Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
Скачать книгу

      Des Mondes sanftes Licht verblich allmählich in der opalbleichen Dämmerung des neuen Tages; und als ein siegender Lichtstrahl im Osten die Ankunft der Sonne verkündete, da begann ein Glöckchen leise, klagend zu läuten, und in der Zelle droben hob der Priester an, die Gebete für Sterbende zu beten.

      Mond und Sterne waren ganz verblaßt. Das Frührot tauchte die grauen Gefängnismauern wie in Purpur und Gold. Die Sonne war emporgestiegen, einen glorreichen Tag verheißend. Das Glöckchen war verstummt. Und als die Tageskönigin leuchtend zur Höhe stieg und über die graue Mauer ihr siegendes Licht warf, da trug man auf einer Bahre einen schwarzgetünchten, schmucklosen Sarg hinweg. Drinnen in der Zelle nahm der Graf von Erlenstein in Empfang, was man ihm jetzt bedingungslos aushändigte: einen Brief, ein Spitzentuch, das sie zuletzt über dem blonden Haar getragen, dies schöne, seidenweiche Haar selbst, eine kleine Schatulle, mit Gerichtssiegeln verschlossen, die die Pretiosen enthielt, die seine Schwester bei ihrer Verhaftung getragen, und – einen kleinen Strauß weißer Moosrosen, die sie bis zuletzt in den Händen gehalten und in Purpurrosen verwandelt hatte.

      Der Priester aber berichtete aufs tiefste bewegt, wie sie gestorben war – reuig und gefaßt, ohne Todesfurcht, aber demütig und ergeben – ein Sühnopfer für schwere Schuld.

      »Requiescat in pace«, schloß er, und wie er es sagte, hob das Glöcklein noch einmal an und zitterte seine leisen, klagenden und wimmernden Klänge in die Morgenluft des goldigen Herbsttages hinein, läutete einen kurzen Puls und verstummte dann.

      Das war die Mahnung zur Fürbitte für die arme Seele, die jetzt schuldbeladen vor Gottes Throne stand.

      Verdorben und gestorben.

      Erster Teil

       Inhaltsverzeichnis

      Hoch im Norden Deutschlands, dicht am Meer, liegt Schloß Hochwald. Seinen Hintergrund bilden herrlich bestandene, wildreiche Wälder von gemischten Hölzern, meist Eichen und Buchen, während die dunklen Föhren, vereinzelt oder gruppenweise darin verteilt, nur dazu da zu sein scheinen, um den Schattierungen des Waldes einen besonderen Reiz zu verleihen. Die Ausläufer dieser Wälder sind sehr geschickt zum Schloßpark umgewandelt worden, und in der Tat, einen Naturpark von großartigerer Schönheit als Schloß Hochwald besitzt wohl kein zweiter Herrensitz im ganzen Deutschen Reiche. Man hat dem Wald- und Heideboden vor der Parkfront des Schlosses einen herrlichen smaragdgrünen Rasenplatz abgewonnen, in dessen Mitte eine der gewaltigsten Eichen, mit Runenschriften in der brüchigen Rinde, sich erhebt, während eine tief dunkelgrüne Föhre mit breitem Geäst, kerzengerade gewachsen, dicht vor dem Schlosse einen köstlichen Tannenduft verbreitet, der sich mit dem Rosenflor, welcher hier besonders gepflegt wird, auf das angenehmste vermischt.

      Das Schloß selbst hat so viel Stile in seinem Bau aufzuweisen, daß man es einfach stillos nennen kann. Vielen Leuten ist das lieber als das langweilig und regelmäßig Stilvolle, mit dem heutzutage so viel Unfug getrieben wird. Kurz Schloß Hochwald war ein vielgetürmter und beerkerter Bau dessen älteste Teile aus dem 13. Jahrhundert stammten und nur noch einen Flügel bildeten, während der Mittelbau aus dem 16. Jahrhundert die spitzen, schiefergedeckten Mansardendächer mit den gleichfalls zugespitzten Türmen der Schlösser von Fontainebleau und St. Germain zeigte. Daß sich zwischen diesem eigentlichen Hauptbau und einem überreich mit Stuck dekorierten heitern Rokokopavillon ein Bankettsaal im reinsten Tudorstil der englischen Gotik drängte, mit spitzenartig durchbrochenen Strebe- und Dachpfeilern, erfüllte Sachverständige zwar mit Kopfschütteln, Mißbilligung und Entrüstung, sah aber trotzdem sehr malerisch aus.

      Auf der Seeseite spülten die Wellen direkt an die schräg abfallenden Mauern des Schlosses, doch brach die Brandung sich schon an den spitz aus dem Wasser ragenden Felsenriffen, während nach rechts das Terrain sich verflachte. Eine breite Terrasse, mit direkt ins Meer führender Treppe an der Nordseite des Schlosses, gab für sonnige Sommertage einen köstlich-kühlen Aufenthalt mit dem Blick auf die unendliche Fläche, deren Wellen im immerwährenden Einerlei kamen, sich rauschend und zischend an den Riffen und an der weißen Marmortreppe brachen und ihren Gischt oft heraufschleuderten bis zu den Füßen derer, die oben saßen und sich nicht satt sehen konnten an dem einzigen Schauspiel und dabei wohlig die kühle, klare und reine Seeluft einatmeten.

