Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
Скачать книгу
bösen, schweren Traum – bitte, sag Sigrid nichts davon! Sie würde mich auslachen, und das vertrüg' ich nicht – zum erstenmal nicht!«

      »Es bleibt unter uns«, erwiderte der Graf einfach. »Doch, was ich dir jetzt sagen möchte, soll auch kein drittes wissen, nicht einmal Sigrid.«

      Er trat an den Geheimschrank zurück und nahm daraus einen wohlversiegelten Brief.

      »Nimm dies, Kind, und verwahre es wohl, ungelesen bis nach meinem Tode«, sagte er ernst. »Du selbst bürgst mir dafür, daß diese Siegel nicht früher erbrochen werden – ich bedarf dazu keines Versprechens, keines Schwures, denn ich habe Vertrauen zu dir. Stecke den Brief zu dir, Kind.«

      Iris gehorchte und verbarg mit bebenden Händen das Schreiben in der Tasche ihres Kleides. Ihr vor Erregung blasser Mund sprach kein Wort, aber ihre Augen sagten, was jener nicht auszusprechen vermochte, und der Graf verstand diese stumme Sprache wohl, denn er küßte dem jungen Mädchen als Antwort die blassen Wangen.

      »Hier aber«, fuhr er dann fort, das weiße Etui mit dem Miniaturporträt vom Schrank entnehmend, »hier, dies Bild sei dein, weil es dich so sehr entzückt hat. Aber es ist ein geheimer Schatz für dich, denn ich möchte nicht, daß Sigrid darum weiß, daß du ihn besitzest – es könnte sie verletzen, daß du es erhalten hast, nicht sie. Es könnte aber eine Zeit kommen, in der sie von dem Original dieses Bildes weniger liebreich zu denken geneigt sein möchte als du mit deinem warmen Herzen, darum schenke ich's dir. Es ist das Bild meiner unglücklichen Schwester.«

      Ein leiser Schrei rang sich bei diesen Worten über Iris Lippen, ein Schrei der Überraschung.

      »Verbirg das Bild also wohl, meine Iris – es ist nicht für die Augen der Menschen bestimmt. Aber ich habe mich nicht entschließen können, es zu vernichten«, fuhr der Graf fort. »Ob's recht war oder unrecht, ist schwer zu entscheiden. Und nun geh hinauf, mein Kind, eine Stunde des Alleinseins wird für dich gut sein. Du brauchst nicht zu reden – ich bin's ja so gewohnt, in deinem goldklaren Herzen zu lesen wie in einem Buch – zwischen uns beiden bedarf's keiner Worte!«

      Und Iris ging. Wie ein Vogel war sie vor mehreren Stunden die Treppe hinabgeflogen, langsam schritt sie die majestätischen Stufen hinan, von denen es heißt, daß Michelangelo sie an Stelle der alten steilen Treppen genial dem Palast einfügte. Oben in ihrem Schlafzimmer schloß sie sich ein und schob auch leise den Riegel vor die Tür, die zu Sigrids Zimmer führte und in dem sie den Schritt der Schwester zu hören glaubte. Dann öffnete sie einen starken, eichenen Kasten mit Schnitzwerk – ein Geschenk des Grafen an seine Töchter, nach eigener Angabe gearbeitet, zur Aufbewahrung ihrer Wertsachen: der wenigen, aber guten Schmuckgegenstände, die sie von der Mutter geerbt, und sonstiger gelegentlicher Geschenke von Wert. Der Kasten von Iris hatte einen doppelten Boden, ein Geheimfach, und in dieses tat sie zunächst den versiegelten Brief des Vaters, der einen kleinen, harten Gegenstand enthielt. Dann nahm sie das weiße Etui aus der Tasche und betrachtete ihren Schatz, das holde Frauenbildnis im weißen Rosenkranz. Aber trotz aller Lieblichkeit des Ausdruckes schien das Bild ihr jetzt einen etwas herben Zug um den schönen Mund zu haben, einen Zug, der sie lebhaft an Sigrid erinnerte. Und nun geschah etwas Seltsames – dasselbe namenlose Entsetzen, derselbe kalte Schauer wie unten in des Grafen Zimmer durchrieselte sie mit dem Gefühl, als trüge sie Bleigewichte in den Gliedern – sie fühlte, es wurde ihr unerträglich, das schöne Bild weiter zu betrachten, und doch mußte sie es ansehen, wie hypnotisiert von den veilchenblauen Augen auf dem Elfenbein, diesen Augen, die den ihrigen so glichen – – – da legte es sich wie ein dichter, grauer Schleier über ihr Denken, sie fühlte ihre Sinne schwinden, und das Etui entglitt ihren zitternden Händen. –

