»Boris in Rom! Davon wußte ich auch nichts«, unterbrach der Fürst den Redestrom.
»Seit zwei Monaten«, nickte die Generalin stolz, und indem ein Blick ihre Tochter streifte, setzte sie mechanisch hinzu: »Sascha, halt dich gerade!«
»Und weil Boris in Rom ist, bist du in Florenz?« fragte der Fürst lächelnd.
»Wir gehen auch hin«, entgegnete die Generalin, »denn siehst du, Boris hat einen Monat Urlaub und ist auch in Florenz –«
Sie brach kurz ab und seufzte.
»Nun und –?«
»Sascha, halt dich gerade«, ermahnte Madame Chrysopras, indem sie ihrem Bruder den Arm reichte und mit ihm dem Lungarno zuschlenderte, gefolgt von Sascha, die gelangweilt aussah und mürrisch wie ein Landregentag. »Entre nous, Marcell – Boris hat Feuer gefangen und seinen Urlaub nach hier genommen, bloß weil die betreffende Familie auch hier ist.«
»Das scheint dich nicht sehr zu entzücken, Olga.«
»Oh – eine deutsche Komtesse wäre mir ja keine unwillkommene Schwiegertochter, siehst du, aber sie hat zu wenig, ich weiß es aus bester Quelle.«
»Was braucht Boris danach zu fragen!« warf der Fürst ein.
»Ah, er hat viel verbraucht«, flüsterte die Generalin. »Siehst du, Marcell, er hat eben sein Leben genießen wollen, der arme Junge, nun, und – und da ist sein väterliches Erbteil fast ganz dahin! Was sagst du dazu?«
»Daß ein jeder so liegen muß, wie er sich bettet », meinte der Fürst trocken.
»Nein, daß er eine gute Partie machen muß, sage ich«, ereiferte sich die Generalin. »Und er war auch ganz überzeugt davon, bis er dieses blonde Komteßchen sah – oh, Marcell, ich habe wirklich großen Kummer – bin eine arme, unglückliche Witwe!«
»Unsinn, Olga«, tröstete der Fürst. »Daß Boris mit seinen Erbteil fertig geworden ist, ist ja tragisch genug –«
»Ja aber, soll denn der arme Junge wie ein Kartäuser leben?« unterbrach ihn Madame Chrysopras empört. »Warum soll mein Boris, mein süßer Boris sich um Rubel und Kopeken kümmern? Er, der sich in den höchsten Kreisen bewegt, soll dabei ein Leben führen, das ihn einfach vom high life ausschließen würde? Mein Boris hat ein Recht an das Leben, und er soll's genießen!«
»Es scheint ja, als ob er es redlich täte«, erwiderte der Fürst.
»Nun, und wenn auch? Wen geht es etwas an? Niemand!«
»Richtig, liebe Olga. Also um auf das abgebrochene Thema zurückzukommen – daß Boris sein Erbteil verbraucht hat, ist für dich zwar eine wesentliche Beruhigung und Freude –«
»Nein, Marcell, du bist zu schlecht!« rief die Generalin ernstlich böse.
»Also auch nicht«, meinte der Fürst resigniert, und begann abermals: »Daß Boris sein Erbteil auf den Kopf geschlagen hat, ist zwar sehr lobenswert –«
Ein unterdrücktes Lachen von der hinter ihnen gehenden Sascha belehrte den Fürsten, daß er in der Tat die Achillesferse der Schwester getroffen und sich aufs Glatteis begeben habe.
»Sascha, was ist da zu lachen – halt dich gerade!« rief die Generalin scharf verweisend über die Schulter zurück. Aber Sascha benutzte das betäubende Geräusch eines vorüberfahrenden Lastwagens, um dem Fürsten warnend zuzurufen: »Onkel, du stichst in ein Wespennest! Was Boris tut, ist wohlgetan!«
»Also du begreifst, daß Boris eine reiche Partie machen muß«, fuhr die Generalin fort, als der Wagen vorüber war, »denn mein Geld kann ich ihm nicht geben, wenn ich einigermaßen ein Haus machen will, und Saschas Erbteil – ja, wenn Sascha überhaupt heiraten soll, muß sie wenigstens Geld haben, da ihr die äußere Attraktion fehlt –«
Erschrocken über die Rücksichtslosigkeit der Schwester sah der Fürst sich nach seiner Nichte unwillkürlich um. Doch diese nickte ihm zu und zeigte lachend ihre spitzen, weißen Zähne.
»Wenn's mir Mama nicht sagt, so erzählt mir's der Spiegel, daß ich häßlich bin«, sagte sie gleichmütig.
