»Ich hasse sie,« stieß Olga hervor, indem sie sich wild aufrichtete.
Frau van der Lohe war im Augenblick sprachlos – vorerst jedenfalls über die Entdeckung, daß die engelgleiche Nichte doch auch etwas von einer Teufelin in sich hatte, und dann, weil sie den Ausbruch dieses Zornes nicht begriff.
»Olga, ich verstehe dich nicht,« sagte sie hilflos; doch Frau von Willmer hatte sich schon wieder gefaßt, denn es mochte ihr wohl eingefallen sein, daß sie stark aus ihrer Rolle gefallen war. »Ich verstehe dich wirklich nicht. Ich bedaure das junge Mädchen, obwohl ich durch diesen Zwischenfall jedenfalls längere Zeit ihre Dienste als Vorleserin entbehren muß. Das blutüberströmte Gesicht der Armen hat dich nervös gemacht, ich werde dir von meinen Nerventropfen geben.«
Frau von Willmer ergriff diese Gelegenheit, um einzulenken. Sie schlürfte gehorsamst die gebotenen Tropfen und befeuchtete ihre Stirn mit Melissengeist, – Frau van der Lohe hatte in ihrem Zimmer eine ganze Apotheke von dergleichen Mitteln.
Während sie ihrer Nichte eins nach dem andern eingab, sagte sie vertraulich: »Ich habe vorhin eine Unterredung mit Jo gehabt. Er war gar nicht absprechend oder dagegen, als ich ihm sagte, daß es mein größter Wunsch wäre, dich zur Schwiegertochter zu erhalten.«
Frau von Willmer horchte auf.
»Wie?« fragte sie ungläubig.
»Ja, wirklich, liebes Kind! Er hörte mich ruhig an und scherzte sogar in einer Weise, die mich das Beste hoffen läßt.«
»Hat mich Hahn nur aus Rachsucht eifersüchtig machen wollen?« fragte sich Frau von Willmer betroffen.
Sie war gekommen, um bei ihrer Tante die Entlassung der armen Rose durchzusetzen, nun aber schlichen sich leise Zweifel in ihr Herz, denn Frau van der Lohe mußte es ja besser wissen › wie ihr Sohn dachte, seine auffallende Besorgnis um das Mädchen war demnach nichts als reine Menschenfreundlichkeit.
»Du mußt Jo eben etwas entgegenkommen, Kind!« fuhr Frau van der Lohe fort. »Er gehört nun einmal zu den Männern, die aufgemuntert werden müssen, und es kann dir ja nicht fehlen, bei deiner Schönheit, deinem liebenswürdigen Charakter!«
Frau von Willmer schwieg noch immer.
»Wie lange wird dieser Baron Hahn noch hier bleiben?« fragte sie plötzlich.
»Hahn? Ich denke, ungefähr noch zwei bis drei Wochen. Ich lud ihn gestern ein, seinen Besuch zu verlängern. Er ist ein angenehmer Gesellschafter, und seine Mutter war eine Kusine von mir, also –«
Olga zuckte mit den Achseln, dann erhob sie sich seufzend.
»Ich werde es versuchen, Jo etwas entgegenzukommen Tante, aber ich bin in solch weiblichen Künsten zu ungeschickt, – ich bin allzu zurückhaltend,« sagte sie mit sanftem Augenaufschlag und leisem, zagendem Ton. Die alte Dame schloß ihre Nichte gerührt in die Arme.
»O, ich kenne dich, meine holde, sanfte Olga! Du sollst auch keine unwürdigen Künste anwenden, sondern meinen steifen, guten Jungen nur auf den richtigen Weg leiten. Jo ist gewiß ein vortrefflicher Mensch, aber in Herzenssachen muß er geleitet werden.«
Hätte van der Lohne gehört, wie seine Mutter ihn beurteilte, so hätte er heiter gelächelt, seine Zweifel an der Richtigkeit des Urteils aber natürlich für sich behalten.
Während Olga von Willmer sich also trösten ließ, lag droben, bewacht von der guten Carola, Rose auf ihrem Bett, immer noch in halb bewußtlosem Zustande. Ein reitender Bote war zu dem Arzt in die nächste Stadt geschickt worden, und die an dem Unglück Anteilnehmenden erwarteten mit Ungeduld und Spannung seine Ankunft. Es wurde Carola fast bange neben der bleichen, bewegungslosen Gestalt des jungen Mädchens, und weder Leßwitz noch Sonnenberg hätten es jetzt vermocht, ihren Spott herauszufordern.
