Das heilige Donnerwetter. Adolf Paul. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adolf Paul
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066116316
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      „Da solltest du dem Himmel danken, daß du des Königs Rock beizeiten auszogst! Denn das machte dich zum freien Mann und erhielt deinen Sinn unabhängig! Gott behüte, daß du heute da stehen solltest, wo deine Kameraden jetzt sind. Keinen Schritt könntest du machen ohne Befehl –, keine Bewegung außer der reglementierten! Das kannst du aber jetzt –“

      „Das kann ich jetzt erst recht nicht, wo ich die Rücksicht auf die Familie und auf unser täglich Brot über alles andere stellen muß. Ich ziehe jedenfalls das soldatische Reglement dem der Ehe vor! Verzeihe mir, aber es mußte einmal klar und deutlich ausgesprochen werden.“

      „Ich glaube,“ sagte die Frau Rittmeisterin, ohne die geringste Bewegung zu verraten, „ich glaube, daß unsere Ehe dir genug Bewegungsfreiheit für deine persönlichen Neigungen ließ. Jedenfalls nahmst du sie dir mehr als reichlich!“

      „Das tat ich! Und das hätte ich auch als Offizier getan. Ich war dumm, als ich den Dienst quittierte!“

      „Du warst weder dumm noch klug, du warst ein aufrechter Mann. Und niemals habe ich dich mehr geliebt als in dem Augenblick, wo du Manns genug warst, deine Würde zu wahren. Denn Unrecht geschah dir, als ein Fürstensprößling dir vorgezogen wurde, der dir sowohl an Meriten wie an Dienstjahren nachstand. Und du tatest recht, als du dem [pg 47]König daraufhin deinen Degen vor die Füße warfst! Jetzt aber, wo du jahraus, jahrein dem König schreibst und ihn um Wiedereinstellung als Offizier anbettelst, jetzt schäme ich mich deiner! An die zehnmal schriebst du ihm! An die zehnmal gab er dir den Fußtritt, der dir ob solchen kläglichen Gewinsels gebührte!“

      „Hör auf!“

      „Hörtest du wohl auf mit deinen Bettelbriefen? Schriebst du nicht unter jeden Brief: ‚in allertiefster Devotion ersterbend, Eurer Königlichen Majestät alleruntertänigst gehorsamer Knecht‘? –“

      „Phrasen, weiter nichts!“

      „Habe ich einen Phrasendrescher zum Mann genommen? Habe ich einem alleruntertänigst gehorsamen Knecht die Hand gegeben, der ‚in allertiefster Devotion erstirbt‘? Oder war’s ein Mann, der aus Ehrgefühl zum Rebellen werden konnte?“

      Er nahm sie in seine Arme und küßte sie herzlich.

      „Halte dich nicht über Äußerlichkeiten auf. Der althergebrachten, von der Gewohnheit, oder sagen wir: vom Zeremoniell geheiligten Form muß ein jeder genügen, hoch oder niedrig, der sich dem Träger der Krone naht! Das ist weiter nichts als eine Redensart!“

      „Mag sein! Aber eine Redensart, die entwürdigt. Ich würde mich schämen, sie zu gebrauchen!“

      „Und ich –, ich schreibe sie ihm nochmals und nochmals, bis er nachgibt und mir meinen Willen tut. Wenn ich bloß ans Ziel komme, wenn ich erreiche, tätig sein zu können, was kümmert’s mich, wie ich dazu komme? Jeder Weg ist mir da recht! Und wäre er noch so holperig, ich gehe ihn doch ohne Zögern! Das ist nichts als einfache Pflicht, der Macht gegenüber, die mir anheimgab, eine Aufgabe über das Alltägliche zu suchen! Und daran hindert mich nichts – deine Verachtung nicht, und erst recht nicht dein Schelten! In einem gebe ich dir aber jetzt recht: das Schreiben von Bittgesuchen war dumm! Das werde ich künftig lassen. Es gibt andere und bessere Wege! Wo ich Deputierter der Landschaft bin, [pg 48]kann ich auch so an den König heran. Das nächste Mal, wenn er hier Revue abhält, sorge ich dafür, daß ich die Landschaft vertrete. Da bedarf es keines Audienzgesuches! Und das Weitere wird sich ergeben. Aber von meinem Vorhaben lasse ich nicht ab. Soldat bin ich mit Leib und Seele, und Soldat bleibe ich! Du sollst es schon sehen: eher als du denkst, wirst du als Frau Majorin aufwachen!“

      „Gott verhüte es! Dann müßte ich unser schönes Groß-Raddow verlassen und in der Garnisonsstadt leben!“

