»Ich glaubte Herrn van der Lohe abwesend,« erwiderte Rose einfach, der vollen Wahrheit entsprechend.
»Und wir trafen uns zufällig hier,« vollendete van der Lohe betont.
»Natürlich zufällig,« rief Olga von Willmer und setzte beißend hinzu: »Ich hatte überhaupt nicht angenommen, Jo, daß du dich mit der Vorleserin deiner Mutter anders als zufällig treffen könntest.«
Rose ging stumm nach der Tür. Sie fand es unter ihrer Würde, zu antworten, selbst ihre einfache Erklärung erschien ihr jetzt überflüssig und unangebracht.
»Ich begleite Sie, Fräulein Eckhardt,« sagte van der Lohe, »damit wir meiner Kusine in ihrer Leidenschaft für alte Bücher in Schweinsleder nicht hinderlich sind. Guten Abend, Olga.«
Rose kam die Treppe hinab, sie wußte nicht, wie! Es schwirrte in ihrem Kopf, und sie sah nicht einmal auf, als sie van der Lohes Schritte neben sich hörte.
»Rose, die giftigen Worte eines zornigen Weibes können Sie nicht verwunden,« sagte er nach einer Weile freundlich.
»Aber es ist schwer, sich darüber hinwegzusetzen,« entgegnete sie leise.
»Sie müssen gar nicht daran denken. Ich bedauere aber aufrichtig, die Veranlassung gewesen zu sein, denn ich hätte wissen können, daß Olga ihre überlegene Stellung benutzen würde, um sich an Ihnen zu reiben, da sie es bei mir nicht wagte.«
Rose antwortete nicht, aber sie sah ihn an, und er verstand ihren Blick. »Sind Sie böse auf mich?« fragte er reuig.
»Ich habe dazu kein Recht. Sie stehen auf Ihrem Grund und Boden,« entgegnete sie.
»Nicht alle Menschen würden die Zurückhaltung besitzen, sich dessen zu erinnern,« meinte er lächelnd. »Sie aber besitzen neben dieser auch noch die Tugend der Aufrichtigkeit, denn Ihr Blick streifte mich eben so streng tadelnd, daß ich wissen muß, warum, damit ich mich bessern kann.«
»Sie spotten meiner, Herr van der Lohe,« sagte Rose mit zuckenden Lippen.
Er blieb stehen.
»Nein, das tue ich nicht, Gott soll mich davor bewahren,« widersprach er ernst. »Sie selbst können das von mir nicht glauben.«
»Ich glaube es auch wirklich nicht,« erwiderte Rose aufrichtig, »ich bin auch überzeugt, daß Sie niemals Ihre überlegene Stellung benützen würden, um die Gesellschafterin Ihrer Mutter zu kränken und sie ihre Abhängigkeit fühlen zu lassen. Aber ich muß schon gestehen, daß ich es nicht hübsch von Ihnen finde, Frau von Willmer so zu demütigen. Hab' ich recht?«
»Von Ihrem Standpunkt aus, gewiß,« gab er zu. »Sie kennen aber meine Beweggründe nicht. Wissen Sie, was Notwehr und Selbstverteidigung ist?«
»O ja,« sagte Rose verwundert, »aber beides klingt komisch, von Ihnen gesprochen und auf Frau von Willmer angewendet.«
»Nur scheinbar, Fräulein Eckhardt; wenn es nicht wirklich komisch wäre, könnte es doch recht ernst sein. Daß man in den eigenen vier Pfühlen in Belagerungszustand gesetzt werden kann, haben Sie wohl noch nicht erlebt? Ja, es gibt einen ununterbrochenen Krieg im Frieden!«
Rose schüttelte verwundert den Kopf, denn sie dachte sich, daß der Herr des Hauses doch die Macht haben müßte, einen »Belagerungszustand« aufzuheben. Sie konnte ja nicht wissen, daß nur die zarte Rücksicht des Sohnes gegen seine Mutter ihn vor einem Gewaltstreich zurückhielt. Inzwischen waren sie vor der Villa angelangt.
»Wie schön die Abendluft nach dem heißen Tage ist,« sagte er aufatmend, »sie sollte einem alle bösen Gedanken verjagen. Verstehen Sie sich auf Gleichnisse, Fräulein Eckhardt?«
»Gleichnisse?« wiederholte sie erstaunt.
Van der Lohe bückte sich zu einem Blumenbeet und pflückte eine Verbene, ein Efeublatt und eine Moosrose.