      Das Geschlecht, das auf dem Schlosse erblühte, waren die Grafen von Hochwald, auch die Seegrafen genannt, denn sie hatten als Dynasten an der Küste gesessen seit undenklichen Zeiten und den Wechsel der Tage sattsam durchgemacht. Die kleine Souveränität, die ihrem Ahn vorzeiten der böse König Abel von Dänemark verliehen, weil er ihm geholfen hatte, den König Erik Plochpenning, seinen Bruder, zu erschlagen, war natürlich nur ein leerer Begriff, von dem der Besitzer auch nichts weiter hatte als eine eigene Münze. Später war ein Hochwald so klug, seine Souveränität gegen großes Gelände zu vertauschen, ehe er ohne dieses mediatisiert wurde, und in neuester Zeit, bei Gelegenheit einer Thronbesteigung und in Anbetracht dessen, daß die Hochwalds trotz ihrer unzweifelhaft bestandenen Souveränität vermöge ihres Tauschvertrages es verscherzt hatten, jemals in die Zahl der Reichsunmittelbaren und Ebenbürtigen aufgenommen zu werden, ward ihrem Hause der Fürstentitel nach dem Rechte der Erstgeburt nebst einer Hofcharge verliehen. Das war alles ganz schön und gut für den ersten Fürsten und Vater des jetzigen, der auch beständig in der Residenz lebte und seine Revenuen nicht nur voll, sondern übervoll verzehrte. Dadurch hatte das Haus Hochwald einmal eine kritische Zeit durchzumachen. Aber die schlimme Zeit ging vorüber, man sagte, durch Vorschüsse aus der königlichen Schatulle, kurz, als der alte Fürst nach mehreren Jahren völliger Zurückgezogenheit starb, waren die finanziellen Angelegenheiten Hochwalds so geordnet als je zuvor.

      Der Sohn des ersten Fürsten von Hochwald hatte seine Laufbahn sehr jung im Heere, und zwar bei der Leibgarde, begonnen und galt nicht nur für einen geistig bedeutenden und wahrhaft herzgewinnenden, liebenswürdigen jungen Mann, sondern auch für äußerlich schön und für einen flotten, schneidigen und guten Kavallerieoffizier, der sich in den höchsten und hohen Kreisen der Residenz einer wohlverdienten Beliebtheit erfreute. Und in der Tat hatte er etwas so Sonniges im Wesen, das die Herzen zu ihm hinzog; selbst wenn er auch ohne Titel schlichtweg Marcell Hochwald geheißen hätte, seine Gesinnungen, seine freie, offene und ehrliche Natur würden ihn doch zum vornehmen Mann gestempelt haben.

      Als er sein Erbe dann antrat und dennoch erklärte, der Armee treubleiben zu wollen, begrüßte man diesen Entschluß mit freudiger Genugtuung: um so größer ward daher das Erstaunen, Bedauern und Kopfschütteln, als er kurz darauf plötzlich ernst und zurückhaltend wurde, als es sich wie ein schwarzer Schleier auf sein sonniges Wesen legte und er ein paar Monate später den weißen Koller auszog und den Adlerhelm einpackte – kurz, den Abschied nahm. Über die Gründe, die ihn dazu bewogen, sprach er sich nur im allgemeinen aus, selbst seine nächsten Bekannten und Verwandten erfuhren nichts Bestimmtes, nichts Einleuchtendes, denn die Antwort des Fürsten auf die an ihn heranstürmenden Fragen, daß er sich vollständig dem Landleben und genealogisch-heraldischen Studien, die ihn stets sehr angezogen, widmen wolle, fanden nur ungläubiges Kopfschütteln, weil der Entschluß zu schnell, die Wandlung seines Wesens zu plötzlich gekommen war.

      Aber jedes Staunen nimmt ein Ende, wie alles in der Welt. Die Leute beruhigten sich nach und nach über »die Verrücktheit des Fürsten Hochwald«, weil andere Dinge passierten, die ihr Interesse in Anspruch nahmen und ihre Zungen in Bewegung setzten, und nach Jahr und Tag wunderte man sich höchstens über das Einsiedlerleben des jungen Magnaten, der nur einige Male im Jahre ein paar intime Bekannte zur Jagd in seinen herrlichen Wäldern einlud, und nur dann in der Residenz gesehen wurde, wenn fremder fürstlicher Besuch bei Hofe seine Anwesenheit dort erforderte, um seines Erbamtes als Oberstjägermeister seiner Provinz zu warten. Den bald nach seinem Ausscheiden aus der Armee ausgebrochenen Krieg hatte er bei seinem früheren Regiment mitgemacht und dabei eine nicht gewöhnliche, fast an Todesverachtung grenzende Tapferkeit bewiesen, die andere, sehr tapfere Offiziere für unvernünftig und zwecklos erklärten, während sie beim gemeinen Mann Begeisterung und Nachahmung erregte. Ein Säbelhieb im Gefecht streckte ihn wochenlang auf das Krankenbett, doch auch im größten Wundfieber verriet sein Mund nichts, was über