Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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verhinderte seine glücklich angelegte, sonnige Natur, daß er hart wurde und schroff und wunderlich in seiner Einsamkeit.

      Fürst Hochwald hatte nun schon zwanzig Jahre sein stilles Leben geführt, unterbrochen von weiten, einsamen Reisen, die ihn monatelang fern hielten von der nordischen, meerumspülten Heimat. Er war jetzt fast fünfundvierzig Jahre alt – ein Mann in den besten Jahren, aber allein.

      Es war im zeitigen Frühjahr. Am Meere hoch im Norden rasten die eisigen Stürme noch durch das Laubholz und umpfiffen unheimlich das einsame Schloß. Diesem Kampf des Winters mit dem Frühling war, wie fast alljährlich, Fürst Marcell Hochwald entflohen, und er weilte die Monate Februar, März und April meist im Süden – in Spanien, Tunis, Kairo oder Italien, je nachdem es ihm gerade einfiel, nur gefolgt von seinem Kammerdiener, der vor vierundzwanzig Jahren Bursche bei ihm gewesen in der schönen, lustigen Leutnantszeit und vier Jahre jünger als sein Herr war, mit ihm kapituliert hatte und dann mit ihm gezogen war. Sie hatten beide diese Unzertrennlichkeit nicht zu bereuen gehabt, denn der Fürst war ein gütiger, wenn auch strenger, so doch gerechter Herr, und Rataiczak, der trotz der Jahre sein gebrochenes Deutsch aus den Rekrutentagen nicht verbessert hatte, war eine goldehrliche und goldtreue Seele. Freilich hatte auch Rataiczak seine Eigentümlichkeiten, welche man bei langjährigen Dienern findet – im übrigen war er wie sein Herr, eine Hünengestalt mit blitzenden schwarzen Augen und gewichstem Schnurrbart, dem die kleidsame Jägerlivree, die er stets auf Reisen trug und nur daheim mit dem schwarzen Frack, kurzen Beinkleidern, Strümpfen und Schnallenschuhen vertauschte, vortrefflich, und für die Herzensruhe von Spanierinnen, Italienerinnen und Nubierinnen gleich gefährlich, stand.

      Ganz allein, wie er es liebte, war Fürst Hochwald an einem köstlich warmen Märztage durch die engsten Gassen von Florenz geschlendert, um gelegentlich aus den finsteren Höhlen der Trödelbuden Perlen zu fischen für seine Sammlungen – alte Majoliken, Gläser, Stoffe, Möbel – kurz Antiquitäten. Und sein sicheres Auge trügte ihn selten: oft schon hatte er unter dem greulichsten Wuste von allen möglichen und unmöglichen Dingen Gegenstände gefunden, welche der Verkäufer gar nicht achtete, und noch heimlich lachte, wenn der verrückte »Inglese«, unter welchem Sammelnamen der Italiener alle zahlungsfähigen Leute versteht, mit einem Lumpen, einem zerschletterten Stuhl oder einer runden, bemalten Tonscherbe abzog und dafür auch noch einen anständigen Preis gezahlt hatte.

      Jetzt eben trat er aus einer Seitengasse der Via Maggio, in der Rocktasche sorgsam eine kleine Dose von Sevresporzellan mit dem Bilde und dem Fabrikzeichen der Pompadour bergend, die er in einer nach Zwiebeln riechenden Spelunke von Laden herausgestöbert hatte. Mit dem Taschentuch den gratis mitgebrachten Staub von den Kleidern klopfend, wandte sich Fürst Hochwald nach dem Arno zu, überschritt Ponte San Trinita, unter dessen Pfeilern der Arno seine gelbgefärbten Fluten majestätisch durchwälzte – schwankte dann einen Moment, ob er rechts zu den Uffizien oder links nach den Caseinen den Lungarno hinabgehen sollte, und schritt schließlich geradeaus, um an dem gezinnten Palazzo Spini vorbei die Via Tornabuoni mit ihrem reichen Lädenschmuck zu betreten. Eigentlich wollte er nur sehen, ob Brogi, der berühmte Photograph und Kunsthändler, neues in seinem Laden habe, um dann nach dem San-Marco-Kloster zu schlendern, wo ein Maler die berühmte Krönung Mariä von Fiesole für ihn auf Elfenbein kopierte.

      Wer weiß, wie alles gekommen wäre, hätte er sich für den sonnigen Lungarno entschieden! Aber ahnungslos überschritt Fürst Hochwald die Straße und stand sehr bald vor dem Schaufenster von Brogi, wo im schweren, reichgeschnitzten Goldrahmen eine vorzügliche Kopie der berühmten Tizianschen Königin von Zypern seine Aufmerksamkeit erregte. Und wie er noch so stand und das Bild betrachtete und sich überlegte, ob er nicht als Pendant zur »Bella« eigentlich auch die schöne Catarina Cornaro besitzen müsse, trat aus der Ladentür eine sehr starke, hübsche, ältliche Dame, gefolgt von einer jüngeren, die im Gegensatz zur ersteren sehr schlank und durchaus nicht hübsch mit ihrem gelben Kalmückengesicht und schwarzem, krausem Negerhaar war. Die ältere Dame, deren schneeweißes Haar ihrem noch sehr frischen Teint wohl zu statten kam, blinzelte beim Heraustreten, geblendet von dem grellen Sonnenlichte, mit den Augen und wollte sich eben den Schirm aufspannen, als ihr Blick nach rechts fiel.