»Sie müssen mir einen Rat geben,« sagte er, die drei Stengel ordnend. »Ich habe einmal irgendwo gelesen, es bringe dem Menschen Glück, wenn er sich eine Pflanze als Sinnbild wählt. Ich möchte das gern versuchen, bitte, helfen Sie mir wählen: Dies Efeublatt sagt: ›Wandere allein deine Lebensstraße, denn mich tötet kein Frost und verdorrt kein Sonnenstrahl, mich rührt kein Blühen, kein Welken, und meine Wohnstätte sind morsche Stämme und bröckelnde Mauern.‹ Die Verbene spricht: ›Genieße dein Leben, singe, trinke und liebe, lasse dein Leben einem Glase schäumenden Champagners gleichen.‹ Die Rose aber mahnt: ›Ich bin das Sinnbild eines unbeschreiblichen Glückes. Ich spende Zufriedenheit und verkläre die Welt mit rosigem Schimmer, durchhauche sie mit dem Duft der Poesie. Mein Kelch birgt das ganze Glück der schönen Gotteswelt, ich bin der Bürge einer großen, reinen Seligkeit.‹ Das ist die Bedeutung dieser drei Pflanzen; welche soll ich mir zum Sinnbild wählen, Fräulein Eckhardt?«
»Das ist nicht schwer zu raten,« rief Rose unbefangen. »Der Efeu ist mir das Bild eines Menschenkindes, dessen Schulweisheit sich hochmütig in sich selbst verschließt, der sich festklammert an Überlieferungen und Vorurteile. Das Sinnbild der Verbene würde ich mir nicht wählen, so verlockend seine Sprache ist, denn in dem Genuß soll der Mensch, Gottes Ebenbild, sein Heil nicht suchen.«
»So bliebe also die Rose?« fragte er mit tiefer Stimme.
»Wenn Sie nicht vorziehen, die Mittelstraße der Gleichgültigen einzuschlagen, dann müssen Sie wohl die Rose wählen.«
»Sie würden es an meiner Stelle auch tun?«
»Gewiß,« erwiderte sie unbefangen.
Er warf die Verbene und das Efeublatt fort und steckte sich die Rose ins Knopfloch.
»Da,« sagte er ernst. »Sie selbst haben mir das Sinnbild gewählt, Fräulein Eckhardt, und würden es sicher auch gerechtfertigt finden, wenn ich mir das unbeschreibliche Glück, das es für mich bedeutet, mit aller Kraft erstreite. Ist dem so?«
»Ja, aber ich verstehe das nicht,« begann Rose beklommen, doch unterbrach er sie.
»Ich hoffe, Sie werden's noch verstehen lernen,« rief er und ging rasch nach einem kurzen Gruße in das Haus.
Sie sah ihm verwundert nach, aber in ihrer harmlosen Seele dämmerte doch ein leises Ahnen, daß sie dem Sinnbild der Rose nicht allzu fern stand.
Und 's ist nix so traurig
Und nix so betrübt,
Als wenn sich a Kohlkopf
In a Rosel verliebt.
Schnadahüpfel
»Sie ist reizend,« sagte Theophil von Sonnenberg, indem er sich ins hohe Gras warf und verzückt zum blauen Himmel aufsah.
»Sie ist reizend,« wiederholte er mit größerem Nachdruck, als keine Antwort, keine Bestätigung seinem Ausruf folgte.
Baron Hahn, sein Gefährte, legte erst langsam sein Tuch auf den Rasen, hing seinen Hut auf einen Zweig und ließ sich dann sorgfältig und vorsichtig nieder. Er war blütenweiß gekleidet, seine Vorsicht war somit begründet, denn nichts ist einem weißen Anzug feindlicher als grüne Grasflecken. Als Sonnenberg diese Vorbereitungen sah, vergaß er für den Augenblick, wen er soeben »reizend« gefunden hatte, und sprang eiligst auf, denn auch seine untere Hälfte war weiß bekleidet, wozu der braune Samtrock, der ihn als Künstler ankündigte wie das Schild das Wirtshaus, ganz nett aussah. Nach einer sorgfältigen, für ihn aber beruhigenden Musterung breitete auch er sein Tuch aus und warf sich nun mit erneuter Energie darauf.
»Sie ist wirklich reizend!«
Aber sein Gefährte bestätigte das immer noch nicht, weil er nun aus seiner Zigarrentasche eine Havanna wählen und in Brand setzen mußte, wobei sich die leichte, kaum merkbare Sommerluft mehrmals den Scherz erlaubte, die Streichhölzer auszulöschen.
Die beiden Herren waren nur die Vorboten der übrigen Gesellschaft von Eichberg, die des herrlichen Sommertages wegen einen Ausflug in den Wald beschlossen und Sonnenberg mit Hahn vorausgeschickt hatte, um im Försterhause, nahe dem Versammlungsorte, Vorbereitungen