Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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Oheims Sonderbarkeit: »Merkwürdig!« und setzte sogleich hinzu: »Ich habe einen scheußlichen Hunger, Onkel – Gemütsbewegungen machen mir immer Hunger und wirken auf Leere des Magens. Merkwürdige Konstitution, was? Du hast doch auch Hunger, Onkel? Es ist auch fast Lunchzeit, und ehe wir so langsam bis zu Doney schlendern – was meinst du dazu?«

      »Einverstanden«, sagte der Fürst gutgelaunt; denn nach dem seine erste schwere Enttäuschung, den Besuch des Markusklosters betreffend, überwunden war, fand er sich in die zweite, die ihm den Besuch der Galerie Corsini entrückte, schon leichter, um so mehr, als sein Neffe mit seinem Pschütt entschieden den sehr starken Sinn für Humor in ihm weckte. Er legte also seinen sehr unauffällig bekleideten Arm in den in allen Farben spielenden des jungen Diplomaten, und beide schlenderten zurück nach der Via Tornabuoni, zu dem vornehmsten Restaurant von Florenz, wo man für hohe Preise vorzüglich speisen kann.

      Sie saßen auch sehr bald an einem Tische des eleganten Restaurants und sahen hinab auf die Straße mit ihrem bewegten Treiben, mit ihren einander drängenden Passanten, ihren Equipagen, ihren strahlenden Juwelen-, Mosaik- und Kunstläden – und siehe da, da kam auch eines der »Wunder« von Florenz, der ältliche Amerikaner, der von einem turmhohen Wagen herab vierundzwanzig paarweise davor gespannte Pferde mit vierundzwanzig Leinen kutschiert und den Schaden, den er durch diese sonderbare und unbequeme Passion täglich anrichtet, dem Magistrat durch Vereinbarung monatlich bezahlt.

      »Donnerwetter, wer so viel Geld hätte wie dieser Kerl!« seufzte Boris Chrysopras über seiner Tasse Beeftea aux Truffes.

      »Nun, dein Vater konnte es sich seinerzeit auch wohl gestatten, mit sechsundneunzig Pferdebeinen spazierenzufahren«, erwiderte der Fürst.

      »Papa? O ja. Aber erstens ist sein Geld in drei Teile gegangen für Mama, Sascha und mich – na, und ich –«

      Er vollendete nicht, denn der Kellner kam und setzte eine kleine Terrine Straßburger Gänseleberpasteten auf den Tisch und eine Flasche Steinberger Kabinett.

      »Ja, es ist so unangenehm, daß das Geld rund ist«, meinte der Fürst, indem er einschenkte.

      »Scheußliche Eigenschaft«, murmelte der junge Diplomat. »Mama wird dir natürlich schon vorgejammert haben«, setzte er mißtrauisch hinzu, und als der Fürst hierauf nichts erwiderte, meinte er tröstend: »Na, eine Weile hält es schon noch vor, und dann werden wir ja Rat schaffen. Kolossal reiche Partie in petto – fürchte nur, daß die unseren Stammbaum nicht gerade mit Edelreisern okulieren wird.«

      »So?« machte der Fürst. »Deine Mutter sprach doch aber von einer deutschen, jungen Gräfin, die – –«

      Boris Chrysopras wehrte mit der Linken lebhaft ab, während die Rechte den Rest der Pasteten auf seinen Teller legte.

      »Siehst du, Onkel, das ist mir ja eben so auf den Magen gegangen, hat mir diesen unnatürlichen Hunger gemacht! Gemütsbewegungen vertrage ich einmal nicht!«

      »Nein?« fragte der Fürst, amüsiert der verschwindenden Pastete nachsehend.

      »Nein«, bestätigte der junge Russe mit tragischem Kopfschütteln, »denke dir meine Lage, Onkel! Hier – ein immer mehr schwindendes Vermögen – – habe scheußliches Pech gehabt im Spiel und auf dem Turf – und die Aussicht, nächstens brichst du nieder. Dort – eine äußerst pikante Amerikanerin mit blödsinnigem Mammon, und dazwischen eine blonde Elfe, die nichts, oder doch zu wenig für mich hat. Nun stell dir das mal vor, und stelle dir vor, daß ich diese blonde Elfe gerade lieben muß!«

      »Ja, ja, es ist schrecklich«, sagte der Fürst, insgeheim lächelnd, indem er an Saschas drastischen Vergleich von dem Esel zwischen den Heubündeln dachte. »Ich glaube gern, daß dieses Dilemma dich aufregt.«

      »Ah, du weißt noch nicht alles«, unterbrach ihn Boris, dem Kellner zusehend, der eben delikat aussehende Hammelkoteletten a la Maintenon servierte nebst einer staubbedeckten Flasche alten Burgunders. »Onkel, diese Koteletten kann dein Koch nicht besser machen – sie sind einfach in der Perfektion. Und diese Haricots vert flageolets dazu werden nach meinem Rezept bereitet, denn vom Gemüsekochen haben diese elenden Italiener keine Ahnung.«

      Er zerlegte eines der saftigen, talergroßen, aber dicken Koteletten in ihrer Panade von Parmesankäse und aß mit Kennermiene.

