Fürst Hochwald ging ruhig auf ihre Ideen ein, beantwortete ihre Fragen und widersprach ihren etwas herben Auffassungen und Ansichten, je nachdem – alles mit der Höflichkeit und Ruhe des Kavaliers, die freilich in nichts eine wärmere Anteilnahme an der schönen Fragerin verriet, während sein Blick oft genug auf Iris abschweifte und ihre erschrockenen Kinderaugen suchte. – Im anderen Wagen hatte Boris Chrysopras sich fast mit seinem Schicksal ausgesöhnt, denn Miß Grant hatte seinen Beistand beim Ankauf von Wagenpferden erbeten. Die Wahl wurde ihr schwer zwischen zwei irischen Halbblutfüchsen und einem neunzölligen Orloff- Traber, Rappe, und daher wollte sie bei Boris Rat einholen – eine sehr anmutige Koketterie, denn sie hatte sich längst für den Rappen entschieden und verstand sich auf den Wert eines Pferdes besser als selbst Boris, der Sportsmann –, sie, die auf ihres Vaters Farm ungesattelt geritten hatte! Das wußte nun Boris freilich nicht, daher schmeichelte ihm Miß Fuxias Bitte. Er versenkte sich mit seinem holden Gegenüber in eine höchst fesselnde Auseinandersetzung über den Vorzug des half-bred gegen das full-bred bei Wagenpferden, und daher hatte Sascha auch die Gesellschaft des Cavaliere ganz für sich. Sie sprachen beide über Kunst und Sascha über ihren Wunsch, ganz der Kunst zu leben, im besonderen, und so verging auch diesem Paar trotz der verschiedenen inneren Gefühle die Fahrt angenehm genug, denn der Cavaliere war wohl unterrichtet und Saschas Wissen nicht gering; nicht weil sie darin einem Wunsche ihrer Mutter folgte, die von der Ansicht ausging, daß Mädchen nur das zu lernen brauchten, was die Mode gerade erforderte, sondern weil sie einem inneren Drange ihres scharfen Verstandes folgte, indem sie ihn rastlos weiterbildete.
Trotz alledem war wohl jedes erleichtert, als die Wagen die Hängebrücke über den Ombrone passierten und dann am Eingange zum Park der berühmten Villa Poggio a Cajano hielten, für den Fürst Hochwald sich einen ausgedehnten Permesso verschafft hatte. Man suchte nun zunächst den Kustode der Villa auf, der den Herrschaften einen der Pavillons im Park öffnete, damit sie dort ihr Picknick abhalten konnten. Die Damen deckten die Tafel mit allem Mitgenommenen verlockend genug, und dann »lunchte« man, wobei die gute Laune das Oberwasser bekam und die kleine Gesellschaft sehr heiter wurde – Miß Fuxia Grant beinahe ausgelassen sogar, denn sie hatte sich ohne weiteres neben den Fürsten gesetzt und suchte ihn durch ihre Unterhaltung, durch das Feuer ihrer Augen und durch jedes irgend angängige Mittel und Mittelchen der Koketterie in ihren Bannkreis zu ziehen. Hochwald gestand später lachend, er sei sich in diesem Kreuzfeuer vorgekommen wie Mephisto, als er der immer deutlicher werdenden Frau Marthe Schwertlein zu wehren hatte, damit sie nicht gleich das Aufgebot in der Kirche bestelle.
Die alte Fürstin Ukatschin war am Ende denn doch ein wenig ungehalten über ihren Schützling, wurde aber von Madame Chrysopras überstimmt.
»Unsinn, Tatiana«, raunte sie ihr zu. »Jedes Tierchen hat sein Pläsierchen – na, und diese kleine schneidige Person hat's doch von vornherein gesagt, daß sie nach Europa gekommen ist, um sich zu verheiraten. Boris wird ihr das Kokettieren schon anstreichen, wenn sie erst seine Frau ist.«
»Ja, wenn!« murmelte die Ukatschin, der auch daran lag, daß Boris eine reiche Frau nahm. Warum, wußte ihr Geldbeutel am besten! Aber sie hatte noch einen feinen Trumpf zu seinen Gunsten in der Hand, den sie immer aufgespart, aber jetzt auszuspielen für gut hielt. Und als man nach beendeter Mahlzeit sich in den Stühlen zu kurzer Siesta zurücklehnte, während die Herren eine Zigarre anzündeten, da vertraute die Fürstin der aufhorchenden Amerikanerin an, daß sie die letzte des Namens Ukatschin sei und alle Hoffnung hätte, Namen und Titel auf Boris durch einen kaiserlichen Ukas übertragen zu sehen. »Freilich«, setzte sie seufzend hinzu, »freilich das Vermögen fließt nach meinem Tode an eine Stiftung, und Boris erhält nur meine eigene Mitgift, die mit dem Titel in keinem Verhältnis steht. Aber ein Mensch von den Fähigkeiten meines Neffen muß auch dieses Hindernis besiegen.«
Der letzteren Rede Sinn war freilich dunkel genug, doch nicht für die hellsehende Tochter der Yankees. Sie notierte das Gehörte in ihrem Gedächtnis, und dann fragte sie bedächtig »Und sind Sie dieses kaiserlichen Ukas ganz sicher, Fürstin?«
»Doch, ja, das heißt – Boris hat Revenuen bis zu einer bestimmten Höhe nachzuweisen – also die Zinsen von mindestens 500 000 Rubeln«, erwiderte die Ukatschin vertraulich.
