»Oh, überhaupt – eins schickt sich nicht für alle«, meinte Gräfin Sigrid mit einer nur ihr eigenen Kopfbewegung. Es erschien dabei auf ihrem jungen Antlitz ein überraschender Zug von Hochmut und Verachtung.
»Und doch glaube ich, daß Sie, Gräfin, wie keine andere imstande wären, den Stürmen des Lebens zu trotzen«, sagte der Cavaliere halblaut, indem er sich etwas zu dem goldblonden Kopf an seiner Seite herabneigte. »Das ist Rasse-Erbteil!«
»Ein ungleich-verteiltes Gut, Cavaliere«, erwiderte sie.
»Oder meinen Sie, daß meine Schwester Kraft hätte, in einem Sturm zu stehen?«
»Vielleicht nicht, vielleicht doch. Solch biegsame und zarte Gestalten werden oft nur gebeugt, nicht aber gebrochen«, meinte Spini.
»Ja, es gibt aber Naturen, die schon erlöschen, wenn sie nur gebeugt werden. Meine Schwester würde einen Sturm nicht überleben.«
»Und Sie, Gräfin Sigrid?«
»Ich? Oh, ich weiß nicht. Ich würde mich wehren – bis zum äußersten. Es kommt dann darauf an, ob ich siege oder unterliege!«
»Wunderbares Mädchen!« murmelte der Cavaliere mit einem Blick auf die junge Gräfin, daß Boris, der zwar die Worte nicht gehört, dem Fürsten, der seinerseits das halblaute Gespräch genau verfolgt hatte, einen leisen Stoß versetzte und dazu entrüstet flüsterte: »Ekelhafter Geck, dieser Spini, was?«
Geckenhaft kam der Cavaliere dem Fürsten nun zwar nicht vor, aber die Bezeichnung gab ihm doch einen Wegweiser.
»Aha – er hat also denselben guten Geschmack wie du?«
»Nicht wahr, Onkel? Nun begreifst du doch, wenn ich sage: wie konnt' ich so mit Blindheit geschlagen sein und mir von Iris einen Korb holen«, tuschelte Boris. »Schade nur, Gräfin Sigrid ist wie ein Eiszapfen.«
»Das freut mich«, sagte der Fürst zerstreut.
»Freut dich? Wieso?«
»Nein doch – ich meine, es freut mich, daß Gräfin Iris dir den Korb gab, denn wenn sie deine Hand nahm und du entdecktest erst dann, daß du die andere liebst – denk an diese Verwirrungen!«
»Ja, es wäre scheußlich geworden!« gestand Boris mit einem Seufzer der Erleichterung.
Der Fürst hatte mit den Schwestern noch kein Gespräch gewechselt, doch er fing jetzt einen lachenden Blick voll Schelmerei auf, mit dem die Gräfin Iris seinen Neffen streifte, und dieser Blick aus den unschuldigen Kinderaugen machte ihm das Herz ganz warm, als wäre ein Sonnenstrahl hineingefallen. Da aber sah sie's, daß ihr Blick aufgefangen worden war, und errötete tief, wie eine ertappte Sünderin; der Fürst aber trat jetzt an sie heran.
»Der arme Boris!« sagte er, »wenn er ahnte, daß Ihr Blick, Gräfin, mit dem Sie seinen pschütten äußeren Menschen maßen, mir erst Ihren Ausdruck auf dem Bilde dort überraschend wiedergab!«
»Seien Sie ruhig, Durchlaucht! Er ahnt es nicht«, gab sie mit mühsam unterdrückter Heiterkeit zurück.
»Ich bewundere meine Nichte«, erwiderte Hochwald lächelnd. »Sie hat in der Tat die Gabe der Auffassung in hohem Grade. Besonders solch ein flüchtiger Ausdruck, der so schnell kommt und geht und den Menschen oft am meisten charakterisiert, ist nicht leicht wiederzugeben, denn, Gräfin, so sehen Sie doch sicher nicht immer aus mit dem Schelm im Nacken.«
»Auf die Gefahr hin, Saschas Kunst zu schmälern, muß ich leider sagen, daß ihr das leicht gemacht worden ist. Herr von Chrysopras hat nämlich fast allen Sitzungen beigewohnt. Sie werden also verstehen, Durchlaucht!«
»Ich verstehe«, lachte der Fürst mit einer Herzlichkeit wie seit lange nicht.
In diesem Augenblick erschien das weiße, diamantgeschmückte Haupt der Dame des Hauses zwischen den Portieren.
