Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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weder erschrecken noch täuschen. Mein Verteidiger war ein Schwachkopf, und der Staatsanwalt schmetterte ihn daher mit seinen Gemeinplätzen als öffentlicher Ankläger einfach nieder – aber wer hat mich bei dieser Rede zittern oder erbleichen sehen? Ich habe nur dazu gelächelt!«

      »Leider, meine Tochter, leider taten Sie's!«

      »Leider?«

      »Ja, denn es hat Ihre Sache sehr verschlimmert.«

      Jetzt lachte die Gefangene wirklich – ein leises, melodisches Lachen, das aber nicht von Herzen kam.

      »Ah, Sie meinen, weil der Staatsanwalt es bemerkte und deshalb in seine Rede einen schwungvollen Satz über meine Verstocktheit, die ein Beweis meiner Schuld sein sollte, einflocht? Und das sollte mich erschrecken?«

      Mit einem unsäglich traurigen Blick sah der alte Priester auf das schöne junge Weib.

      »Ich verlasse Sie wieder, meine Tochter«, sagte er dann seufzend, »denn Sie würden in dem jetzigen Zustand Ihres Herzens nicht nur allein nicht auf mich hören, sondern meinen Worten auch jenen kühlen Trotz entgegenstellen, der Ihrer Sache vor dem irdischen Richter so geschadet hat, daß ein Gnadenspruch wohl kaum für Sie zu erwarten ist. Ich gehe deshalb jetzt wieder und lasse Ihnen ein Buch zurück, dessen Inhalt Ihr Herz vielleicht mehr bewegen wird als mein gesprochenes, armes Wort. Wollen Sie mir versprechen, in diesem Buche zu lesen, was ich für Sie darin aufgeschlagen habe.«

      »Vielleicht tue ich's nicht, vielleicht aber doch«, erwiderte sie nachlässig.

      »Wohl, so sei es, denn Sie wissen nicht, wie oft Sie die Nacht noch kommen sehen werden, der bisher stets ein Morgen folgte!« rief der Priester ernst. »Schon steht die Sonne tiefer, und schnell verrinnt Stunde um Stunde. Wenn dann die ewige Nacht für Sie gekommen ist, dann ist es zu spät, zu bereuen und Gottes Barmherzigkeit zu erbitten. Halt – nicht dieses überlegene Lächeln, meine Tochter«, fuhr er mit erhobener Stimme und abwehrender Hand fort, als sie, die Achsel zuckend, den lieblichen Mund zu schrecklicher Lustigkeit verzog, »nicht dies überlegene Lächeln, das Ihre Waffe ist gegen die Schmerzen Ihrer Seele, gegen die Todesangst des Weltkindes, gegen die irdische Gerechtigkeit! Aber Sie täuschen mich nicht damit, denn ich bin's geübt, die Hieroglyphen zu entziffern, die das menschliche Antlitz mir in meinem schweren Berufe zu raten gibt. Und ich lese auch in Ihrem Auge Schuld und Todesfurcht – Schuld, trotz Ihres nicht einen Moment schwankenden Leugnens, und Todesfurcht trotz Ihrer gemachten Gleichgültigkeit gegen ein Urteil, das schon starke Männer zu Boden geschmettert und bezwungen hat.«

      »Feiglinge«, warf sie ein, unbewegt, ruhig, als spräche sie über das Gleichgültigste. »Ich kann Sie, Herr Pfarrer, nicht verhindern, in meinen Zügen zu lesen, was Ihnen beliebt, aber Sie fangen mich nicht in dieser Schlinge, wie ich mich in keiner anderen habe fangen lassen. Die ganze Anklage gegen mich ist absurd, das Urteil noch mehr, und es kann jeden Augenblick der mich auf freien Fuß stellende Gnadenerlaß des Königs eintreffen, bei dem mein Name hoch angeschrieben steht. Wozu also die Aufregung?«

      Da wandte der Priester sich ab.

      »Gott sende Ihnen sein Licht«, sagte er, »denn Sie sind noch nicht reif, sein Wort zu hören. Lesen Sie, was ich Ihnen bezeichnet habe, dort in jenem Buch – vielleicht, ehe es ganz Abend wird, bin ich wieder bei Ihnen, und Sie sehen durch die zerrissenen Nebel der Weltlust einen Strahl des Lichtes, das auch dem Sünder verheißen ist, wenn er Buße tut.«

      Und damit wendete er sich ab und pochte an die Tür, die alsbald für ihn aufgeschlossen wurde; doch kaum hatte der Priester noch die Schwelle überschritten, so ward auch schon wieder ein anderer eingelassen, den der Direktor des Gefängnisses selbst bis an die Tür der Zelle geleitet hatte. Dieser andere war ein noch junger Mann, um zehn Jahre älter vielleicht als die Gefangene und ihr so ähnlich, wie eben nur Geschwister sich ähnlich sehen können. Er war als Mann fast ebenso schön wie sie als Weib, und beide trugen die Zeichen einer edlen Geburt unverkennbar in ihren Zügen und ihrem Wesen ausgeprägt. Blaß vor innerer Erregung betrat er die Zelle, und wie sie ihn erblickte, flog die Gefangene ihm mit einem Jauchzen der Freude entgegen.