»Lumperei«, war alles, was Miß Grant achselzuckend darauf erwiderte. Dann überlegte sie. Eine russische Fürstin würde sie schon werden wollen, lieber aber noch eine englische Herzogin oder eine deutsche, landsässige Fürstin – das war gediegener. Immerhin aber stiegen Boris' Aktien über pari.
Die Zigarren waren zu Ende, Miß Grant hatte zu den eigentümlich schwirrenden Klängen eines von ihr mitgenommenen Banjo, jener Negermandoline, ein paar ihrer Negrosongs zum besten gegeben – und indem man den Leuten aus der Villa das Einpacken der Picknickkörbe überließ, ging's hinaus in den herrlichsten aller italienischen Parks zu Füßen des letzten Hügels des nordöstlich sich abdachenden Monte Albano – in jenen Park, darin Lorenzo der Prächtige gewandelt und seine berühmte »Ambra« gedichtet hatte. Da die Gesellschaft die Neigung zeigte, sich zu teilen, gab man als Parole eine bestimmte Stunde zu Füßen der Villa aus, und dann schwirrte alles auseinander.
Miß Grant hatte sich an Iris Erlensteins Arm gehängt und rief sowohl Hochwald als auch Boris an ihre Seite, denn da sie durchaus keine historischen Erinnerungen aufzufrischen gedachte, so versuchte sie's wenigstens mit der viel schöneren »and far more interesting« Gegenwart. Fürst Hochwald aber hütete sich wohl, interesting zu sein, und überließ diese schöne gesellige Tugend seinem Neffen, und so kam es, daß sich Miß Fuxia bald mehr an den letzteren wendete und, mit diesem vorausschlendernd, Hochwald mit Iris sich folgen ließ. Man befand sich jetzt in einer Art von Labyrinth, wo schmale, schattige Gänge sich rechts und links abzweigten, und als das vordere Paar plötzlich hinter einer dichten und hohen Taxushecke verschwand, da flog über Iris' längst schon mehr und mehr aufgeheiterte Züge das alte, heitere Schelmenlächeln. »Jetzt hätt' ich Lust, durchzubrennen«, flüsterte sie, stehenbleibend, und als Hochwald sie fragend ansah, erklärte sie: »Um allein die Villa zu sehen – allein! Verstehen Sie den Genuß, Durchlaucht? Nicht gefolgt von einem, sein Pensum ableiernden Lakaien, nicht anhören zu müssen, wenn Madame Chrysopras die Möbel für Gerümpel und die Gemälde für verräucherte Schmierereien erklärt, Miß Grant neue Möbel für bequemer und schöner hält, und kein Mensch eine Ahnung hat von dem Geist der Mediceergröße, der dort umgeht, umgehen muß. Ich hab's ja gar nicht gewußt, daß ich mit meiner Idee, die Villa Poggia zu besuchen, in solch ein Wespennest stechen würde«, schloß sie mit drolligem Ärger.
»Nun, Gräfin, ich will's Ihnen gestehen – auch ich habe schon an Flucht gedacht«, erwiderte Hochwald lachend über ihren Eifer. »Denken Sie sich in mir einen Einsiedler, der plötzlich in eine Gesellschaft gerät, von der er sich seit zwanzig Jahren ferngehalten hat! Auch mir sind solche Massenbesuche von Schlössern der Inbegriff alles Entsetzlichen. Wie wär's, wenn wir beide, Sie und ich, auf heimlichen Pfaden flüchteten und die Villa besichtigten, ehe die anderen kommen!«
»Wundervoll!« jauchzte Iris auf. »Das gibt ja einen köstlichen Spaß. Aber«, setzte sie dann stockend hinzu, »aber was wird Sigrid sagen?«
»Das werden wir ja später hören«, erwiderte Hochwald beinahe übermütig. »Kommen Sie, Gräfin, lassen Sie sich entführen!«
»Von Herzen gern«, lachte sie, und mit raschen Schritten bogen sie in eine schmale Allee ein, welche direkt gegen die Südseite der Villa führte. »Jetzt fang« ich erst an, mich auf das Schloß zu freuen, auf diesen Lieblingssitz des Lorenzo, des Cosimo und seiner armen Eleonore, der Bianca Capello –! Und kein Lakai wird mit uns gehen?«
»Das will ich schon verhindern«, versprach Hochwald. »Es gibt noch Fälle, wo der ›Fürst‹ einem gute Dienste tut und als ›Sesam‹ praktisch verwendet werden kann.«
Heiter plaudernd eilten sie weiter, um nur keine Zeit zu verlieren, doch meinte Hochwald, daß die Augen seiner liebreizenden Begleiterin öfter mit dem vorherigen