Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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      »Und jetzt zur Königin«, sagte sie, den Arm ihres Bruders ergreifend, nachdem sie ihn noch einem halben Dutzend Damen vorgestellt hatte.

      »Also auch Königinnen hast du in deinem Musterlager moderner Gesellschaftsmenschen?« fragte der Fürst belustigt.

      Die Generalin nahm's für ein Kompliment.

      »Die Königin Darja, weißt du«, flüsterte sie mit stolzem Lächeln hinter ihrem Fächer. »On se mêle un peu aux affaires politiques – cela nous donne un certain haut goût diplomatique, wenn ich's so ausdrücken darf. Die Königin verbringt den Winter hier offiziell á cause de sa santé, aber wir alle wissen, daß es eine Art von Verbannung ist. Und da sie unserer Nation von Geburt angehört, so haben wir uns ostentativ bei ihr eingeschrieben – das war ein Wink von oben, weißt du, durch Boris, der doch eingeweiht ist. Oh, es hat doch sein Schönes, wenn man einen Sohn hat, der mit der haute diplomatique ganz au fait ist!«

      Marcell Hochwald hätte das nun nicht gerade blind unterschreiben mögen, aber er hütete sich, es zu sagen. Er wurde im nächsten Augenblick auch schon der Königin vorgestellt, die in einem kleineren Salon Cercle abhielt und den ihr dem Namen nach wohlbekannten deutschen Magnaten sehr freundlich begrüßte. Sie hielt ihn wohl eine Viertelstunde lang im Bann ihrer tiefen, verschleierten Stimme und ihrer wunderschönen, traurigen, dunkeln Augen, und dann durfte er weiter fortfahren im Durchforschen der terra incognita des Salons seiner Schwester, wobei er halb belustigt und halb entrüstet nicht umhin konnte zu bemerken, daß sie »allen Tod und Teufel« eingeladen hatte.

      »Aber Marcell, ich bitte dich«, erwiderte Madame Chrysopras etwas zerstreut, denn ihre Augen suchten offenbar etwas, oder vielmehr, jemanden in der Menge. »Nur noch in Deutschland hat man diesen Kastengeist, der sich immer in demselben Kreise langweilt.«

      »Nein, Olga, gegen diese Beschuldigung erhebe ich Widerspruch«, sagte der Fürst lächelnd. »Nur vermeiden wir Deutschen allerdings gern zweifelhafte Existenzen in unseren Salons. Du aber hast ja hier eine förmliche Ausstellung Bassermannscher Gestalten!«

      »Welche Übertreibung, Marcell! Aber hast du Boris noch nirgends entdeckt? Der Schlingel sitzt sicher mit seiner blonden Komtesse in irgendeiner Ecke oder Nische und raspelt Süßholz!«

      »Lassen wir ihn! Er muß sich doch seinem schweren diplomatischen Amte entsprechend erholen. Und Süßholz zu raspeln ist solch unschuldiges Vergnügen!« meinte Marcell Hochwald mit leisem Spott. Madame Chrysopras aber fing sofort Feuer.

      »Ich begreife nicht, wie man in solchen Dingen scherzen kann!« rief sie entrüstet. »Und das, nachdem ich dir erst heut früh auseinandergesetzt, daß Boris solch kleinen Habenichts nicht heiraten kann! Ah, da ist unsere liebe Miß Grant. My dear child, hier bringe ich Ihnen meinen Bruder, den Fürsten Hochwald! Marcell, ich lasse dich jetzt hier zurück, denn meine Pflicht als Wirtin ruft mich zu der Königin – und wenn du meinen süßen Boris siehst –«

      Das übrige verlor sich in der Begrüßung anderer, und das eben vorgestellte Paar blieb allein zurück, falls man ein Nebeneinanderstehen, Ellbogen an Ellbogen inmitten einer schwatzenden, Sandwich verzehrenden Menge mit »Alleinsein« bezeichnen kann.

      Aha, das ist also die Schwiegertochter nach dem Herzen meiner Schwester, dachte der Fürst, sein Gegenüber diskret musternd. Miß Fuxia Grant war zweifellos sehr hübsch und sehr pikant – daß ihr rotes Haar zu goldigeren Tinten gezwungen worden und infolgedessen zwar heller, dafür aber glanzlos geworden war, machte ihr pikantes Gesichtchen, das dem bekannten Porträt der Dubarry auffallend ähnlich war, noch eigenartiger, und wenn sie ihren blassen Brauen und Wimpern mit chinesischer Tusche zu dem frappanten Kontraste mit ihrem Haar verhalf und ihren großen braunen Augen durch einen sehr diskreten bläulichen Ring einen besonderen Reiz verlieh, so war das eben ihre Sache, und der diese kleinen Korrekturen der Natur durchschauende Beobachter mußte notwendig zugeben, daß das Gemälde äußerst geschickt und wirksam war. Miß Fuxia Grant war ferner gut und geschmackvoll gekleidet, in ein sehr einfach gearbeitetes Kleid von weicher, cremeweißer, indischer Seide, deren glanzlose Falten sich um ihre wunderbar schön gewachsene Figur und wahrhaft klassische Büste mit jener Vollkommenheit des Arrangements legten, wie nur Worth in Paris sie imstande ist zu »komponieren«. Und zu diesem Kleide schmückte nur eine Schnur kirschgroßer echter Perlen den schlanken Hals, ein Stern von Brillanten das Haar, und ein ebensolcher Stern dieser kostbaren Steine schloß vorn die etwas tief ausgeschnittene Taille.

