Den Mund voll, nickten sie einander zu und gingen so ein jeder in seinen Flügel des gemeinsamen Baues hinein – Blücher lang, schlank und rüstig ausschreitend –, Stein vierschrötig, breit und behäbig segelnd wie ein weitbauchiger, vollbeladener Koff, dem keine Sturzwelle das Gleichgewicht nehmen kann, der nicht stampft und schlingert oder zickzack kreuzt, sondern, ohne auch nur einen Zoll aus[pg 102]zubiegen, gerade auf das Ziel zusteuert und wenn er darum auf Grund setzen müßte.
„Ein verfluchter Querkopf“, brummte Blücher, an dem freiherrlichen Apfel kauend. „Ein kreuzverdammter, eigensinniger Dickschädel! Hol’ ihn der Teufel! Aber ein ganzer Kerl! Der täte uns bitter not, da oben, in der Konfusionsbude! Aber von der Armee soll er mir die Finger gefälligst lassen! Ja, wenn der Kerl nur nicht recht hätte! Aber so! Und so’n Zivilist! Das geht nicht! Das geht im Leben nicht! Da müssen wir sehen, ihm beizeiten das Wasser abzugraben!“
Und schmunzelnd, als plante er wieder einen rechten Husarenstreich, riß er die Tür seines Dienstzimmers auf und stürmte hinein.
„Schumann!“ rief er sein Faktotum mit Donnerstimme. „Schumann, alte Schreiberseele, bring’ mir Tinte und Papier! Heute sollst du deine Freude an mir haben! Heute sollst du etwas erleben! Nee – keene Briefbogen – Kanzleipapier! Jawoll! Oogen machste?! Schneid’ mir den Gänsekiel zurecht und glotz’ nicht! Weh, wenn er kratzt oder gar spritzt! So! Her mit dem Mordinstrument! Kehrt! Marsch! Himmeldonnerwetter, Kerl! Feixt der auch noch?! Raus!“
Und der alte Wachtmeister Schumann, der sonst die ganze verpönte Schreibarbeit allein besorgen mußte, eilte still in sich hineinlachend hinaus, nachdem er dem General alles Verlangte zurechtgelegt hatte. Blücher nahm den Federkiel, kratzte sich bedächtig damit hinters Ohr, stieß ihn ins Tintenfaß, rückte einen Bogen Papier zurecht, setzte an und ritzte in seiner scharfen, eckigen Handschrift Zeile um Zeile nieder.
Zuerst, wie sich’s gebührt, den Titel:
„Gedanken über Formulierung einer deutschen Nationalarmee.“
„Die Gedanken habe ich zu haben und die anderen Offiziers auch!“ brummte er im Schreiben. „Aber so’n Quasselkopp von einem Diplomatiker! So’n Satanskerl! Wie kann er nur auf den rebellischen Gedanken kommen, da mitplärren zu wollen? So’n Kerl, der nicht einmal in sein eigenes [pg 103]System hineinpaßt! – So’n Reichsfreiherr, der keinem untertan war und keinen Herrn hatte! Der und Rebellion! Und gar eine unblutige! Ich werde ihm schon zeigen, wie das gemacht wird!“
In kurzen, knappen Sätzen und in der merkwürdigsten Orthographie von der Welt legte er dann seine Anschauung nieder, wie er sich die allgemeine Wehrpflicht dachte, verlangte eine kürzere Dienstzeit, größere Löhnung, bessere Behandlung der Soldaten – –
„Mir wird ganz fade im Hals von all dem ekelhaften Geschleime!“ brummte er dabei, als er bei der „besseren Behandlung“ anlangte, rauchte dabei wie ein Schornstein, spuckte, fluchte, kratzte sich den Kopf und stampfte auf den Boden.
„Wie ’ne Fastnachtspredigt schaut’s aus! Verdamm’ mich, sobald einer mit Tinte schreibt, statt mit Blut, wie’s sein soll – da ist’s aus – da – hol’ mich der Teufel – ich glaube, da wächst mir schon der Heiligenschein zum Kopfe ’raus!“
Er flog auf und packte seinen Kopf mit beiden Händen.
„Ich reiße dich noch los und fange mit dir das Kegelschieben an! Ich werfe noch ‚alle neune‘ mit dir, schmeiße dich dem König mitten in die Visage, daß er umfällt und det ganze Bataillon mit – det ganze Bataillon! Aber Schreiben – dazu bringst du mich nicht nochmals, oller Döskopp!“
Er lachte laut auf – rief schleunigst seinen getreuen Wachtmeister Schumann wieder herbei, drückte ihn auf den Stuhl und steckte ihm den Gänsekiel in die Hand.
„So,“ sagte er, „mach’ du das Gekritzel fertig, mein Sohn! Aber aufgepaßt, daß du mir kein X für ein U machst! Det besorge ick alleene! Vorwärts!“
Und mit großen Schritten ging er auf und ab und diktierte, und Schumann bemühte sich nach Kräften, gleichen Schritt mit ihm zu halten beim Sturm auf den alten Schlendrian.
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