Indes machte Sonnenberg dem Pianisten eine farbenreiche Schilderung des Unfalles an der Königsfichte.
»Ich werde sie malen, wie sie dalag auf grünem, schwellendem Moos, blaß, blutend,« rief er, und mischte schon in Gedanken die Farben, wobei Schweinfurter Grün und Karmin eine bedeutende Rolle spielten.
Van der Lohe aber lief ruhelos in seinem Zimmer auf und ab – seine Seele ahnte nichts davon, daß indes zwei moderne Parzen sein Geschick spannen und sein Glück machen wollten. Vor ihm auf dem Schreibtisch lag Arbeit genug, aber er fand heute nicht die Ruhe, seinen Namen unter den Stoß fertiger Geschäftsbriefe zu setzen. Warum? Er legte sich kopfschüttelnd selbst diese Frage vor und – ließ sie unbeantwortet.
Professor Körner hatte ihn, bald nachdem sie vom Walde zurückgekehrt waren, verlassen. Er ging in seine Werkstatt, indem er murmelte: »Laßt ihn mit eurem Geschwätz. Den Mann hat's!«
Endlich kam der Arzt und wurde sofort in das Krankenzimmer geführt.
Van der Lohe hatte ihn kommen gehört, wie er die Treppe empor eile und dann eine Tür ging.
Er biß die Lippen fest aufeinander und setzte sich an seinen Arbeitstisch – umsonst, er faßte nicht den Sinn des trockenen Geschäftsstiles und warf die sauber und schön geschriebenen Briefe wieder zurück auf den Tisch.
Da pochte es leise an die Tür. Er sprang auf, um selbst zu öffnen, und sah Olga von Willmer vor sich stehen.
»Was willst du?« fragte er nicht gerade überhöflich.
»Ich – ich bringe dir einen eben angelangten Brief, Jo,« sagte sie sanft, indem sie den Fuß auf seine Schwelle setzte.
»War kein Diener da, daß du dich bemühen mußt?« fragte er, ihr den Brief abnehmend.
»Aber es ist für mich wirklich keine Mühe, ich freue mich, wenn ich dir einen Dienst erweisen kann,« erwiderte sie sanft.
»Du bist wirklich rührend,« sagte er ironisch, »diese Fürsorge könnte einen Unbefangeneren täuschen und Hoffnungen in ihm erwecken! Olga, ich rate dir, sie einem Würdigeren als mir zuzuwenden.«
Ihr Auge füllte sich mit Tränen, sie blickte flehend zu ihm empor: »Jo, es ist mir noch nie eingefallen, einem anderen Manne meine Fürsorge anzutragen, ihn in mein Herz blicken zu lassen!«
»Das glaube ich dir aufs Wort,« erwiderte er hart und setzte mit beißendem Hohn hinzu: »Dein seliger Mann, der gute Willmer, könnte das bestätigen. Der arme Kerl hat ein langes Lied singen können von der Fürsorge, die du ihm nicht zugewendet hast, und seine Kenntnis von deinem Herzen war jedenfalls höchst mangelhaft. Und nun soll ich der Beglückte sein, dem es entschleiert werden soll – ich fühle mich wirklich sehr geschmeichelt!«
Damit wollte er die Tür schließen, Frau von Willmer aber bedeckte ihr schönes Gesicht mit dem feinen Taschentuch und sagte schluchzend: »Jo – du trittst ein Herz mit Füßen, das –«
»Olga, ich bitte – keinen Auftritt auf dem Flur,« sagte er, nun ernsthaft aufgebracht.
»Du läßt mich ja nicht einmal über deine Schwelle,« schluchzte sie.
Ehe er ihr antworten konnte, kam Carola die Treppe herab, atemlos, lachend und weinend zugleich.
»Gute Nachricht,« rief sie, »Heideröslein ist bei Besinnung und ganz munter! Doktor Elsner erklärte die Wunde an der Schläfe für ungefährlich, die Ohnmacht nur für eine Folge des Schreckens, des Schmerzes und des Blutverlustes! Jo, ich freue mich so, ich wußte gar nicht, daß ich dem kleinen Mädel so gut bin.«
Herr van der Lohe atmete auf und drückte herzlich, aber stumm die Hand der frohen Glücksbotin.
In diesem Augenblick stürmte auch Sonnenberg herbei, gefolgt von dem Professor und Leßwitz.
»Habt ihr sie schon gehört, die gute Zeitung?« schrie der närrische Mensch.
»Vernehmet es denn: Sie ist erwacht vom dräuenden, tödlichen Schlummer,
Dornröschen gleich, als die Spindel sie stach in die Hand.«
»Wir