Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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war wieder Leben eingezogen in den alten Palast, frisches, junges Leben. Iris flog lautlos, wie auf Elfenfüßen, die Treppe hinab und der ahnungslosen Sigrid von rückwärts um den Hals, daß diese fast ihr Schlüsselkörbchen fallen ließ. »Liebes Hausgeistchen, laß dir von mir Faulpelz einen Kuß geben!« rief sie. »Nein, wie ich mich schäme, so lange geschlafen zu haben!«

      »Ich hab' dich nicht wecken wollen – es war so spät gestern geworden«, erwiderte Sigrid freundlich. »Und nun komm frühstücken, denn Papa kann jeden Augenblick von seinem Spaziergange zurückkommen und will dann diese Kiste ausgepackt haben.«

      Iris eilte, mit silberheller Stimme ein Liedchen trällernd, voraus in den Speisesaal und setzte sich an den behaglichen, am Fenster gedeckten Frühstückstisch, den Ubaldo, der Diener, Haushofmeister und Kammerdiener in einer Person bald mit der singenden Teemaschine von schönem, altem Silber versorgte. Während Sigrid einschenkte, ordnete Iris rasch die Blumen in der Jardiniere, rückte die Brötchen, Butter, Honig und Eier in reizender Unordnung zurecht und eilte dann nochmals um den Tisch, um ihre Schwester zu umarmen.

      »Nun laß uns recht gemütlich miteinander plaudern«, sagte Iris, indem sie sich setzte.

      »Zum Beispiel von der Eroberung, die du gestern abend gemacht hast!« rief Sigrid und heftete ihre großen Augen fest auf die Schwester, die wie mit Blut übergossen schien und den Löffel fallen ließ.

      »Ach, du meinst den Ring der Königin«, stammelte sie nach einer Weile, indem sie den Opal an ihrer Hand betrachtete.

      »Nein – das war ein Triumph – ein wohlverdienter, Herz, aber keine Eroberung«, entgegnete Sigrid, deren Blässe nun im schärfsten Gegensatz zu den glühenden Wangen ihrer Schwester stand. »Man erobert keine Frauen, wenn man selbst eine ist.«

      »Sesam, öffne dich«, lachte Iris etwas verlegen zwar, aber doch wie ein glückliches Kind und mit einem Aufleuchten ihrer wunderschönen Augen, das sein Licht von innen, aus der Seele lieh. Um so starrer war Sigrids Blick geworden, und fest preßte sie die Lippen aufeinander – unbemerkt von Iris, die die Augen nun niedergeschlagen hatte und mit halbgeöffneten Lippen wie traumbefangen vor sich hinsah.

      Da ertönte draußen im Korridor die Stimme des Grafen, der von seinem gewohnten Morgengange zurückkehrte und sich erkundigte, ob man die bewußte Kiste in sein Zimmer geschafft. Mit einem hellen »Guten Morgen!« eilte Iris hinaus und ihrem Vater in die Arme.

      »Holla, holla, kleiner Käfer, du wirfst mich ja um!« rief er scherzend und doch überglücklich seinen Blondkopf streichelnd, und setzte dann eifrig hinzu: »Nun kommt, Mädels! Jetzt wird ausgepackt. Eine nimmt die Sachen aus der Kiste, die andere reicht sie mir, und ich räume sie ein, in den famosen Wandschrank mit dem geheimen Verschluß. Avanti, avanti – wir müssen heut früh damit fertig werden!«

      »Kleinigkeit für uns«, lachte Iris und folgte mit der stummgebliebenen Sigrid dem Vater in dessen schönes Zimmer, wo die Kiste schon geöffnet dastand. Der Graf warf Hut, Paletot und Handschuhe auf den nächsten Stuhl, rieb sich die Hände und trat dann an eines der geschnitzten Eichenpaneele des Tafelwerkes. Dort schob er von der hölzernen, teilweise vergoldeten Fruchtgirlande einen Pinienapfel zur Seite, der eine Feder enthüllte, an der der Graf nun drückte. Ein scharfes, schnappendes Geräusch war hörbar – dann wurde der Pinienapfel an seine Stelle zurückgeschoben und eine davon mäßig entfernte Haselnuß so tief nach innen gedrückt, daß sie eins wurde mit dem Getäfel, auf dem die Girlande ruhte – zugleich aber bewegte sich das Paneel in unsichtbaren Angeln und erwies sich als die Tür eines tiefen Wandschrankes mit Regalen, die herausnehmbar waren, das heißt durch Federn in die Seitenwände herabgelassen werden konnten und so Raum für reichlich zwei Personen schufen.

