Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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ist aber auch köstlich!« gestand Boris, eine zweite Schnitte des aromatischen süßen Gebäcks auf seinen Teller schiebend, »ich meine die Torte, denn die Erlensteinschen Zwillinge sind mehr elfenhaft als überwältigend. Ach, und ich mußte mich stärken nach dieser Offenbarung meines Herzens, Onkel, und darum erlaubte ich mir, die eben servierten Speisen auszuwählen als Stammgast dieses Lokals – –«

      Als dann die Reste der Torte abgetragen waren und der Kellner Butter, Pumpernickel, Radieschen, Selleriestengel, Stracchino und Roquefort brachte und schon die Mokkatassen zu einem Zuge des wahrhaft vollkommenen Doneyschen Kaffees hinstellte, da fragte der Fürst noch einmal: »Nun, Boris, und die Amerikanerin?«

      »Klotzig reich, sehr pikant«, brummte Boris achselzuckend. »Manchem zu ausländisch, zu sehr ›free country girl‹. Wirst sie ja heut bei Mama sehen, Onkel, denn daß du nicht in dem internationalen Salon eingefangen sein solltest, ist doch nicht anzunehmen.«

      »Nein, leider richtig erraten«, sagte der Fürst seufzend.

      »Na, ja eben«, meinte Boris mit bezeichnender Handbewegung, »scheußliche Erfindung, Mamas Routs. Allerdings wird Sie auch da sein –«

      »Ah so – die neuentdeckte ›Sie‹ deines Herzens?«

      »Und die Korbspenderin auch. Sie stehen alle nicht in so großer Gunst bei Mama wie die pikante Miß ›l reckon‹, wie ihr Spitzname ist, aus ›N'York‹. Mag wohl noch ein Tropfen Negerblut in ihr sein. Der Vater war jedenfalls Schweinehändler, der Großvater Schweinetreiber.«

      Fürst Hochwald fiel's unwillkürlich ein, daß der Großvater seines Neffen, des »guten, seligen Chrysopras« Vater, Schneider gewesen sein sollte – aber »mein Himmel!«, das war ja am Ende der alte Derfflinger auch vor grauen Jahren.

      Nachdem Boris noch seinen Kaffee geschlürft, der nach seiner Angabe »heiß wie die Hölle, schwarz wie die Nacht und süß wie die Liebe« sein mußte, um gut zu sein, verließen die Herren Doneys Restaurant und trennten sich unten auf der Straße, Boris, um in seinem Hotel Siesta zu halten, der Fürst, um sich einen Wagen zu nehmen und hinaufzufahren nach Fiesole, wo er im Garten des alten Franziskanerklosters auf der Höhe ein paar Stunden verträumte. Er hatte sich die wenigen Mönche, die das zypressenbekränzte, malerische alte Kloster bewohnen, zu Freunden gemacht, und sie ließen den signore tedesco gern hinein in den Klostergarten mit seinem schwermütigen Haine von Zypressen, Lorbeer und Steineichen, mit seinem Fernblicke in den grandiosen Bergkessel des Apennin. Von dieser Stätte geht die Sage, daß Atlas sie errichtete für solche, die die Ruhe des Geistes und die Heiterkeit des Herzens verloren haben.

      Die Sonne neigte sich schon, als Fürst Hochwald sich von dem Block von Pietra Serena erhob, der zu Füßen des Kreuzes liegt, von dem aus man in die großartige Bergschlucht hinabschaut. Nur schwer trennte er sich von der Aussicht in die Tiefe, in der schon dunkelviolette Schatten lagerten und aus der es anfing, eisig kalt emporzusteigen. Langsam durchschritt er den Hain, dessen Laubkronen schwermütig flüsterten und rauschten, dessen Zauber sein Herz stets neu umspann und ihm zu sagen schien: Bleib hier, denn hier wohnt der Friede!

      Der Friede – ein anderer, tieferer Friede noch als in seinem Schloß am Meer, wo die Wogen unablässig rauschten und brandeten – wie sein eigenes Herz – der Friede der Entsagung, der Friede der Ergebung und der Erwartung eines besseren Lebens, in dem das Herz nicht mehr irrt und nicht mehr zu bereuen braucht.

      Reue! Oh, die schwere Kette; die, im Feuer der Seelenqual geschmiedet, nimmer nachläßt, wenn auch der Dichter sagt:

      »Kummer und Reue,

       Alles zerstiebt,

       Es vergißt selbst die Treue,

       Wie treu sie geliebt.«

      »Ja, vergänglich ist auf Erden alles – nur zwei sind's, die uns überdauern – die Liebe und der Schmerz, denn die erstere höret nimmer auf, und der zweite läutert uns fürs bessere Leben, und mit ihm müssen wir oft die irdische Glückseligkeit erkaufen.

      Fürst Hochwald zögerte, bevor er in den malerischen Klosterhof trat, hinter dessen Pforte sich ihm die Welt wieder öffnete, diese schöne Welt mit ihren Wundern der Natur und Werken von Menschenhand, in der nichts unvollkommener ist als der Mensch selbst.

