alles! Ich hatte Vertrauen zu Ihnen in dem Moment, als Sie vorgestern Abend in Saschas Atelier traten. Der Cavaliere würde es den verwandten Magnetismus der Seele nennen, nicht wahr?«
»Wie's genannt wird, bleibt sich gleich, Gräfin – glücklich, sehr glücklich macht's auf jeden Fall«, entgegnete der Fürst warm, indem er immer noch die kleine Hand in der seinen hielt. »Und darum kann ich Sie auch nicht leiden sehen. Sie hatten so erschreckte Augen, wie wenn Sie etwas Niegehörtes, Ungeheures immer noch in sich nachklingen fühlten – war's nicht so?«
»Oh, wie gut Sie das wissen!« rief Iris überrascht. »Ja ich hab's so ganz allein verwinden müssen – Papa wollt ich's nicht sagen, denn ich wollte ihn nicht bekümmern, und am Ende hat Sigrid doch recht –«
Sie sah fragend auf zu ihm, doch er schüttelte mit dem Kopf.
»Wie kann etwas richtig sein, was Sie so aus dem Gleichgewicht bringen konnte,« meinte er so liebreich, daß es Iris von neuem die Tränen in die Augen trieb. »Vielleicht, wenn Sie mir's vertrauten, könnte ich Ihnen raten. Aber es ist wohl eine zu kühne Bitte?«
Sie kämpfte einen Augenblick mit sich – dann sah sie auf zu ihm, ernsthaft, aber mit dem ganzen Unschuldszauber ihrer reinen Seele in den klaren blauen Augen.
»Ich werd' es Ihnen sagen, ja«, sprach sie leise. »Sie sind ja der beste Richter dafür. Sigrid warf mir vor, ich hätte mich aufdringlich und – unweiblich betragen, indem ich zu Ihnen über meine Nordsee-Sehnsucht sprach. Ist's Ihnen auch so erschienen? Wenn ja – dann verzeihen Sie mir – es geschah bei Gott nicht in der Absicht – deren Sigrid mich zieh – – oh, nun machen Sie solch ein ernstes, fast finsteres Gesicht – Sigrid hat also recht!«
»Nein, Sigrid hat unrecht!« erwiderte Hochwald empört. »Sind Sie denn darum behütet und gepflegt worden im Elternhause wie eine fremde, köstliche Blume, damit die eigene Schwester den Blütenstaub von Ihrer reinen Kinderseele streift? Gottlob – es war nur ein grausamer, aber mißglückter Versuch, der verletzt, aber nicht geschadet hat. Iris, Sie, die holde, reine Blume unweiblich – oder war's gar ein härteres Wort? Gott im Himmel, ist's möglich!« rief er außer sich, als Iris sich errötend abwendete.
»Nein, nein!« sagte sie bittend. »Sie hat's ja nicht so schlimm gemeint, sie war krank, überreizt – sie ist ja sonst so lieb und gut zu mir. Ich hätte es Ihnen doch nicht sagen sollen –?!«
»Bereuen Sie schon Ihr Vertrauen zu mir?«
»Nur, weil es Sie gegen Sigrid aufgebracht hat. Das wollte ich nicht!« war die sanfte Antwort.
Hochwald durchschritt ein paarmal den Saal, ohne zu sprechen. Dann blieb er vor Iris stehen.
»Darum also wollten Sie vorhin nicht mit mir hierher gehen«, begann er. »Und trotzdem es Ihrer Schwester also gelungen ist, Ihnen die Harmlosigkeit und Unbefangenheit zu rauben, trotzdem behaupten Sie, sie hätte es nicht so gemeint? Gleichviel – ich will Ihnen den Glauben an die Schwester nicht trüben. Nur eine Frage erlauben Sie mir: scheine ich Ihnen nicht hinreichend alt, um Sie beschützen zu können?«
»Warum reden Sie nur immer von Ihrem Alter?« fragte sie zurück, mit einem Versuch ihres lustigen Lachens.
»Aber ich bin alt – so alt, daß ich Ihr Vater sein könnte. Daher das Vertrauen, das ich Ihnen erwecke«, erwiderte Hochwald mit merkwürdiger Spannung im Ton und im Blick. Iris aber schüttelte mit dem Kopfe.
»Ich habe schon viele alte Herren kennengelernt, zu denen ich ihres Alters wegen sicher kein Vertrauen gehegt hätte«, erwiderte sie lächelnd.
»Und Ihr Vertrauen zu mir – woher stammt es?«
»Ich weiß es nicht«, sagte sie einfach. »Es muß wohl aus dem Herzen kommen.«
»Aus dem Herzen«, wiederholte er tief bewegt. »Iris, glauben Sie, daß dieses selbe Herz, Ihr junges, reines, unberührtes Mädchenherz diesen alten Mann, mich auch lieben könnte? Ich meine nicht mit der vertrauenden Kindesliebe, sondern mit der großen, heiligen, unbedingten und schrankenlosen Liebe der Braut –«
Er schwieg in tiefster, mächtigster Bewegung, denn sie war jäh erblaßt und stand vor ihm mit großen, erschrockenen Augen und gefalteten Händen wie erstarrt – – –
Und er nahm sachte ihre beiden Hände in die seinen und beugte sich tief herab zu ihr – –
»Iris, ich liebe dich von ganzem Herzen«, sagte er schlicht und darum so überzeugend.
»Aber ist's denn möglich?« stammelte sie mit stockendem Atem. »Ich träume wohl nur – – Sie lieben mich, Sie der mir wie ein Sonnengott erschienen ist – mich, mich armes, dummes Mädchen, das nicht wert ist, von einem Manne, wie Sie es sind, beachtet zu werden! Oh – so müssen Sie nicht mit mir scherzen!«
Da nahm er sie sanft und liebevoll in seine Arme und küßte ihren blassen Mund.
»Hab Dank für dieses unbewußte, süßeste Liebesbekenntnis«, sagte er leise. »Und so ist's denn wahr – du willst mein werden, du, der junge knospende Frühling, und ich, der beginnende Herbst? Liebst du mich so sehr, um die zwischen uns liegenden Jahre siegreich zu überbrücken?«
»Ich weiß nichts von Jahren – ich weiß nur, daß ich Sie lieben muß oder – sterben«, erwiderte sie leise, wie erlöschend.
»Iris, meine süße Braut –«
Und