      »Gut«, sagte er, indem er langsam ein paar Schluck des alten Burgunders schlürfte. »Also Onkel«, fuhr er fort, »ich sage dir, du weißt noch nicht alles. Stelle dir vor, daß ich, alle pekuniären Bedenken beiseite schiebend, nur meinem Herzen folgen will und mich heut früh entscheide. Geld hin, Geld her – die oder keine andere, sage ich mir. Und da ich weiß, daß die Erlensteins heute früh nach den Uffizien wollen, gehe ich auch dahin, rase durch alle Säle wie ein Besessener, sehe den Vater mit der anderen Tochter natürlich erst im Niobidensaal, und wie ich mich in die leere Sala del Baroccio zurückkonzentriere, um einen Kriegsplan zu entwerfen, wer, meinst du wohl, steht an dem schönen Mosaiktisch in der Mitte und zeichnet sich ein Ornament davon ab in ein kleines Skizzenbuch – Sie! Sie! Sie!«

      »Woraus man ersieht, daß ein junger Mensch Glück haben muß«, meinte der Fürst ernsthaft. »Und was tatest du?«

      »Ich?« Boris Chrysopras sah tiefsinnig zu, wie der Kellner nach raschem, geräuschlosem Tellerwechsel erst eine Flasche Roederer, extra dry, in Eis vergraben in silbernem Kübel auf bronzenem Gestell herbeibrachte und dann einen zarten gebratenen Fasan mit Kaviar-Beilage servierte, begleitet von ausgesuchtem Endiviensalat und Kompott von grünen Mandeln. »Siehst du, Onkel, der Kaviar ist recht gut hier – das Beste vielleicht, was ins Ausland kommt, aber Kaviar, wie wir ihn essen, ist es nicht: grau, großkörnig, perlend und mild – kurz, Kaiserkaviar. Aber auch dieser ist, wie gesagt, passabel und meiner Ansicht nach die beste Beilage zum Fasan, obgleich viele Sauerkraut in Sekt gekocht mit Austern darin vorziehen. Das ist nicht meine Passion. Ich weiß ja nicht, wie du über diesen Punkt denkst, aber –«

      Er zuckte bezeichnend mit den Achseln.

      »Ich finde deinen Geschmack gut«, erwiderte der Fürst, mit Anstrengung ernsthaft bleibend. Und indem er seinem Neffen zutrank, sagte er: »Also du fandest ›Sie‹ in der Sala del Baroccio?«

      »Ja, ein Ornament kopierend«, begeisterte sich Boris für seine »jungen Leiden« wieder, nachdem er den schwachen Leib gestärkt. »Wir schüttelten uns die Hand, besprachen den Mosaiktisch, wurden ganz darüber einig, daß die ›Magdalena‹ von Carlo Dolci widerlich süßlich sei und fanden beide Rubens zweite Frau schöner als die erste. Und während wir noch verglichen, faßte ich mir ein Herz, schoß mit einer Liebeserklärung los und bot ihr Herz und Hand.«

      »Nun, und ›Sie‹?« fragte der Fürst, als Boris sich von neuem mit einem Glase Sekt stärkte, ein Fasanenbruststück dick mit Kaviar bestrich und es in seinen Mund schob.

      »Sie?« kam es dumpf zurück, weniger aus Herzensqual, als weil er seinen Mund voll hatte. »Sie?« wiederholte er dann mit hellerer Stimme, »nun, sie gab mir einen klippklaren, unverzuckerten und unzweideutigen Korb!«

      »Ah –« machte der Fürst überrascht. Dann erhob er das Glas. »Cheer up, old boy », sagte er, »es lebe die Amerikanerin.«

      »Noch nicht, Onkel«, erwiderte Boris wiederum dumpf aus naheliegenden Gründen. »Wie ich also so stehe, bildlich genommen, mit offenem Munde über die unglaubliche Geschmacksverwirrung dieser blonden Borste von einem kleinen Satan, wer tritt in den Saal? Der Papa mit seiner anderen Tochter. Und wie die über die Schwelle tritt, da bricht die furchtbare Erkenntnis über mich herein, daß ich nicht die Korbspenderin, sondern deren Zwillingsschwester liebe!«

      »Mein Gott, das ist ja ein Stoff für Ibsen!« rief der Fürst überrascht. »Doch ich sage dir noch einmal, alter Junge: cheer up, denn Schlimmeres kann dir dabei ja gar nicht passieren, als daß du dir noch einen Korb holst, den Zwillingskorb.«

      »Onkel, spotte nicht«, erwiderte Boris mit Pathos, der ihn aber nicht verhinderte, eine eben aufgetragene, köstlich nach Aprikosen duftende Schaumtorte, wie sie eben nur in Florenz gebacken werden kann, einer näheren Betrachtung zu würdigen. »Ich sagte dir schon, solche Gemütsbewegungen gehen mir nah zu Herzen.«