      Das brachte sie zu sich. Tief, tief holte sie Atem, wie ein eben erst aus hypnotischem Schlaf Erwachter, und langsam sammelte sie ihre Gedanken, und badete die Stirn mit Kölnischem Wasser, bis sie's wieder vermochte, sich zu erinnern. Dazu half ihr am besten das Etui, das noch am Boden lag. Der Teppich, der hier den Marmorfußboden bedeckte, war nicht so dick und weich wie unten, deshalb war auch der Fall ein härterer geworden, ohne zum Glück das Bild zu beschädigen, doch er hatte den dasselbe umgebenden Rahmen gelockert, und Iris entdeckte zu ihrer Überraschung, daß hinter dem Frauenbild sich ein zweites, unendlich fein und zart und doch kräftig gemaltes Bild befand – das Porträt eines Mannes in schwarzem Rock und weißer Binde –, ein interessanter Kopf, mit melancholischem Ausdruck, der wohl davon herrührte, daß sich die dichten, dunklen Brauen über der kräftigen, klassisch gebogenen Nase vereinten und den Augen einen schwermütigen Blick verliehen. Der Mund verriet vielleicht einen Mangel an Energie, aber er war wohlgeformt und auffallend schön zu nennen, und dieser Eindruck wurde durch den dunklen Bart auf der Oberlippe noch erhöht. Kurz, es war das Bild eines Aristokraten, voll vornehmer Ruhe und gewinnender Güte, so daß Iris sich nicht satt daran sehen konnte. Und wieder geschah etwas Seltsames – sie mußte weinen, weinen, sie wußte nicht warum. Und in diesen Tränen löste sich die Starrheit, die das junge Mädchen noch immer gefangen hielt, und sie fühlte wieder ihr altes, gewohntes Selbst in sich zurückkehren.

      Das Etui verschloß sie auch in das Geheimfach ihres Kastens, dessen Schlüssel sie stets bei sich trug, und dann raffte sie sich auf und kleidete sich um für den Tag. Dabei kehrte allmählich der Glanz in ihre Augen und die Farbe in ihr reizendes Gesicht zurück. Eben hatte sie die Toilette beendet, als es leise an ihre Tür klopfte.

      »Iris!« rief Sigrids Stimme draußen, »Iris, es ist Besuch unten!«

      »Wer?«

      »Der Cavaliere Spini und Boris Chrysopras.« »Entschuldige mich unten, Sigrid, bitte! Ich bin noch nicht fertig. Willst du?«

      »Gern«, war die Antwort. Und nach einer Pause tönte es wieder hinter der Tür: »Fürst Hochwald ist auch da.«

      Und nun war es drinnen eine Weile still, dann klang es etwas unsicher zu Sigrid hinaus: »Bitte, geh voraus! Papa hat die Herren wohl empfangen? Ich komme gleich nach –«

      Draußen vor der Tür hielt Sigrid sich an dem Klopfer fest, als müßte sie ohne diese Stütze fallen. Der herbe Zug um ihren Mund wurde noch herber, und ohne Antwort ging sie dann langsam und schwerfällig die Treppe hinab in den Empire-Salon, wo der Graf mit seinen Besuchern saß.

      Iris aber steckte noch rasch ihre einfache silberne Hufeisenbrosche an den hohen Stehkragen, der ihren schlanken Hals umschloß, zog aus einer Blumenvase eine schneeweiße Narzisse, die sie vor die Brust steckte, eilte dann hinab und betrat wenige Minuten nur nach Sigrid den Salon.

      Als sie dort den Fürsten begrüßte und ihm die Hand gab, erglühten ihre Wangen – sie hätte es nicht um die Welt verhindern können, trotzdem sie dabei Sigrids Augen auf sich gerichtet fühlte. Aber des Fürsten respektvolle Herzlichkeit und gewinnende Freundlichkeit halfen ihr rasch über diese peinlichen Momente hinweg, in denen sie gegen ihren ehrlichen, festen Willen mehr verriet, als ihr lieb war. Doch was sie dabei tröstete, war ja, daß ihr Erröten ihm, dem Fürsten, vielleicht, nein, sicherlich nichts sagte, gar nichts, daß er es überhaupt gar nicht bemerkte, und wenn auch, es nur auf eine törichte Verlegenheit schob – aber Sigrid –! Oh, hätte sie sich vor Sigrid verbergen können! Sie hatte bisher nie ein Geheimnis oder einen verborgenen Gedanken vor ihrer Schwester gehabt, aber hier schien's ihr, als endete das offene Vertrauen, und sie ward sich's bewußt, daß es Dinge gäbe, die der Mensch nur mit sich selbst bereden und beraten dürfe. Ihr im ersten Augenblick voreingenommenes Wesen fiel in diesem kleinen Kreise vielleicht niemand anders auf als Sigrid, die unablässig beobachtete, denn das Gespräch war allgemein und drehte sich zunächst um den Palazzo des Grafen und dann um die Florentiner Paläste im allgemeinen und besonderen.

      »Das Rathaus, der jetzige Palazzo del Comune, hieß ja ehedem Palazzo Spini, wenigstens der dem Arno zugewendete Teil«, bemerkte der Graf. »War es das Stammhaus Ihrer Vorfahren, Cavaliere?«

      »Er war's – sic transit gloria mundi«, erwiderte Spini mit einem Seufzer und einem Blick auf Sigrid. »Aber noch ist nicht alles verloren. Große Ländereien, die ehedem den Spinis gehörten, sind im Besitz eines alten Verwandten von mir, und ich habe die Aussicht, dieses Marquisat zu erben.«

      »Wo liegt es?« fragte der Fürst.

      »In der Maremma«,