Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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schneidender Verachtung begegnet wäre, die es aber in diesem Falle für vorteilhaft erachtete, den kühnen Flug der unabhängigen Republikanerin zu unterstützen. Und da dieses free country-girl nun einmal vorgestellt war, so hatte Madame Chrysopras der Königin auch ihren Gesang gepriesen und Miß Fuxia durch den allerhöchsten Wunsch nach einer Probe ihrer Kunst in den siebenten Himmel der Seligkeit befördert. Aber nun mußte auch Boris kommen, um zu begleiten. Als die kleine Gesellschaft aus dem Atelier im Musikzimmer anlangte, hatten gefällige Kavaliershände schon den Flügel geöffnet, Miß Grants Notenmappe geholt und ihre »Spezialität«, ihre Negerlieder, auf das Pult gelegt, vor dem Boris alsbald Platz nahm und präludierte, um eine verhältnismäßige Ruhe damit zu erzielen. Und war Boris Chrysopras sonst schon unwiderstehlich – am Flügel war er geradezu erhaben, und hätte Schiller ihn statt seiner Laura die Saiten meistern sehen, statt des Namens Laura würde sicher jetzt der Name Boris in den »Gedichten der ersten Periode« der Unsterblichkeit geweiht sein. Aus seinen viel zu kurzen Ärmeln fielen ihm die Manschetten bis an die Fingerknöchel trichterförmig herab und verursachten mit den Riesen-Hufeisenknöpfen ein angenehmes Accompagnement an den Tasten – die dürftigen Frackschößlein, die bei anderen kümmerlich ausgesehen hätten, hier aber kolossal pschütt wirkten, flatterten an dem Taburett herab wie zwei sterbende Schmetterlingsflügel, und der rechte Fuß im kurzen Lackleder-Schnabelschuh trat das rechte Pedal mit so viel Grazie, daß er dem staunenden Publikum dabei einen diskreten Blick auf seine rotseidenen Strümpfe gewährte. Neben diesen pschütten Begleiter trat jetzt Miß Fuxia Grant und vergaß ihre republikanische Unabhängigkeit dabei so weit, daß sie sich tief vor der Königin verneigte. Und dann sang sie ihre Negerlieder, mit kleiner, aber gutgeschulter Stimme und mit noch besserem Vortrage, der den Eindruck natürlichen Empfindens machte. lang=EN-US Sie sang erst das melancholische:

      »The sun shines bright in the old Kentucky-home

       't is Summer, the Darkies are gay –

       The corn-tops ripe and the meadows in the bloom,

       While the birds make music all the day –«

      dann das traurig-naive: »Master's in the could, could ground« – und zuletzt das übermütige: »Wait for the Waggon.« Und als dann der Beifall kein Ende nehmen wollte, sang sie noch das Lied der Yum-Yum aus dem »Mikado« von der Sonne und dem Mond – sehr graziös und reizend sang sie's, aber es erinnerte doch stark an eine Vorstadttheater-Soubrette mit seinen das Künstlerische etwas hintenansetzenden Pointen. Die Königin nickte sehr gnädig – sie rechnete das etwas ungezwungene Wesen der Amerikanern als eine Spezialität an, was ein paar andere Amerikaner aus gutem, altem Haus mit Recht schwer verdroß und zu recht unschmeichelhaften Bemerkungen über ihre Landsmännin veranlaßte, die ihr Vaterland hier zum Mißkredit desselben repräsentierte. Man tröstete sie damit, daß andere Nationen sich solcher »Repräsentanten« auch nicht erwehren könnten, und die Königin fragte, ob man noch mehr Musik hören würde. Da trat Sascha, einen Geigenkasten in der Hand, vor die hohe Dame hin.

      »Gräfin Iris Erlenstein ist eine wunderbare Geigenfee« sagte sie. »Aber ich fürchte, um sie zu hören, bedarf es erst eines Befehles Eurer Majestät!«

      »Ich habe hier nichts zu befehlen, aber bitten kann man ja überall«, erwiderte die Königin mit einem freundlichen Lächeln zu der tief errötenden Iris gewendet, die Sascha vorwurfsvoll ansah und ihr dann zuflüsterte: »Das ist Verrat an der Freundschaft, Sascha! Hinter meinem Rücken meine Amati holen zu lassen! Oh, oh!«

      Aber Sascha triumphierte, denn Iris spielte immer nur im engsten Kreise. Graf Erlenstein selbst blickte etwas finster, aber er war viel zu sehr Kavalier, um der Bitte der Königin nicht sofort Erfüllung entgegenzubringen, und er flüsterte seiner etwas unruhig gewordenen Tochter nur zu: »Mache gute Miene zum bösen Spiel, Iris! Und Ruhe vor allem! Denk nicht an die Menschen hier, sondern nur an die Musik!«

      »Danke, Papa!« nickte sie zurück und folgte Sigrid, die ihr Spiel stets begleitete, zum Flügel. Die Schwestern einigten sich rasch, daß eine Reverie von Vieuxtemps das Passendste für Zeit und Ort sei, und Iris legte die kleine braune Geige gegen den schlanken Hals und hob den Bogen – –

