Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
Скачать книгу
Marcell! Sie malt jetzt die beiden Erlensteins – deliziös!«

      »Beide Erlensteins?« fragte der Fürst. »Es sind also zwei Töchter da? Und welche betet Boris an, die ältere oder die jüngere?«

      »Das weiß er selbst nicht, Onkel«, rief Sascha, »denn einmal sind die beiden Schwestern Zwillinge, und dann schwankt sein Herz noch zwischen beiden hin und her, wie – wie – nun, du kennst ja das Sprichwort von dem Esel mit den beiden Heubündeln.«

      »Sascha, welche Vergleiche! Ich bin entsetzt!« rief Madame Chrysopras; doch als sie ihren Bruder harmlos genug lachen sah, lachte sie mit. Urplötzlich blieb sie aber stehen. »Ich habe eine Idee«, sagte sie, förmlich atemlos vor innerer Erregung.

      »Oh, die mußt du uns auch zum besten geben, Olga«, meinte der Fürst amüsiert.

      »Nein, du darfst nicht lachen«, sagte sie, und da man inzwischen an den Caseinen, dem herrlichen, öffentlichen Park von Florenz, angelangt war, deutete sie auf eine Bank unter einer mächtigen Steineiche. »Wir wollen hier einen Moment ruhen, Marcell – indes sieht Sascha, ob der Wagen uns langsam gefolgt ist, denn leider wohnen wir nicht vor Porta del Prato, sondern in der Viale Regina Margherita, dort haben wir eine Villa gemietet, dicht an der Piazza Cavour!«

      »Wie konntest du, Olga!« meinte der Fürst vorwurfsvoll. »Moderne Straßen und Häuser kannst du überall haben. Aber wenn man nach Italien kommt, da sucht man sich einen alten Palazzo aus, möglichst nah an den Galerien und möglichst historisch.«

      »Larifari«, sagte die Generalin, sich erschöpft setzend, »was gehen mich die alten Spelunken an und all der historische Unfug, den ihr Archäologen treibt! Ich fühle mich in Italien erst wohl in den neuen Häusern an der Piazza Cavour, wo man sich wenigstens einheizen lassen kann, wenn man friert. Doch davon ein andermal. Was ich sagen wollte – ist Sascha weit genug? Sie spottet immer über meine Pläne, ach! und wenn sie doch dem seligen Chrysopras nicht so ähnlich sehen möchte! Doch was ich sagen wollte – Marcell, ich will dir nicht mit Einleitungen und Gemeinplätzen kommen, ich will dir auch keine Vorwürfe darüber machen, daß du noch Junggeselle bist – – Marcell, du wirst dieses Jahr fünfundvierzig Jahre alt, und Krähenfüße bekommst du auch schon um die Augen, und graue Haare gewiß auch, nur daß man sie bei dieser Frisur nicht sieht – – sage, Marcell, weißt du denn nicht, daß du verpflichtet bist, dich zu verheiraten?«

      »Man sagt so«, erwiderte der Fürst lächelnd, »aber das, liebe Olga, ist nicht gut zu befehlen und nicht gut zu untersagen. In dieser Beziehung bin ich Lessings Meinung: Kein Mensch muß müssen, wenigstens in gewissen Dingen.« –

      »Und die Erbfolge in Hochwald? Soll sie an die jüngere Linie fallen? Das fehlte noch!« sagte die Generalin, ihren Sonnenschirm energisch in den Sand stoßend.

      »Was geht mich die Erbfolge an? Die soll mir keine grauen Haare machen, denn bei der jüngeren Linie gibt's Söhne genug. Man muß anderen Leuten auch etwas gönnen«, meinte der Fürst ruhig lächelnd.

      »Nein, das kann dein Ernst nicht sein, Marcell!« rief die Generalin mit ungeheucheltem Entsetzen.

      »Er ist's im Wortlaut und gewissermaßen auch im Sinne«, entgegnete er ruhig; »aber«, fügte er träumerisch hinzu, »du hast ja ganz recht. Hochwald hat sich seit Jahrhunderten vom Vater auf den Sohn vererbt, und in die jüngere Linie ist viel Blut gekommen, das den Stamm nicht veredelt hat. Doch meine Zeit habe ich versäumt. Ich fange an, alt zu werden. Aus Liebe wird ein junges Mädchen mir nicht zum Bunde fürs Leben die Hand reichen, und um mich wegen des Fürstentitels heiraten zu lassen, dazu fehlt mir jede Neigung. Also wird die jüngere Linie doch wohl die Erbfolge antreten.«

      »Nous verrons, nous verrons«, meinte die Generalin mit geheimnisvoller Miene, und da Sascha mit dem Wagen erschien, setzte sie hinzu: »Wir besprechen das wohl noch einmal, Marcell, nicht wahr? Denn dein letztes Wort war das doch nicht? Einstweilen mußt du mir versprechen, heute abend mein Gast zu sein. Es ist mein jour fixe, und du sollst sehen, über welch interessanten internationalen Salon ich verfüge.«

      »Also das ist immer noch dein Ideal, diese kosmopolitische Gesellschaft?«

      »Aber ich bitte dich, was gibt es Interessanteres! Es kommt auch ein Liebhaber alten Plunders, wie du, ein Mr. Marstone.«

      »Ist er Herren- oder Damenschneider?« fragte der Fürst. »Man kann das bei diesen ›innocents abroad‹ niemals wissen.«

      »Oh, du bist so schlecht, Marcell!« rief die Generalin mit Überzeugung. »Also du kommst? Au revoir!«

      Und dann rollte sie mit Sascha in ihrem gemieteten Landauer die Via del' Re Umberto hinauf.