      »Die Abende sind noch so kalt«, meinte der Superior, als sich der Fürst von ihm im Kreuzgange verabschiedete. Und er versteckte fröstelnd die Hände in den Ärmeln seiner groben Kutte. »Unsere Zellen droben, nach Norden und Westen gelegen, sind gar nicht zu bewohnen. Freilich langen die südlichen Zellen reichlich hin für meine kleine Herde, aber auch im Refektorium ist's eisig kalt zu dieser Jahreszeit.«

      »Und doch hätt' ich am liebsten eine von diesen nördlichen Zellen«, erwiderte der Fürst mit einem Seufzer.

      Der Superior sah den Fremden prüfend an, denn er kannte nicht den Namen des Signore tedesco.

      »Armut kann Euch solchen Wunsch nicht eingeben«, sagte er, der reichen Gaben gedenkend, die dieser häufige Gast stets in der Sammelbüchse an der Klosterpforte zurückließ. »Und Gott dienen kann man auch ohne Kutte und Klosterzelle. Nicht alle sind dazu berufen. Den Frieden des Herzens aber müßt Ihr mitbringen in die stille Zelle, denn nicht jeder, der ihn dort sucht, wird ihn finden – wenigstens nicht ohne Kampf. Manchen Gemütern ist die Einsamkeit wohl wünschenswert, aber dennoch unerträglich.«

      »Die Einsamkeit allein tut's nicht«, erwiderte der Fürst und nahm Abschied von dem Superior, der ihm lange nachsah und dazu oft den grauen Kopf schüttelte.

      Was ist's mit dem Manne? dachte er. Weltschmerz oder Seelenschmerz! Hm! hm! Sieht nicht aus, als ob dem der Erdenstaub zu schwer, die Sonne zu dunkel wäre. Und Seelenschmerz? Davor sind auch die Besten unter uns nicht geschützt!

      Es war spät geworden, als Fürst Hochwald bei seiner Schwester in der Viale Regina Margherita anlangte, aber er machte sich darüber weiter keine Vorwürfe, da er die ketzerische Meinung hegte, daß er noch viel zu zeitig käme für dieses Konglomerat von »Spezialitäten«, wie Madame Chrysopras sie liebte. Es war eine neue und elegante Villa, die sie bewohnte, mit elektrischem Lichte, viel Vergoldung und Marmor heuchelnden Gipsstatuen. Die Einrichtung des nur der Geselligkeit geweihten Erdgeschosses mit seinen großen und hohen Räumen war modern und elegant, denn Seidenstoffe überzogen die Polstermöbel und dekorierten in steifen Falten Türen und Fenster – aber es war alles so alltäglich, so mietskasernenmäßig, so ganz im Geschmack jener Dekorateure, deren unerträgliche Falten- und Bogendekorationen einem jedes Zimmer verleiden können, daß es Fürst Hochwald nach dem ersten Blicke in diese elektrisch beleuchtete Pracht ganz elend zumute wurde, worauf aber das Gefühl: Gottlob, daß du hier nicht wohnen mußt! sich wohltuend bei ihm geltend machte.

      In den geräumigen Salons war eine elegant gekleidete, Gelato und süße Kuchen speisende, schwatzende Menge versammelt, die zunächst an den babylonischen Turmbau erinnerte, denn die sehr lebhafte Konversation wurde in allen erdenklichen Sprachen geführt, die vom Sakramento bis zum Bosporus zu hören sind. Uniformen waren nur vereinzelt vertreten – der schwarze Frack mit der weißen Binde und der chapeau claque dominierten, nur spärlich unterbrochen durch die Uniformen einiger Bersaglieri-Offiziere oder die violette Schärpe eines Monsignore und belebt durch den roten Mantel und das gleichfarbige Käppchen eines Kardinals, um den sich eine gewählte Gruppe gebildet hatte. Madame Chrysopras, in prächtiger, taubengrauer Brokatrobe, Diamantsterne im schneeweißen Haar, rauschte ihrem Bruder schon im ersten Salon entgegen. »Mein Gott, Marcell, wie spät«, rief sie vorwurfsvoll, »ich hätte dich so gern früher hier gehabt, damit du mir bei dem Empfange helfen möchtest.«

      Na, das hätte mir gerade noch gefehlt, dachte er, und überreichte seiner Schwester mit einem »Pardon, Olga!« einen Strauß prächtiger Orchideen, der sie sofort versöhnte.

      »Wie reizend von dir, an mich zu denken!« rief sie erfreut. »Und noch dazu Orchideen! Orchideen sind so modern. Nun aber komm – ich muß dich dem Kardinal vorstellen und ein paar Leuten von Einfluß, die gerade mit ihm sprechen – mitgefangen, mitgehangen, lieber Marcell – hier gibt's keine Einsiedeleien.«

      Fürst Hochwald machte mit