      Da fiel ihr Blick auf die neugierig aus den Nebenzimmern hereindrängende Gesellschaft, die alle die blonde deutsche Contessa in ihrem lieblichen Jugendzauber sehen wollten – sie wurde blaß bis an die Lippen, und die Hand mit dem Bogen sank wieder herab. Da sah sie auf Marcell Hochwald, der in der nächsten Fensternische stand, und er grüßte sie, wie ermutigend, mit einem für andere kaum sichtbaren Neigen des Kopfes – aber Iris hatte es doch bemerkt und ihn verstanden, denn ein liebreizendes Lächeln dankte ihm – sie hob den Bogen von neuem, und dann klang es wie Sphärenmusik von den Saiten, goldrein, voll und ergreifend. Schon nach den ersten Takten hatte sie ihre Befangenheit überwunden, sie ließ sich ganz von der Macht der Musik fortreißen, so daß Raum und Menschen verschwanden, und ihre großen, sonst so lachenden Kinderaugen blickten mit einem Ernst, der etwas von Verklärung in sich hatte, wie in einen leeren Raum, oder in ein nur ihrem Blick erschlossenes Heiligtum.

      Eine ohrenbetäubende Salve von Applaus, Bravo- und »Bisbis«-Rufen folgte dem letzten, traumhaft leisen Ton und erschreckte das junge Mädchen fast bis zu Tränen. Doch ehe sie noch recht zur Besinnung gekommen war, hatte die Königin sie schon feuchten Auges in die Arme geschlossen und auf die jäh erglühenden Wangen geküßt.

      »Wie reich sind Sie mit dieser Himmelsgabe«, sagte sie bewegt. »Sie haben mein armes Herz mit Ihrer Musik erquickt und gelabt, wie seit langer Zeit nicht mehr! Hier –«, sie streifte dabei den Handschuh von der linken und zog einen Ring vom Finger –«hier diesen Ring bitte ich Sie zum Andenken an mich zu tragen – möchte er Ihnen Glück bringen, mehr Glück als mir!«

      Dann brach die hohe Frau auf. Als sie sich, geleitet von der Dame des Hauses und deren Kindern, entfernt hatte, mußte Iris eine wahrhaft betäubende Flut von Lobeserhebungen über ihr Spiel über sich ergehen lassen. Schweigend hörte sie zu und zog sich dann bescheiden zurück, um ihre Geige sorgsam in den Kasten zu legen. Plötzlich stand Fürst Hochwald vor ihr.

      »Ich habe eine Entdeckung gemacht«, sagte er.

      »Ja? Oh, ich bitte darum!« rief sie mit heiterem Lächeln.

      »Sie werden böse darüber werden, Gräfin!«

      »Ja? Dann erst recht heraus mit Ihrer Entdeckung, Durchlaucht! Ich brenne jetzt natürlich durch Ihre Einleitung vor Neugierde!«

      »Nun denn, ich habe entdeckt, daß Sie blasiert sind, Gräfin!«

      Ein lustiges, helles Lachen antwortete ihm besser als alle Gegenbeweise in Druck, Schrift und Sprache.

      »Das ist brav, Durchlaucht, das hatte ich gar nicht gewußt!« lachte sie. »Und darf ich fragen, was Ihnen zu dieser Erkenntnis verholfen hat?«

      »Nun natürlich Ihre bewundernswerte Gleichgültigkeit, mit der Sie alle Komplimente über Ihr Spiel entgegennahmen. Ich habe Sie dabei beobachtet«, erklärte der Fürst ernsthaft.

      »Nein, wirklich?« fragte Iris naiv. »Aber da sind Sie doch zu falschen Schlüssen gelangt, Durchlaucht. Denn sehen Sie, nicht Gleichgültigkeit habe ich bei all diesen Phrasen gefühlt, sondern nur Bedauern und, wenn Sie wollen, auch ein wenig Ärger, weil unter all diesen Leuten nicht einer und nicht eine war, aus deren Worten ich die wirkliche Freude an der Kunst und die echte Liebe zur Musik heraushören konnte. ›Charmant!‹ ›Reizend!‹ ›Entzückend!‹ ›Ravissante!‹ ›Splendid!‹ und ›Molto bellissimo!‹ das war alles!« – schloß sie fast traurig.

      Der Fürst lächelte.

      »Gräfin, Sie werden erst lernen, das dies das Höchste ist, was die große Masse gibt«, sagte er. »Aber daß nicht einer darunter tiefer fühlen sollte, ist doch ein hartes Urteil. Und ich kam gerade, um Ihnen zu sagen, wie Ihr Spiel mich im tiefsten Herzen bewegt und gerührt hat. Aber nun –«

      »Ich danke Ihnen«, unterbrach sie ihn leise und reichte ihm die Hand, die er einen Moment länger festhielt als vielleicht nötig war, während sein Blick den ihren suchte. Sie hielt diesen Blick fest aus, aber jähes Erröten und tiefste Blässe wechselten dabei auf ihrem reizenden Gesicht. Als Fürst Hochwald die kleine,