      „Das schon!“

      „Das wäre mein Tod! Das kann ich nicht! Ich würde ersticken. Ich würde ohne Licht und Luft zugrunde gehen! Bin ich dir denn kein Opfer wert? Ist dir der Traum, dem du nachjagst, mehr als eine ruhige, gesicherte Wirklichkeit an meiner Seite? Wozu jetzt noch einmal dein altes Leben von vorne anfangen? Vierzehn Jahre warst du schon außer Dienst, und du bist nicht mehr der Jüngste, hast nicht mehr das Ungestüm der Jugend, das vorwärts über alle Hemmnisse hinwegtreibt. Du wirst nur Enttäuschung über Enttäuschung erleben und bitter bereuen, unser Glück um ein Hirngespinst geopfert zu haben. Du hast ja ohnehin Tätigkeit übergenug! Hast ja die Güter – unser schönes Groß-Raddow und Sassenhagen, das du eben angekauft hast! Ein ganzes Leben brauchst du, um die hochzubringen. Wie kannst du nur daran denken, daneben noch als Offizier zu dienen? Entweder die Güter werden vernachlässigt, oder der Dienst wird es!“

      „Dann lieber die Güter“, dachte der Rittmeister. „Die kann man ja verkaufen, wenn sie im Wege sein sollten!“

      Aber er sagte es nicht laut. Er sah, wie sie mit ganzer Seele daran hing, ihr Leben in der bisherigen Weise weiterleben zu können, dachte an ihre zunehmende Kränklichkeit, fühlte ein menschliches Rühren, wurde großmütig, opferbereit und schwang sich sogar auf, den Verzicht auszusprechen. Das beruhigte sie.

      Aber er selbst fühlte, als hätte er seiner ureigensten Natur Gewalt angetan und das Heiligste verleugnet. Ein brennen[pg 49]des, fieberndes Verlangen nach dem großen Abenteuer seines Lebens, das er haben mußte, wenn er nicht elendiglich verkümmern sollte, bemächtigte sich seiner ungestümer denn je und ließ ihm keine Ruhe mehr.

      *

      In Sanssouci endete zu gleicher Zeit ein einsamer Mann, von Arbeit ermüdet, von Krankheit zerrüttet und von aller Welt verlassen.

      Ein Leben erlosch, das Kampf gewesen war, Kampf und Sieg gegen eine ganze Welt – ein Leben voll treuester Pflichterfüllung und Strenge gegen sich selbst und alle anderen. Der alte Adler starb und schloß seine Augen für immer.

      Ein Aufatmen –, ein Gefühl der Erleichterung ging durch das ganze Volk. Die wenigsten gedachten bei der Todesbotschaft der großen Lebensleistung, deren Zeugen sie gewesen waren. Die erlittene Bedrückung zitterte noch bei allen nach.

      Auch nach Pommern drang rasch die Kunde des großen Ereignisses. Hier wie dort im ersten Augenblick ein Aufjauchzen, das die Größe dessen, der zu Grabe getragen wurde, total verwischte.

      Auch Blücher ging es nicht anders. Aber zugleich fühlte er etwas wie ein Rauschen großer Flügel um sein Haupt und wurde von einer seltsamen Empfindung beschlichen, als sei ihm ein Erbe überkommen.

      „Jetzt ist’s vorbei mit dem schmählichen Beiseitestehenmüssen! Jetzt ist meine Zeit da!“

      So jauchzte er auf bei der Trauerkunde. Und seine Frau schwieg. Sie sah es ein, daß er nicht mehr zu halten sein würde. Der stille Verbündete, den sie in dem alten König gegen ihn gehabt hatte, war nicht mehr! Keine Macht gab’s mehr auf Erden, die seinen Tatendrang, der stets ihr Eheglück sprengen wollte, eindämmen konnte! Sie mußte es über sich ergehen lassen, wie es auch kommen würde!

      [pg 50]

      Und Tränen der Wehmut, nicht des Stolzes, waren in ihren Augen, als sie beim darauffolgenden Durchzug des neuen Königs durch Stargard ihren Mann, hoch zu Roß, in der kleidsamen Uniform der pommerschen Landschaft, dem königlichen Wagen voraussprengen sah. Und auch als er siegestrunken zurückkehrte und ihr vom Gelingen seines Unternehmens und von der Audienz beim Könige erzählte, sowie von dessen gnädiger Zusage, ihn bei Gelegenheit mit voller Anciennität als Major in sein altes Regiment wiedereinstellen zu wollen – auch dann vermochte sie nur mit Mühe die qualvollen Seufzer niederzuhalten, die sich ihrer Brust entringen wollten.

      *

      Einige Jahre später stand er vor ihr in ihrer kleinen Wohnung im pommerschen Städtchen Rummelsburg, hatte den Feldzug in Holland hinter sich, hatte den Verdienstorden um den Hals und war im Begriff, sich wieder von ihr zu verabschieden, um in den Krieg gegen Österreich zu ziehen.

      Er sah ihre bleichen Wangen, ihr abgezehrtes Gesicht, ihren müden Blick, sah mutlose Resignation in ihrer ganzen Art, sich zu geben, und sein Herz schnürte sich zusammen. Seinem Beruf zuliebe hatte sie auf