„I werd’ di scho’ schlachte, Bübele!“ rief der Lange und ritt auf ihn zu. Gebhard warf aber sein Pferd herum und entging so mit knapper Not der Gefahr, umgeritten zu werden.
„Hast wohl das Reiten auf der Schulbank gelernt?“ höhnte Gebhard.
„I bring di noch auf die Schulbank! I schaff’ dir noch Maniere!“ rief der Lange, feuerte seine Pistole auf das Pferd Gebhards ab, daß es sich bäumte und den Reiter abwarf, fing dann mit geschicktem Schwung den Fallenden auf, zog ihn quer über seinen Sattel und sprengte davon.
Und Gebhard ließ es zu. Im Augenblick des Fallens ging mit ihm eine sonderbare Veränderung vor. Er war aus der Wirklichkeit jäh wieder in seinen Traum versetzt, fühlte sich wieder, von den Adlerkrallen gepackt, im weiten Flug durch die Lüfte fortgetragen, schloß die Augen und erwartete nun, im Adlernest zu landen. So lebhaft war die Vorstellung, daß alles andere um ihn schwand und er wie gelähmt dalag und sich ohne Widerstand fortführen ließ. Er sah nichts, hörte nichts und wußte nicht, was mit ihm geschah.
Durch die ohnmachtähnliche Lähmung aller Sinne drangen ins Bewußtsein nur die Worte des alten Futtermarschalls, die er ihm zurief, als er heute zu Pferde stieg: „Wie’s anfängt, so hört’s auch auf.“
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Das war also das Ende!
Der Oberst Belling, ein würdiger, freundlich dreinblickender Herr mit gerötetem Gesicht und ergrautem Schnurrbart, ließ den gefangenen schwedischen Kornett vorführen. Er betrachtete wohlgefällig die jugendliche, schlanke Gestalt und das bartlose Gesicht, aus dem Jugendfrische und trotziger Wagemut hervorleuchteten.
„Name?“
„Blücher!“
„Vorname?“
„Gebhard Leberecht!“
„Vater?“
„Christian von Blücher, Rittmeister in der hessischen Armee!“
„Geboren wo?“
„In Rostock, zweiundvierzig!“
„Also achtzehn Jahre! Er ist zu jung, um schon Kornett zu sein. Was hat sich Sein Vater dabei gedacht?“
„Ich habe ihn gar nicht danach gefragt!“
„So ist Er hinter dessen Rücken zum Militär gegangen!“
„Ich und mein Bruder auch!“
„Hat es denn so gebrannt?“
„Das freie Leben wollt’ ich – wollte ein Pferd zwischen den Schenkeln, hatte es satt, die Schulbank zu reiten! Mir brummt noch der Schädel von all dem Latein!“
„Schon gut! Aber warum denn gleich in ausländischen Dienst? Warum zu den Schweden? Gab’s für einen Mecklenburger nichts Näherliegendes – wenn’s schon Ausland sein mußte? Preußen zum Beispiel?“
„Bei den Preußen dienen schon zwei meiner Brüder. Und was sie zu melden wußten, verlockte mich nicht.“
„Bei uns Preußen gibt’s eben Disziplin!“
„Bei den Schweden auch, Herr Oberst!“ versetzte Gebhard, und seine Haltung straffte sich. „Das schwedische Regiment lag übrigens gerade auf Rügen, wo ich zu Besuch war!“
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„Und da war das die nächste Gelegenheit, von der Schulbank fortzukommen“, lachte der alte Herr. „Denn das war wohl dabei die Hauptsache! Wo war Er denn auf Rügen?“
„Beim Kammerherrn von Krackwitz, der mein Schwager ist.“
„Da sind wir ja in Familie miteinander“, rief der Oberst. „Der ist auch mein Verwandter! Dann bleibe Er nur bei mir! Da werde ich schon für Ihn sorgen, damit Er ein rasches Fortkommen findet! Will Er in mein Husarenregiment eintreten? Zunächst als Kornett?“
„Dem König von Schweden habe ich den Fahneneid geschworen!“
„Der schwedische König kann Ihn vom Eid entbinden, und wird es auch tun, wenn Er darum nachsucht und gute Gründe gibt. Versteht Er: gute Gründe.“
Gebhard schüttelte den Kopf.