»Sascha! Boris! Die Königin hat ihren Wagen befohlen, und ihr seid nicht zu finden!« rief sie. »Aber an meine Verlegenheit dabei denkt niemand von euch. Sascha, halt dich grade. Boris, du sollst doch Miß Grant zum Singen begleiten – die Königin wünschte sie zu hören! Was! Auch du hier, Marcell? Nein, es ist zu schlecht von euch, mir armen Frau die ganze Last der Repräsentation allein zu überlassen!«
»Und ich habe bei diesem Akt der Unmenschlichkeit noch Vorschub geleistet! Wollen Sie mir verzeihen, gnädigste Frau?« sagte der Graf von Erlenstein, indem er seiner Wirtin den Arm bot. »Darf ich Sie zu der Königin zurückführen?«
»Oh, es soll Amnestie erlassen werden, vorausgesetzt, daß Saschas Trödelbude hier geräumt wird«, meinte Madame Chrysopras rasch versöhnt, aber nicht ohne einen verächtlichen Blick in das kosige Atelier zu werfen. »Sehen Sie, Graf«, setzte sie, davonrauschend, hinzu, »es ist ja hochmodern, solch ein Simmelsammelsurium von altem Trödelkram, wie Sascha es zusammengeschleppt hat, und deshalb lasse ich auch ihren Geschmack gelten. Aber mir sind moderne Sachen lieber!«
Die Antwort des als Altertumssammler berühmten Grafen verlor sich im Gemurmel der Menge.
»Papa versucht's wieder einmal, Wasser mit einem Siebe zu schöpfen«, flüsterte Gräfin Sigrid dem Cavaliere zu. Spini konnte aber nicht mehr antworten, denn schnell wie der Blitz war Boris da und reichte seiner Herzdame neuesten Datums den Arm. Da nun Fürst Hochwald neben Iris Erlenstein stand, so wurde er naturgemäß ihr Führer, und mit Staunen sah er, wie der finster blickende Cavaliere seiner Nichte den Arm reichte und Saschas häßliches Gesicht sich dabei ganz wundersam verklärte. Doch er verweilte nicht allzulange bei dieser Entdeckung, wohl aber ertappte er sich selbst bei dem Wunsch, allein zu sein inmitten dieser großen, geräuschvollen Gesellschaft, allein mit dem süßen, holdseligen Geschöpfe an seinem Arm und dabei auf das harmlose Geplauder des reizenden Kindermundes zu lauschen wie auf höhere Offenbarungen. Ein ganz eignes, nie gekanntes Glücksgefühl zog ihm dabei warm durchs Herz, und es schien ihm wie ein schwerer, längst geträumter Traum, daß er sich nur wenig Stunden früher so einsam gefühlt und so schweren Herzens.
Dicht vor ihm schritt Boris mit Sigrid Erlenstein am Arm, doch sie schien wenig darauf zu achten, was er ihr mit der ihm eigenen Zungenfertigkeit vorschwatzte, wohl aber wandte sie mehrfach den Kopf nach ihrer Schwester um, die ihr dann harmlos lächelnd zunickte.
»Sigrid ist so ernst und kühl«, meinte Iris, als sie ihr Lächeln unerwidert sah. »Sie macht ihrem nordischen Blut alle Ehre, während ich entschieden etwas vom lachenden Süden darein vermischt habe. Meine gute selige Mama meinte zwar immer, Sigrids ernst angelegte Natur sei für mich ein Segen, denn sie dämpfe etwas meinen Übermut. Papa nimmt's nicht so scharf, denn im Haus bin ich's doch allein, die ihn zum Lachen bringt. Natürlich meint's Sigrid ebenso gut, vielleicht noch besser als ich, aber ein jeder muß doch seiner Natur folgen, nicht wahr?«
Doch noch ehe der Fürst antworten konnte, wandte sich Gräfin Sigrid um, diesmal mit halbem Lächeln. »Nicht so laut, Iris«, sagte sie scherzend. »Wer bringt denn alles wieder ins Geleise, wenn Fräulein Sonnenschein ein Kunterbunt gestiftet?«
»O Sigrid, du bist ja auch viel, viel besser und klüger als ich«, war die reuig-übermütige Erwiderung.
»Reue hat sie immer, die Sünderin, aber keine Besserung!« rief Sigrid dem Fürsten über die Schulter zu, und die Weichheit, die ihre Züge dabei annahmen, kleidete sie sehr gut.
»Man sollte meinen, Ihre Gräfin Schwester wäre mindestens zwanzig Jahre älter als Sie und dazu berufen, Sie zu bemuttern«, sagte Hochwald lächelnd.
»Oh, das tut sie auch«, erwiderte Iris ernsthaft. »Sie ist überhaupt unser guter Hausgeist und führt, seit Mama nicht mehr ist, ganz allein unsere Wirtschaft.«
Inzwischen war man in das Musikzimmer gelangt, dessen Wände mit heiteren Amorettengruppen bemalt waren, die zwar mehr guten Willen als künstlerische Vollendung zeigten, aber doch in jeder Linie den angeborenen Schönheitssinn der Italiener verrieten, der auch den Dekorationsmaler kaum verläßt. Teppiche und Portieren fehlten hier, ein prachtvoller Steinway-Flügel nahm die schmale Längswand ein, und im Nu waren Stühle im Halbkreis gestellt