Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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      Er reichte ihr seine Hand. Aber sie sah diese Hand nicht. Stieren Blickes rang sie die schmalen, weißen, durchsichtigen Hände ineinander, und über ihre Lippen zitterte es kaum hörbar: »Sterben! Sterben! Oh, die weißen Rosen von Ravensberg!« Da trat der Mann hart vor sie hin.

      »Ja, sterben«, wiederholte er mit starker Stimme. »Marie, zeige, daß du eine Tochter unseres Stammes, daß du eine Erlenstein bist. Denn es hat noch niemals ein Erlenstein vor dem Tode gezittert, und keiner ist mutlos durch die dunkle Pforte in die Ewigkeit getreten. Gott ist ein strenger Richter, aber er ist auch unendlich gütig und mild, er wird aus deinem Herzen die Goldkörner heben, die wir Menschen mit unserem schwachen Auge nicht gefunden haben und die dennoch für dich das Mittel werden können zum ewigen Leben. Es bleibt dir noch Zeit genug, zu bekennen und zu bereuen. Und vergiß auch nicht, daß es auf Erden noch ein Band für dich gibt, das zu lösen ist: dein Kind!«

      Sie fuhr auf, wie getroffen.

      »Mein Kind!« rief sie, »wo ist mein Kind?«

      Es war das erstemal, daß sie nach ihrem Kinde rief, seit sie gefangen war.

      »Dein Kind ist wohlgeborgen«, sagte er traurig. »Ich habe wohl daran gedacht, es dir zu bringen zum letzten Lebewohl, aber ich wollte das zarte Geschöpf den Gefahren einer langen Reise nicht aussetzen – solch ein leise flackerndes Lebenslicht ist leicht verlöscht. Und so sage ich dir denn zum Trost für den Moment, wo dein Herz sich um das Kind beunruhigen könnte – es ist in meiner Obhut und wird als mein Kind gelten. Es wird durch die Gnade des Königs meinen Namen tragen, damit sein unschuldiges Dasein nicht von Kindheit an mit dem Kainszeichen gebrandmarkt werde und das junge Leben vergifte. Meine Frau und ich verlassen Deutschland für Jahre – im Süden soll unser Kind geboren werden, und dann wird das deine sein erstes Lebensjahr überschritten haben. Wir werden dann ein Zwillingspaar haben, denn unten kennt uns kein Mensch, und wenn wir zurückkehren, wird der Unterschied des einen Jahres nicht bemerkbar sein. So ist unser Plan, und wir haben uns gelobt, dem Kinde liebende, pflichtgetreue Eltern zu sein, als ob es unser eigen Fleisch und Blut wäre, und es zu vergessen, welches unser eigenes und welches dein Kind ist. Und es soll nie erfahren, wer seine Mutter war, wenn auch der ehrliche, fleckenlose Name seines Vaters dabei mit versinken muß in das Meer ewigen Vergessens. Und wenn nichts dein Herz berührt, Marie, so muß das es treffen wie ein zweischneidiges Schwert: daß dein Kind den Namen seines liebenswerten Vaters nicht kennen darf – um deinetwillen. Und nun leb wohl!«

      »Leb wohl«, wiederholte sie mechanisch, den Blick auf den weißen Rosen, als seien diese ein Magnet, der alle ihre geistigen Kräfte im Banne hielte.

      Doch ehe er an die Tür klopfte, trat er noch einmal vor sie hin.

      »Und du hast mir nichts, wirklich nichts zu sagen, Marie?«

      »Ich tat es nicht!« sagte sie hastig und ohne aufzusehen.

      »Bedenk es, Marie! Es ist vergebens, zu leugnen, denn jede Hoffnung ist dahin für dich. Nichts kann dich mehr retten, nichts, nichts! Und morgen früh, wenn die Sonne aufgeht, bist du schon jenseits ihres ewigen Lichtes.«

      »Morgen schon?« schrie sie auf, und ein trostloser, gehetzter Blick aus ihren Augen irrte zu dem Fenster. »Die Sonne ist am Untergehen – und nur noch eine Nacht?«

      »Nur noch eine Nacht, deine letzte«, wiederholte er.

      Nervös tasteten ihre Hände nach den weißen Rosen.

      »Die Todesrosen von Ravensberg«, flüsterte sie. »Nein, es ist keine Hoffnung mehr. Alles dahin, alles! Unschuld, Reinheit, Ehre, Liebe – nichts ist geblieben.«

      Und sie sprang auf und drückte die Hände gegen die pochende Schläfe und irrte umher in der engen Zelle.

      »Nichts!« wiederholte sie, »nichts als Nacht und Grauen und Todesangst. Und das ist das Ende! Wie soll es geschehen?« fragte sie scheu und tonlos, plötzlich vor dem Bruder stehen bleibend. Und er verstand sie und wendete sich erschüttert ab. Doch auch sie hatte verstanden.