„So höre Er einmal und denke Er darüber nach! Was fesselt Ihn an die Schweden? Doch nicht die Aussicht, nach jahrelanger Kriegsgefangenschaft bei mir, als Kornett zu ihnen zurückzukehren? Tritt Er bei mir ein, ist Er in kurzer Zeit Leutnant und, wer weiß, vielleicht bald Rittmeister! Das kann bei den Schweden lange dauern! Ich dagegen werde demnächst ein zweites Bataillon meines Regiments, im ganzen fünf Schwadronen, anwerben, und lange dauert’s nicht, dann schaffe ich noch ein drittes Bataillon. Wer bei mir Offizier ist, hat also schnelle Beförderung zu gewärtigen. Schlage Er nur ein!“
„Ich bin an meinen Eid gebunden, Herr Oberst!“
„Ich will Ihn gewiß nicht dazu verführen, gegen Ehre und Gewissen zu handeln. Ich will Ihm aber etwas sagen. Ich werde in aller Form bei den Schweden um Abschied für Ihn einkommen. Ich werde erbötig sein, ihnen einen gefangenen Offizier für Ihn freizugeben. Und außerdem schreibe ich dem König von Preußen und schlage Ihn als Kornett bei meinen Husaren vor. Dann sitzet Er wieder frei im Sattel und kann drauflosreiten, was Ihm wohl doch die Hauptsache zu sein scheint. Sonst kann Er lange die Pritschen in den [pg 28]Kasematten drücken, und die sind bei uns Preußen weit unbequemer als die Rostocker Schulbänke! Für ein gutes Pferd will ich überdies Sorge tragen! Laß Er mich nur machen, dann kommt alles auf die beste Art in Ordnung, Sein Gewissen bleibt unberührt, und der König von Preußen hat einen Offizier mehr nach seinem Sinn! Einverstanden?“
Er hielt seine Hand hin.
Gebhard schlug ein, und so kam er endlich auf den rechten Pfad im Leben.
Als er nach kurzer Verhandlung seinen Abschied aus dem schwedischen Dienst hatte – als die Bestätigung des Alten Fritz als Kornett bei den Bellingschen Husaren eingegangen war, und er, in seinem Quartier, vor dem Spiegel stand, da trat ihm da ein baumlanger, spindeldürrer, bartloser Husar entgegen, den er sich erst genau besehen mußte, um mit ihm auf vertrauten Fuß zu kommen. Ein schwarzer Pelz mit grünen Aufschlägen, gelbe Schnüre über der Brust, auf dem Kopf den Tschako mit dem Totenschädel – das war ein ganz anderer Kerl als der blaugelbe, den er soeben ausgezogen hatte.
„Allezeit bereit, soll das heißen! Das merke dir!“ nickte er seinem Gegenüber zu und tippte leicht auf den Totenschädel! „Hast alles, was du brauchst: die nötige Länge, den forschen Blick! Fehlt nichts, als daß dir der Himmel einen Schnurrbart ins Gesicht pflanzt!“
Sein Spiegelbild machte ein Gesicht, als wollte es sagen: „Was soll ich mit der Pflanzung?“
„Du nichts! Aber die holden Mägdelein, denen sie auf die Lippen fällt! Die werden es schon wissen!“
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3
Der alte Adler
Den dreieckigen Hut mit der zerrissenen Tresse verkehrt auf dem Kopf, den blauen, verschlissenen Waffenrock mit den roten Aufschlägen halboffen um den hageren Leib, Schnupftabak über der gelben Weste, Puder auf der Schulter, die schwarzen Samthosen in den hohen Stiefeln verschwindend, die Rechte schwer auf dem Krückstock ruhend, den schweren Kopf mit den vorquellenden Augen vorgestreckt, so stand der Große König, einem alten Raubvogel mit zerzaustem Gefieder nicht unähnlich, im Kreise seiner vierbeinigen Lieblinge und hielt Musterung.
Durch die offene Tür zum Arbeitszimmer sah er seine Kabinettsräte mit ihren Schreibtafeln warten, um die Fortsetzung seines Diktats aufzunehmen.
Der Kammerdiener meldete den General von Lölhöffel, Inspekteur der Kavallerie,