      »Nein!« sagte sie erstaunt, und dann: »Marcell, bist du's denn wirklich?«

      Auf die Nennung seines Namens hin wandte sich Fürst Hochwald rasch um.

      »Olga!« rief er überrascht. »Wie kommst du hierher? Ich glaubte dich in Petersburg!«

      Die Dame war die einzige Schwester des Fürsten und das junge Mädchen mit dem Kalmückengesicht ihre Tochter. Olga Hochwald war ein sehr hübsches Mädchen gewesen, aber, wie so viele Majoratstöchter, mittellos im Vergleich zu den Ansprüchen, in denen sie meist erzogen werden. Eine reiche Heirat war also auch eine Notwendigkeit für die verwöhnte und aller Orten gern gesehene Komtesse, die indes nur die Herzen solcher zu besiegen verstand, die so viel hatten wie sie selbst – also zu viel zum Verhungern und zu wenig zum Leben, wenigstens indem von Olga Hochwald gewöhnten großen Stile. Da lernte sie in Karlsbad, wohin sie ihre Eltern begleitet hatte, durch Vermittelung eines Herrn der russischen Botschaft einen alten Stockrussen mit einem Kalmückengesicht kennen, den steinreichen General Chrysopras, der trotz seiner sechzig Jahre sein Herz an ihr entzündete und ihr seine Schätze nebst seiner Hand zu Füßen legte. Nach kurzem Schwanken nahm sie beides an, denn wenn der Adel des Generals auch nur allerneuesten Datums und mit einer seiner Ordensdekorationen verknüpft war, so war er dafür sehr reich und sie fünfundzwanzig Jahre alt und nur im Besitz eines hübschen, frischen Gesichtes und des Trousseaus, den das Majorat den Töchtern der Hochwalds aus einem besonderen Fonds bewilligte.

      General Chrysopras lebte noch zehn Jahre, und seine Frau blieb als eine recht lebenslustige Witwe im Vollbesitz ihres ererbten Vermögens und mit zwei Kindern zurück, von denen der »süße« Boris die hübschen Züge seiner Mutter und die »arme« Sascha leider die Kalmückenphysiognomie ihres Vaters geerbt hatte. Als Sascha dann heranwuchs und »ausgeführt« werden sollte, machte dieser Umstand der Generalin vielen Kummer, denn, nachdem sie, um ihrer Mutterrolle ein besonderes Relief zu geben, ihr zum Ergrauen neigendes Haar mit Eau de Cologne und Poudre de rix zu der schneeigen Weiße gezwungen hatte, die ihr so gut stand, und sie sich eingestehen mußte, daß sie wirklich immer noch viel hübscher war als ihre Tochter, da sank ihr oft das Herz.

      »Wie soll ich sie mit dem Gesicht verheiraten?« pflegte sie zu sagen. »Hätte nicht Boris lieber seinem Vater ähnlich sehen können? Bei Männern verdeckt der Bart so viel.«

      Und Sascha war nun auch schon fünfundzwanzig Jahre alt, ohne daß sie auch nur einen Korb ausgeteilt hätte, trotz ihres Geldes, trotzdem der persönliche Adel ihres Vaters in Erbadel umgewandelt worden war, trotz der gesicherten und angenehmen gesellschaftlichen Stellung, die ihre Mutter in Petersburg einnahm, trotzdem ihr Bruder in der diplomatischen Karriere reüssierte und trotz des jährlichen Besuches aller Weltbäder, gegen das unausrottbare Übel, eine alte Jungfer zu werden. Da hatte die Generalin Chrysopras eine Idee: sie versuchte es mit den großen Städten Italiens, wo alle Welt sich Rendezvous gibt und wo vornehme italienische Granden mit alten Namen schon so oft reiche Erbinnen gegen ihre zerrütteten Vermögensverhältnisse gesucht und gefunden hatten. Vielleicht, vielleicht fand Sascha auch solch einen Marchese oder Duca oder Conte. Das war aber trotz allen darin liegenden Chancen ein Rechenfehler, denn der Italiener mit seinem angeborenen Schönheitssinn muß schon sehr gedrängt sein, wenn er trotz seiner Liebe zum Gelde eine häßliche Frau damit kauft, denn Stumpfnasen, hohe Backenknochen und Schlitzaugen rechnet er absolut zu den Häßlichkeiten, während der Kalmückenstamm wiederum edelgeformte Nasen und große Augen für unannehmbar erklärt.

      Aus diesem Grunde traf also Fürst Hochwald mit seiner Schwester und seiner Nichte in Florenz am Schaufenster von Brogi in der Via Tornabuoni an jenem schönen, warmen Märztage zusammen.

      »Ich glaubte dich in Petersburg«, hatte er im ersten Erstaunen gesagt.

      Die Generalin machte ein entsetzliches Gesicht.

      »Ich bitte dich, Marcell, das wäre ja gar nicht schick!« rief sie. »Wenn die Fastenzeit beginnt, kann man ja eigentlich in Petersburg nicht bleiben, denn als gute Russin muß man da in Sack und Asche gehen. Ist das amüsant? Nicht? Also – ich reise schon den dritten Winter nach dem Süden. Voriges