Das heilige Donnerwetter. Adolf Paul. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adolf Paul
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066116316
Скачать книгу
Inhaltsverzeichnis

      Es war in Emmerich am Rhein.

      Der General Blücher hatte, wie gewöhnlich, seinen Abendspaziergang gemacht, um bei seinem vertrauten Freunde, dem Obersten von Pletz, eine Pfeife zu rauchen.

      Sie saßen unter der Linde am Pfarrhofe, wo der Oberst in Quartier war, schmauchten ihren Knaster in aller Ruhe und Gemütlichkeit, labten sich dann und wann aus den [pg 64]großen Römern mit Rheinwein, lauschten bisweilen auf das Jauchzen der spielenden Dorfjugend und spannen dabei gemächlich ihre Unterhaltung weiter.

      „Dein Glück war’s“, sagte der Oberst schmunzelnd. „Du fingst schon an alt zu werden.“

      „Da schlage der Donner drein!“

      „Na, nun bist du ja wieder jung – nun sieht man dir wieder die siebzehn Jahre an, trotz der grauen Schläfen. Aber fast wär’s schief gegangen! Warst schon dicht dran, in die verkehrte Tonne zu springen!“

      „Ins verkehrte Ehebett, sag’s nur gerade heraus!“

      „Nun ja! Viel hat nicht gefehlt, da wäre es so verrückt gekommen! Weißt du noch, wie du brummtest und fluchtest, als du den Korb von deiner reichen Witwe heimtrugst?“

      „Halt’s Maul!“

      „Nun – der bist du ja glücklich entgangen! Aber geflucht hast du! Und gescheit hast du gesprochen – zum Kotzen gescheit – rein niederträchtig brav – von deinen armen Kindern, denen mit Gewalt eine Mutter besorgt werden müßte, obwohl sie schon erwachsen waren! ‚Opfern‘ wolltest du dich –“

      Der Oberst schlug auf den Tisch; er ereiferte sich immer mehr zum Ergötzen Blüchers.

      „Man heiratet doch nicht wegen der Kinder, die man schon hat,“ schrie er, „sondern wegen denen, die man erst kriegen will! Man nimmt eine Frau, um selbst von ihr gepäppelt und verhätschelt zu werden, nicht aber damit sie anderer Frauen Kinder bemuttern soll! Man fragt nicht nach dem Geschäft, zum Donnerwetter! Man heiratet entweder gar nicht, oder man heiratet eine, in die man so verliebt ist, daß man es doch tut!“

      „Hab’ ich das etwa nicht getan?“ lachte Blücher.

      „Das ist es eben!“ rief Pletz zum großen Gaudium seines Gegenübers. „Das ist es gerade! Du hättest verdient, die alte Witwe heimzuführen, und jetzt hast du – ganz unverdienterweise hast du das große Los gezogen!“

      [pg 65]

      „Trink, alter Brummbär! Nörgler du, hundsgemeiner! Auf die Frauen!“ Blücher erhob sein Glas.

      „Auf deine Frau!“ antwortete der Oberst, trank aus und machte die Nagelprobe. „Auf dein unverdientes Glück!“

      „Glück wird eben nicht verdient!“ sagte Blücher und stellte sein Glas fort. „Man hat’s oder hat’s nicht, je nachdem ob man es zu packen versteht!“

      „Nun ja – das konntest du meistens. Aber sonderbar ist es doch, daß du gerade sie – –“

      „Nun ja, es ist sonderbar. Und ich kann auch heute noch nicht begreifen, wie so’n junges Ding, das meine Tochter sein könnte – wie sie mich so in ihre Gewalt bekam, wie sie mich im Handumdrehen umkrempeln und zum ordentlichen Menschen machen konnte!“

      „Das wollen wir nicht hoffen! Das liegt dir nun gar nicht. Du bist und bleibst schon derselbe Windhund, als den ich dich immer kannte, und daran hat auch sie nichts ändern können. Aber sie gab ihre Jugend her, und das verjüngt. Das ist der einzige wahre Jugendbrunnen für uns alte Leute. Ich verstehe bloß nicht, wie du dazu kamst!“