      Hm – in dieses Yankee-girl würde ich mich verlieben, wenn – sie mein Genre wäre, dachte der Fürst weiter. Leider mag ich Gemälde aber nur im Rahmen oder auf der Staffelei!

      Indes hatte »Miß I reckon of N'York« den Fürsten ihrerseits sehr ungeniert durch eine sogenannte Pompadour- oder Stock-Lorgnette gemustert.

      »Oh, also Sie sind der Bruder der Madame Chrysopras?« begann sie dann das Gespräch. »Aber viel jünger als diese, I reckon!«

      »Eine Tatsache, die der Gothaische Kalender erhärtet, von meiner Schwester aber nicht gern gehört wird«, erwiderte der Fürst lächelnd.

      »Aber Frau von Chrysopras ist doch eine geborene Gräfin Hochwald, denke ich, keine Prinzessin«, fuhr Miß Grant fort.

      »Gewiß. In unserem Hause führt nur der Chef des Hauses den Fürstentitel, und ›Prinz‹ ist nur sein ältester Sohn und Erbe. Die übrigen Glieder des Hauses sind Grafen und Gräfinnen!«

      »How interesting«, meinte Miß Grant mit großen Augen. »Ähnlich ist's ja wohl auch in England, I reckon! Und Sie sind also ein wirklicher, richtiger Fürst?«

      »Es kommt darauf an, was Sie darunter verstehen«, war die Erwiderung des Fürsten.

      »Nun, ich meine, solch ein Fürst wie in England die Herzöge!«

      »Ganz richtig – im Prinzip sind wir dasselbe – landsässige Fürsten ohne die Rechte der Ebenbürtigkeit mit den regierenden Häusern!«

      »How strange!« machte Miß Grant und nahm die Lorgnette wieder vor die Augen. »Ich habe mir immer gewünscht mit den europäischen Herzögen und Fürsten bekannt zu werden. Wir haben drüben eine kleine Schwäche für solche Titel, you know! Sind Sie verheiratet, Fürst?«

      »Gott sei Dank, leider noch nicht«, erwiderte Marcell Hochwald mit völlig ernstem Gesicht. Aber die schöne Fuxia Grant merkte nichts von dem Doppelsinn der Antwort: Sie schlug die Augen nieder und neigte den fuchsroten Kopf etwas zur Seite – sinnend, nachdenklich. Dann holte sie tief Atem und sagte mit schönem Freimut: »Ich habe mir nämlich vorgenommen, einen deutschen Fürsten zu heiraten!«

      Marcell Hochwald verneigte sich, ohne daß in seinem Gesicht eine Muskel gezuckt hätte.

      »Sie erweisen meinem Vaterlande zu viel Ehre, meine Gnädigste«, erwiderte er ernsthaft. In diesem Moment kamen mehrere Herren, die durch einen von ihnen der amerikanischen Millionärin vorgestellt werden wollten, und Fürst Hochwald benutzte diesen günstigen Moment, um sich nach Boris und Sascha umzusehen.

      Das nehme mir kein Mensch übel, dachte er, sich durch die Menge windend. Da muß man sich ja vollständig über die Art des Korbes klar sein, wenn diese reizende Miß mit ihrem Antrage noch deutlicher werden sollte. Aber wer, um alles in der Welt, ist dort jener alte Herr? Den muß ich irgendwo schon gesehen haben!

      Dieser innere Ausruf galt einem Herrn, der an einem Türpfosten stand und die Gesellschaft ziemlich teilnahmslos betrachtete. Sein Haar war weiß, doch konnte er noch nicht alt sein, was ein gewisses Etwas in seinen schönen, vornehmen und ruhigen Zügen verriet, und die blauen Augen unter den weißen Brauen waren noch zu wenig eingesunken, um von hohem Alter zu zeugen. Gefesselt von dem Aussehen des Herrn, dessen Züge ihn, er wußte nicht, an wen erinnerten, trat Hochwald vor ihn hin und stellte sich, seinen Namen nennend, vor.

      Überrascht sah der Fremde auf.

      »Wir sind alte Bekannte, lieber Fürst«, erwiderte er in deutscher Sprache. »Freilich werden Sie mich kaum mehr wiedererkennen, denn in den zwanzig Jahren, seit ich Sie zum letztenmal sah, bin ich weiß geworden, während Sie fast unverändert sind. Ich bin Ludwig Erlenstein.«

      »Darum