      »Bruder Ludwig! Bruder Ludwig!« lachte sie glückselig, mit geöffneten Armen und jenem Tonfall der Stimme, der auf eine zur Unerträglichkeit gesteigerte Spannung der Nerven deutet. »Kommst du endlich? Bringst du mir die Freiheit?«

      Was auch seine Antwort sein mochte, sie wurde ihm erspart. Denn als die Gefangene ihm entgegentrat, die wenigen Schritte bis zur Tür in fliegender Eile zurücklegend, stieß sie an den Bogen Papier, den der Priester über die Seite des Buches gebreitet, die er für sie aufgeschlagen und mit dem Zartgefühl seines warmen Hirtenherzens mit Rosen bedeckt hatte. Und als das Papier von ihrer schnellen Bewegung herabflog, wandte sie unwillkürlich den Blick auf das Buch und die Blumen – da überzog Leichenblässe ihre Wangen, und mit entsetztem Blick streckte sie beide Hände aus wie abwehrend gegen die zarten, stark duftenden Blüten.

      »Die weißen Rosen von Ravensberg!« schrie sie auf, daß es gellte, und dann, mit einem scheuen, heiseren Flüstern, wiederholte sie: »Die weißen Rosen von Ravensberg! Und die Sage geht, daß weiße Rosen den Männern, Frauen, Töchtern und Söhnen aus dem Hause der Ravensberg den nahen Tod ankündigen. Wie kamen die weißen Rosen auf seine Decke, als – als er starb? Sie waren dort, ich habe sie gesehen – er griff nach ihnen im letzten Augenblicke. Es war im Mai. Und jetzt will's Herbst werden – –«

      Mit kalter, bebender Hand, scheu und doch wie magnetisch angezogen griff sie nach den schneeweißen Moosrosen und las mechanisch die ersten Worte der aufgeschlagenen Seite: »Die Gebete für einen Sterbenden. Der 110. Psalm: ›Aus der Tiefe rufe ich zu dir; Herr, erhöre meine Stimme‹ –«

      Sie brach jäh ab und wandte ihr blasses Antlitz mit den weitgeöffneten starren Augen dem Manne zu, der schweigend und traurig hinter ihr stand, den sie so freudejauchzend begrüßt und urplötzlich vergessen hatte – um ein paar weißer Rosen willen.

      »Muß ich wirklich sterben, Ludwig?« fragte sie leise, herzzerreißenden Jammer in der Stimme, mit gerungenen Händen.

      Der Mann seufzte tief auf und trat nahe zu ihr heran. »Ja«, sagte er mit Überwindung, aber fest. »Es ist alles vorbei, jede Hoffnung dahin. Der König macht von seinem Rechte, Gnade zu üben, keinen Gebrauch und läßt der Gerechtigkeit freien Lauf.«

      Da sank das schöne, stolze Weib, das noch vor einer Viertelstunde so trotzig auf ihre Überlegenheit gepocht, so fest an eine andere Lösung geglaubt, wie gefällt in die Knie und rang die Hände über ihrem Haupt.

      »Sterben, sterben! Und ich bin noch so jung!« stöhnte sie.

      »Auch dein Gatte war es«, sagte er leise, so leise wie ein Hauch, aber sie hatte es doch verstanden. Wie getroffen fuhr sie empor und trat einige Schritte zurück.

      »Ich tat es nicht«, flüsterte sie heiser, aber mit schrecklicher Deutlichkeit.

      Der Mann trocknete sich mit dem Tuche den kalten Schweiß von der Stirn. »Denk an die Ewigkeit, Marie! In wenig Stunden wirst du vor Gott stehen, und –«

      »Sterben?« unterbrach sie ihn entsetzt. »Wirklich sterben, und so bald schon? So bald –«

      »Es ist eine besondere königliche Gnade, daß ich es dir vor der Bekanntmachung der Resolution des Monarchen mitteilen durfte, um dich vorzubereiten. Meine Mission – die schwerste meines Lebens – den König um Gnade für dich zu bitten, ist gescheitert. Zwar hat mein Name mir die Privataudienz verschafft, um die ich bat, und Seine Majestät waren gnädig wie nur je und gütig wie ein Vater und hat jedes einzelne mit mir beraten und besprochen – doch in dem einen Punkte blieb er fest: die Gerechtigkeit soll nicht behindert werden, die Schuldige zu treffen. Hättest du freimütig deine Schuld bekannt, so war alles bereit, für eine Verirrung deinerseits einzutreten; du aber leugnetest mit solch verstocktem Herzen, zeigtest dich so fühllos, so oft dein Opfer genannt wurde, und trotz der erdrückenden Wucht der Zeugenaussagen leugnetest du mit solch dreister Stirn, daß deine Richter und die öffentliche Meinung sich empört von dir abwendeten als von einem Ungeheuer in menschlicher Gestalt. Hier Gnade zu üben vermochte der König nicht, denn sein Volk hätte ihn, sehr mit Recht, einer Parteinahme