      „Ich auch nicht. Ich war eben zum Mittagessen in ihrem Vaterhause geladen. Und sie saß mir gegenüber am Tisch. Das war alles! Anfangs sah ich sie nicht und blickte kaum hin. Man hatte vorzügliche Speisen und Weine aufgetragen – ich hatte einen Mordshunger und hieb auf die Schüsseln ein, wie sich’s für einen rechten Husaren gehört. Eben war ich dabei, den Flügel eines Kapauns abzunagen, und genoß es so recht von Herzen, da blickte ich so aus Zufall auf und sah gerade in ein Paar große lachende Augen. Ich sah ein Paar Lippen von feinsten geschwungenen Korallen, um die es schelmisch zuckte, die aber verteufelt ernst wurden, als sie sich von meinen Blicken berührt fühlten. Mir wurde es auf einmal, als wäre ich in der Kirche, als wölbe sich ein himmelhoher gotischer Dom hoch über meinem Haupte – als blicke vom Altar die heilige Mutter Gottes liebreich auf mich Sünder nieder. Ich wurde auf einmal so klein, alles, was mich bisher erfüllt hatte, so nichtig! – Wie ein Verbrecher kam [pg 66]ich mir vor, der, von gieriger Lust getrieben, eben im Begriff war, ihren Altar zu berauben! – Vor bösem Gewissen vergingen mir Hunger und Durst – ich dachte an nichts als nur daran: wie ich alles wieder gutmachen sollte! – Ich betete sie an – nein, ich schwärmte, hol’ mich der Teufel, ich glaube, ich hab’s ihr sogar gleich ins Gesicht gesagt und ihr auf der Stelle einen Antrag gemacht! Was ich gesagt habe – wie ich’s sagte, das wußte ich im nächsten Augenblick nicht mehr, und heute noch weniger. Ich sah nur, wie man ihrer Verlegenheit zu Hilfe zu kommen suchte und sie scherzhaft sofort meine Braut nannte. Aber – wer aus dem Scherz schnell Ernst machte – das war ich. Denn ich war verliebt wie des Küsters Kater. Keine vier Wochen dauerte es, dann war sie mein und die Hochzeit gefeiert!“

      „So war’s recht! Gleich die Festung stürmen! Nur keine lange Belagerung!“

      „Ja, so hab’ ich’s immer gehalten: Immer gleich losschlagen, und nicht erst lange kalkulieren! Wo würden wir hinkommen, wenn wir immer erst auf Befehle warten sollten von Leuten, die sich’s erst zehnmal überlegen und dann noch nichts wagen! Wo alles auf dem Spiel steht – wo’s das Leben gilt, wo’s darauf ankommt, die Sekunde auszunützen, da – hol’ mich der Deibel – wenn ich da nicht zuschlage! Wenn ich aber die zaghaften Kerls sehe, die den Entschluß für das Ganze zu fassen haben, wie die sich erst ängstlich nach allen Seiten nach Sicherung umgucken und darüber das feste Ziel aus dem Auge verlieren, da wird mir bange um den nächsten Krieg. Die, die vierundneunzig alles so brav vertrödelten, sie sind seitdem nicht jünger geworden! – Und was an Jugend heranwuchs, kam meistens nicht auf den rechten Platz. Auch nicht da ganz oben! Unser junger Herr –“

      „Der wird noch gehörig Lehrgeld zahlen müssen!“

      „Und wir mit ihm. Es war ein Jammer, daß der zweite Friedrich Wilhelm so früh sterben mußte!“

      „Na, du hast ihm ja vieles zu verdanken. Aber der war auch kein Draufgänger –“

      [pg 67]

      „Sage man, was man will, unter ihm wurde Preußen immerhin verdoppelt. Wir könnten es auch jetzt gut haben, aber dazu gehört vor allem da oben mehr Wagemut, mehr jugendlicher Leichtsinn! Geradeheraus: dazu gehört ein ganz anderer Kerl!“

      „Prinz Louis Ferdinand zum Beispiel?“

      „Ja, das ist ein Kerl, der hat das rechte Zeug! Ein Held wie wenige, und Glück hat er auch! Wer so wie er die Kugeln verachtet, vor dem biegen sie auch aus. Wenn der nur auf den rechten Platz käme!“

      „Das würde dann schon zu spät sein. Leute wie er verludern leicht, wenn sie daneben geraten und sich immer nur ducken müssen!“

      „Sage einmal,“ sagte der Oberst und klopfte seine Pfeife am Stiefelabsatz aus, „ist das nicht deine Frau, die dort unten den Weg heraufkommt und dem jungen Offizier an ihrer Seite so schöne Augen macht?“

      Blücher fuhr auf und blickte hin.

      „Ja, das ist sie, und – alle Wetter!“ – Er schnallte rasch den Säbelgurt um und stülpte die Mütze auf. „Wenn man den Teufel nennt, kommt er schon gerennt. Auf Wiedersehen, Pletz, ich muß eilen! Wir haben hohen Besuch!“

      Damit eilte er den Weg hinunter und den Kommenden entgegen.

      Ein schöneres Paar als die mädchenhafte, liebreizende junge Frau und den stattlichen, schlanken, übermütigen jungen Offizier an ihrer Seite konnte