      »Also so?« fragte sie kaum hörbar. Und dann sprach sie laut und gleichgültig: »Ja, ich habe davon gelesen und im Theater immer weinen müssen, wenn Schillers Maria Stuart zur Hinrichtung ging und Leicester oben alles mit anhörte. Und wer wird bei mir weinen? Leicester wohl nicht, trotzdem er mich in den Tod getrieben! Erst Samt und Seide und Zobel und Juwelen, und jetzt –? Ein Block und ein Beil und ein Armesündersarg! Und ich bin immer noch so jung! Werdet ihr mich in eine Gruft legen oder muß ich hinter der Kirchhofsmauer schlafen?«

      »Marie! Marie!« bat er leise. »Du mußt nicht so irre reden. Fasse dich! die Zeit verrinnt!«

      »Ja, die Sonne will untergehen«, erwiderte sie und trat an den Tisch, um wieder die weißen Rosen aufzunehmen. »Noch eine kurze Stunde, und es ist Nacht – ewige Nacht. Ob es ein Jenseits gibt?«

      »Es ist uns verheißen worden vom Heiland selbst, Marie!«

      »Aber man hat keinen Begriff davon. Ist es ein neues Leben, in dem es keine Schuld, kein Elend und kein Ende gibt? Und werden wir dort alle die wiedersehen, die vorangingen durch die dunkle Pforte? Und werde ich ihm dort begegnen, und wird er als Ankläger wider mich auftreten?«

      »Es bedarf vor Gott keines Anklägers. Er hat deine Tat gesehen.«

      »Meine Tat!« wiederholte sie. »Wer sagt mir, ob mein Tod diese Tat sühnt?«

      »Wenn du sie bereuest – gewiß!«

      »Reue! Was ist Reue? Oh, ich weiß, das Bedauern über eine begangene Sünde. Dann habe ich keine Reue. Und Gewissensbisse? Ich bin zu all diesen Gefühlen noch nicht gekommen, weil ich gewartet habe, gewartet auf die Stunde der Erlösung und der Freiheit – umsonst, umsonst. Kannst du mir nicht zur Flucht verhelfen?« fügte sie flüsternd, heimlich hinzu mit stockendem Atem und blitzenden Augen.

      »Flucht?« lächelte er mitleidig. »Flucht aus diesen Mauern? O Schwester, unmöglich!«

      »Unmöglich für dich – ich glaube es«, fuhr sie erregt fort, »aber er, er hätte es für mich tun können, und er hätte mich befreien müssen, denn ich habe es doch für ihn getan, um ihn! Und kein Wort von ihm diese ganze lange Zeit, keine Zeile, keine Botschaft –«

      »Marie, Marie – so ist es wahr, was der Ankläger als wahrscheinlich hinstellte – daß du um einen anderen die dunkle Tat vollbrachtest?«

      »Das hab' ich nicht verraten – nicht einen Moment, nicht mit einem Atemzuge«, fiel sie rasch ein.

      »Nein, du hast seinen Namen wohl zu verschweigen gewußt –«

      »Freilich, jetzt könnte ich mich rächen und diesen Namen nachträglich durch den Schmutz schleifen!« rief sie heftig, doch schnell erlosch dieses Feuer wieder in ihren Augen. »Es würde nicht viel helfen, denn man würde ihm nichts beweisen können. Er ist schuldlos – denn was kann er dafür, daß er mir unbewußt zum Versucher wurde? Nein – dieser Name wird begraben mit mir in dem Armensündersarge –«

      Ein Geräusch an der Tür mahnte den Mann zum Abschiede.

      »Leb wohl, Marie«, sagte er. »Möge Gott dir ein gnädiger Richter sein.«

      »Bleib!« schrie sie auf, »laß mich nicht allein – die Sonne geht unter, und es wird finster – und dort, dort in der dunkeln Ecke im Bett, dort liegt er mit dem blassen Totengesicht. Bleib – ich fürchte mich vor ihm. Siehst du das kleine, blutige Mal dort an seiner Schläfe?« flüsterte sie scheu. »Von diesem blutigen Male habe ich Nacht für Nacht träumen müssen. Ist das Reue? Bleib – o Gott im Himmel, bleib!«

      Doch schon ward die Tür geöffnet – noch ein letzter Blick, und erschüttert, verhüllten Angesichts verließ der Graf von Erlenstein seine unglückliche Schwester, die noch vor Monden so vielgefeierte und umworbene Freifrau von Ravensberg, die jetzt in ihrer engen Zelle unter der furchtbarsten Anklage zum erstenmal zusammenbrach – jung und schön, und blühend wie eine Maienrose, trotz monatelanger Kerkerhaft.

      Und der Mond, der in stiller Nacht emporstieg am sternenhellen Himmel, er sah auch hinein in die