      »Seht, Kinder, das nenne ich ein geschickt verschlossenes Geheimfach«, sagte der Graf höchst zufrieden. »Solch eine Arbeit war auch nur in Italien zur Zeit des Lorenzo möglich! Pinienapfel und Nuß, jedes für sich, öffnen dieses Versteck nicht, und entdeckte einer das Geheimnis der Nuß, so hat er immer noch nichts erreicht ohne den Pinienapfel und umgekehrt. Es ist großartig! Und dann seht diesen Raum! Wir wissen, daß die Verschwörung der Pazzi zum Sturze der Medicäer im Jahre 1478 in diesem Hause ihren Herd hatte– liegt da nicht die Vermutung nahe, daß die Mörder des Giuliano de Medici, der dem Komplott allein zum Opfer fiel, hier ihren gefährlichen Briefwechsel mit ihren Mitwissern aufbewahrten? Und obgleich keine Beweise da sind, möchte ich wetten, daß die Handschrift des Girolamo Riario mit der des Raffaello Sanzoni-Riario hier drinnen geruht hat. Und für den Fall, daß den Verschwörern unwillkommener Besuch drohte, da genügten hier innen ein paar blitzschnell auszuführende Bewegungen – die Papiere fielen von den herabgleitenden Regalen auf den Boden, und die beiden am meisten Verdächtigen verschwanden in diesem Raum, bis die Luft wieder rein war. Man kann sich die Szene vollständig ausmalen!«

      »Wundervoll gruselig!« rief Iris mit großen Augen. »Nein, Papa, daß du diesen Palazzo wie für uns bereit fandest! Ist das nicht Glück? Für uns Altertümler ein Haus mit Verliesen, Plätzen zum Einmauern überflüssiger Gönner, Geheimfächern und Gespenstern – Gespenstern sag' ich euch! Ubaldo hat gestern erst wieder um ein anderes Zimmer gebeten, weil's in dem seinen so umgeht! Und dabei gibt's Leute, denen tatsächlich ein modernes Haus mit hübsch ineinanderlaufenden Zimmern lieber ist.«

      »Oh, auch da soll's doch oft passieren, daß sich eine Blaubartskammer vorfindet«, meinte Sigrid.

      »Ja, nach dem Ausspruch des englischen Dichters: »There is a skeleton in every house««, sagte Graf Erlenstein seufzend. »Aber nun flink, Kinder, laßt uns den Geheimschrank der Pazzi-Verschwörung mit meinen harmlosen Schätzen füllen – und sei vorsichtig beim Herausnehmen, Iris! Das Abstäuben und Zureichen wird Sigrid sicher genug besorgen!«

      Mit dem größten Eifer begaben sich alle an die Arbeit, und wohlgeheftete Briefschaften, Manuskripte und eine Handschriften-Sammlung von hohem Wert wurden in dem Schrank wohl untergebracht. Aber wie das so geht, daß man beim Neueinräumen oft Schätze oder interessante Dinge entdeckt, die in ihrem alten Verwahrungsort von uns vergessen oder verräumt waren und nun, neu ans Tageslicht befördert, plötzlich wieder unser Interesse erwecken, so fand der Graf auch hier ein Buch mit seltenen und merkwürdigen Allianzewappen, von ihm selbst nach den Quellen aufgerissen wieder, die er vor Jahren gesammelt und im Laufe der Zeit fast vergessen hatte. Er vertiefte sich daher sogleich so in das Buch, daß er das Einräumen vergaß und die Schwestern die ausgepackten Dinge auf den großen eichenen Tisch in der Mitte des Zimmers häuften, um die Kiste selbst wenigstens aus dem Raum zu schaffen.

      Eben nahm Sigrid ein zylindrisches Etui von Pappdeckel hervor, dessen schadhafter Boden herausfiel und eine Pergamentrolle zu Boden gleiten ließ. Sigrid faltete sie im Aufheben auseinander und rief überrascht: »Ah – der Stammbaum der Erlenstein! Wie interessant!«

      »Wo stehen wir?« fragte Iris neugierig, indem sie sich auf die Zehenspitzen stellte, um mit in das Blatt zu sehen, das Sigrid nun auf einem kleineren Tisch ausbreitete und die Generationen mit dem Finger abwärts verfolgte.

      »Aber Papa, hier stehst du ja noch gar nicht als vermählt!« rief sie nach einer Pause. »Erlaubst du, daß ich Mama und uns nachtrage?«

      »Ja, ja«, murmelte Graf Erlenstein, der gar nicht hingehört hatte, und Iris holte ein Schreibzeug vom Arbeitstisch am Fenster und reichte Sigrid die Feder, die nun, sich laut vorsagend, mit ihrer kleinen, runden und sauberen Handschrift folgende Daten eintrug: »Also – Graf Ludwig, geb. 13. März 1840, vermählt 22. Juli 1867 mit Anna Maria Ferdinande von Spittelberg, geb. 17. August 1845, Tochter des usw. usw. usw. gest. 19. September 1886. Kinder: Sigrid Maria Josepha und Iris Maria Josepha, beide geboren am 1. Mai 1869 zu Kairo. Woraus nach Pythagoras und Adam Riese erhellt, Iris, daß wir nächstens neunzehn Jahre alt sind!«

      »Ja, die Last der Jahre droht uns zu erdrücken«, seufzte Iris, den Schelm in den Augen.

      Inzwischen war Graf Erlenstein doch auf seine Töchter aufmerksam geworden und trat an den Tisch, an dem Sigrid den Stammbaum ergänzt hatte. Sein schönes, edles Gesicht war blaß, und ein Zug wie von Schmerz lag um seinen Mund, so daß Iris ganz erschreckt ein »Was fehlt dir, Papa?« hervorstieß.

      »Nichts,