      »Also ein Teil meiner schönen persönlichen Freiheit wäre verkauft und dahin«, murmelte der Fürst seufzend, als er den Lungarno wieder herabzuschreiten begann. »Nur Rom oder Venedig kann mich jetzt von den internationalen Salons der guten Olga retten. Da wird Rataiczak wohl bald wieder packen müssen! Und mein schöner, alter Palazzo in der Via Maggio – ja – es gibt keine reine Freude in der Welt!« Angelangt an der Piazza Manin, überlegte er, ob er nun doch noch nach dem San-Marco-Kloster fahren oder ob er den fast ganz verlorenen Morgen lieber im nahen Palazzo Corsini beschließen sollte. Er wußte dort eine Madonna von Filippino Lippi und Soustermansche Porträts, die einen schon trösten konnten über verlorene Stunden in Florenz. Und während er stillstand, um in seiner Brieftasche die Eintrittskarte zu suchen, die ihm den Palazzo Corsini sogar um Mitternacht geöffnet hätte, sagte plötzlich jemand dicht an seinem Ellenbogen: »Fürst Hochwald, wenn ich nicht irre!«

      Überrascht wandte sich der Angeredete um und sah neben sich einen jungen Mann stehen, groß gewachsen und hübsch von Angesicht, aber durch den »pschüttesten« aller »pschütten« Anzüge bis zur Möglichkeit karikiert. Alles war an diesem jungen Manne kariert, von dem merkwürdig geschnittenen Anzug an, den man, hätte ihn ein armer Gymnasiast getragen, dürftig genannt hätte. Aber hier waren die Karos noch klein, während sie sich auf dem sackförmigen und viel zu kurzen Überzieher zu fabelhafter Größe erweiterten. Den Hut hintenübergesetzt, an den Füßen gelbe, rindlederne Schnabelschuhe, aufgekrempelte, maßlos weite Unaussprechliche, rot gefüttert, und blaue Strümpfe mit aufgedruckten Sportemblemen, mit leuchtend zimtfarbenen Handschuhen bekleideten Händen, über die Manschetten mit Riesenknöpfen fielen, ein Stöckchen wie für einen dreijährigen Jungen: so stand das wandelnde Modell eines verrückten Pariser Schneiders vor dem erstaunten Fürsten.

      Dieser verbeugte sich leicht.

      »Allerdings«, sagte er, »ich weiß aber nicht, mit wem ich die Ehre habe –«

      Doch bevor er ausgeredet hatte, war ihm das karierte und karikierte Wesen schon um den Hals gefallen und applizierte ihm auf offener Straße einen Kuß.

      »Aber Onkel, kennst du mich nicht mehr? Ich bin ja Boris – Boris Wassilijewitsch Chrysopras, dein Neffe!«

      »Nun eben«, war alles, was der Fürst in den Armen dieses Neffen hervorbringen konnte, und als dieser endlich seinen verwandtschaftlichen Gefühlen genug getan hatte, steckte er resigniert seine Karte für den Palazzo Corsini wieder ein und besah sich den Sohn seiner Schwester.

      »Du also bist Boris, die Perle des Hauses«, sagte er. »Hm! schön angezogen bist du jedenfalls.«

      »Alles Pariser Modelle, Onkel!«

      »Scheint so. Habe eben deine Mutter und Schwester verlassen, nachdem wir uns aus Zufall getroffen.«

      »Lebst du inkognito hier, Onkel?«

      »Nicht doch. Ich schreibe mich in die Fremdenbücher M. F. Hochwald ein. Das ist mein ganzes Inkognito, denn ich werde auf die zwei mystischen Lettern M. F. hin meist für einen Reisenden in irgendeiner Branche geschätzt von Oberkellner und Portier. Und da Rataiczak nicht plaudert und ich mir meine Briefe stets poste restante bestelle, so entgehe ich meist der mir so widerlichen Servilität und dem ewigen ›Durchlaucht‹, für das ich so teuer bezahlen muß.«

      »Merkwürdig!« sagte Boris Chrysopras in seiner Ahnungslosigkeit, daß Leute mit Titeln im Gegensatz zu Titellosen sich's meist nur mit dem Bewußtsein genügen lassen, dieselben