»Sie ist dem guten, seligen Chrysopras so ähnlich«, murmelte die Generalin seufzend. »Und Boris ähnelt mir – so soll's ja eigentlich Glück bringen, aber mir wär's umgekehrt lieber, denn Häßlichkeit –«
»Häßlichkeit entstellet immer, selbst das schönste Frauenzimmer«, deklamierte Sascha ohne Bitterkeit, aber mit so viel Humor, daß es dem Fürsten ganz warm ums Herz wurde.
»Sascha, unterbrich mich nicht!« rief die Generalin scharf. »Halt dich gerade und laß mich endlich ausreden. Was wollt' ich denn eigentlich sagen? Ja – Häßlichkeit ist solch ein Fluch für ein Mädchen. Also muß sie wenigstens Geld haben, und dieses Geld ist nebenbei auch noch so sichergestellt, daß es für Boris gar nicht zu erlangen ist.«
»Sonst wär's auch schon fort«, tuschelte Sascha an des Fürsten Seite.
»Und nun dieser Unsinn mit der kleinen Komtesse – es ist zum Weinen!«
»Hm«, machte der Fürst. »Und wie heißt diese Angebetete?«
»Sie ist die Tochter von dem Erlenstein, der seiner Frau wegen erst so lange in Kairo lebte und sich jetzt hier ganz ansässig gemacht hat, weil die Frau das deutsche Klima nicht vertrug.«
»So so! Und erwidert die junge Gräfin diese Gefühle von Boris?«
»Das kann weder er noch sein bester Freund behaupten«, meinte Sascha.
»Was redest du da für Unsinn?« fuhr die Generalin auf. »Gefühle? Was sind Gefühle? Natürlich wird sie nach Boris mit beiden Händen greifen, denn erstens ist er ein sehr schöner Mensch – er sieht mir ähnlich – und zweitens ist er eine brillante Partie.«
»Du sagtest aber doch eben, daß er sein Erbteil verbraucht habe«, fiel der Fürst trocken ein.
»Er ist auch, abgesehen davon, eine brillante Partie vermöge seiner Talente und Begabungen.«
»Er soll unter anderm einen wundervollen Tempel legen können«, stimmte die unverbesserliche Sascha ein.
Boris muß in den letzten Jahren eine Perle geworden sein, dachte der Fürst, der sich jetzt auch der Affenliebe, die seine Schwester stets für den Knaben gehegt, erinnerte. Er war daher eigentlich froh, wie Madame Chrysopras nach dem letzten Einwurf Saschas etwas unvermittelt das Thema fallen ließ und ihrem Redestrom eine andere Richtung gab, indem sie plötzlich frug: »Wie lange bist du denn eigentlich schon hier, Marcell? – Seit vierzehn Tagen? Großer Gott, was hätte man in dieser Zeit nicht alles unternehmen können – Landpartien, Picknicks, Galeriebesuche – entre nous, Galerien sind das sträflich Langweiligste, was es gibt, aber es gehört nun einmal zum guten Ton, sie zu besuchen. Italien ohne Galerien wäre ein Eldorado, Marcell! Dabei fällt mir ein, Sascha nimmt hier Unterricht im Pastellmalen – das ist fabelhaft schick, und sie war so vernünftig, es selbst zu wollen, trotzdem sie sich sonst allem widersetzt, was Mode ist. Sascha, halt dich gerade und rede nicht, es ist so«, warf sie mit einem Blick nach rückwärts ein, obgleich Sascha gar nichts gesagt hatte. »Warum wolltest du voriges Jahr nicht die Geige spielen lernen?«
»Weil ich kein Gehör habe, Mama, kein Talent zur Musik!« »Gehör! Talent! Welcher Unsinn! Was ist Talent? Ein dummes, landläufiges Wort. Man nimmt einen Lehrer, bezahlt ihn und macht ihm alles nach. Das kann jeder Affe!«
Nun aber lachte der Fürst laut auf.
»O Olga, du hast dich entsetzlich russifiziert!« rief er, »so sehr, daß alles schon bei dir per Muß gehen muß. Sogar das Talent. Arme Sascha, mußt du Pastellmalerei durch die Knute lernen, nur weil es Mode ist?«
»Du wirst's ja sehen, Onkel«, erwiderte Sascha im gleichen Tone.
»Pastell ist eine Kunst, die vor Ölmalerei zwar den Vorteil hat, daß sie geruchlos ist und die Bilder gleich fertig sind«, plauderte die Generalin, die mitgelacht hatte, weiter,