Entstehungsgeschichte der drei „alten Weimarer“ Länderkonkordate
Seit dem Ende des 2. Weltkriegs hat der Heilige Stuhl immer wieder weltweit den Weg über Staatskirchenverträge, Konkordate oder Konventionen gesucht, um die Beziehungen zwischen Kirche und Staat auf ein beständiges rechtliches Fundament zu stellen. So wurden ab 1950 eine große Zahl an Konkordaten zwischen dem Heiligen Stuhl und einzelnen Staaten geschlossen. Man kann sogar so weit gehen und sagen, dass die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts aus vatikanischer Sicht eine große Zeit der Konkordate geworden ist. Während in der Zeit von 1801 bis 1945 gerade einmal fünf Staatskirchenverträge zustande gekommen sind, hat der Vatikan mit den Staaten der Welt von 1950 bis 2000 142 Verträge geschlossen, die entweder grundsätzlich das jeweilige Staat-Kirche-Verhältnis regeln oder aber bestimmte Fragen einheitlich und auf Dauer klären.40 Aus vatikanischer Perspektive wird die Ansicht vertreten, dass diese Art der einvernehmlichen Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche noch nicht ihren Endpunkt erreicht habe. Gerade die globalen Veränderungen und die theologischen Ausrichtungen des 2. Vatikanischen Konzils haben diesem altehrwürdigen Instrument einvernehmlicher, partnerschaftlicher Verhältnisbestimmung neue Wege eröffnet, u.a. auch dieses Verhältnis den Erfordernissen der Zeit entsprechend zu gestalten.41
In Deutschland sind im 21. Jahrhundert noch die Konkordate mit Brandenburg (2003), Bremen (2003), Hamburg (2005) und Schleswig-Holstein (2009) hinzugekommen. Neben den völkerrechtlich anerkannten Verträgen gibt es aber auch Verträge einzelner Diözesen mit der zuständigen staatlichen Autorität. Diese sind entweder geschlossen worden, weil eine völkerrechtliche Vereinbarung nicht zustande gekommen ist, oder die obwaltenden politischen Umstände ein Konkordat nicht zugelassen haben.42 Diesen Verträgen wird völkerrechtsgleiche Geltung zugesprochen, ebenso wie den Verträgen zwischen den evangelischen Landeskirchen und den zuständigen staatlichen Vertragspartner aus dem Bund oder den Bundesländern. In den letzten zwei Jahrzehnten (Stand 2015) sind noch eine Reihe von Verträgen mit anderen Religionsgemeinschaften und nichtchristlichen religiösen Gemeinden bzw. Gemeinschaften hinzugekommen, welche die verfassungsrechtliche Offenheit für jedwede Religionsgemeinschaft in Deutschland dokumentieren. Konkordate und Staatskirchenverträge binden unmittelbar nur ihre Vertragsparteien. Um innerstaatlich Rechtsverbindlichkeit zu erlangen, bedürfen sie der Transformation in das nationale bzw. supranationale Recht.43 Daraus wird in der Literatur ein gewisser Europäisierungsdruck abgeleitet, der die Anpassung wohl nicht der grundlegenden, aber doch mancher detaillierteren Vertragsgegenstände, wie etwa die Regelungen zu den Konkordatslehrstühlen (= nichttheologische Lehrstühle, die aber überwiegend oder teilweise der Theologenausbildung dienen), Studienanforderungen oder der sogenannten politischen Klausel.44 Einige der nach 1990 abgeschlossenen Länderkonkordate in der Bundesrepublik unterscheiden sich in diesen Regelungsgegenständen von den älteren Länderkonkordaten, jüngst vor allem mit Blick auf die sogenannte politische Klausel.45
3.2 Konkordate – eine katholische Spezialität
Das Konkordat ist ein spezieller Staatskirchenvertrag zwischen einem souveränen Staat und der katholischen Kirche. Als nichtstaatliche souveräne Macht genießt ausschließlich der Heilige Stuhl von Rom46 völkerrechtlichen Rang und vertritt in internationalen Beziehungen den Staat der Vatikanstadt und die römisch-katholische Kirche. Es wird einerseits von einem oder mehreren Staaten und andererseits vom Heiligen Stuhl abgeschlossen. Die Verträge werden sollemniter zum Zweck der dauerhaften Regelung der rechtlichen Beziehungen der beiden Partner geschlossen. Die Begriffe sind uneinheitlich. Wir finden: Conventio, Accordo, Accordo concordatorio, Modus vivendi, Notenwechsel, Protokoll, Agreement, conventiones solemnes und andere.47 Die Regelungsgegenstände sind auch mehr oder weniger umfassend. In all diesen Verträgen geht es nicht um die Fixierung eines Status quo zu einem bestimmten Zeitpunkt. Durch die traditionelle Einfügung einer sog. Clausula amicabilis sind diese Verträge stets dynamisch angelegt um an die Anforderungen der konkreten Zeit angepasst werden zu können. Innerkirchlich werden die Konkordate in den Acta Apostoliocae Sedis und staatlicherseits je nach Gesetzgebungskompetenz zusammen mit dem Transformationsgesetz im Bundesgesetzblatt bzw. den Gesetzblättern der Bundesländer (die unterschiedliche Namen tragen) veröffentlicht.
Seit einigen Jahrhunderten anerkennt die Völkergemeinschaft den Heiligen Stuhl (= Papst und römische Kurie oder auch nur der Papst allein) in seiner Eigenschaft als Repräsentant der katholischen Gesamtkirche als Völkerrechtssubjekt an. Dies gilt unabhängig vom lediglich 0.44 km2 großen Vatikanstaat48, der für sich genommen aufgrund der Lateranverträge von 1929 mehrheitlich als Völkerrechtssubjekt anerkannt ist. Damit kann die katholische Kirche als einzige Religionsgemeinschaft der Welt völkerrechtliche Verträge abschließen, was von anderen Religionsgemeinschaften (vor allem den nichtkatholischen Kirchen) als Bevorzugung empfunden wird. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt (Stand: 2015) hat der Heilige Stuhl 200 Verträge mit Nationen abgeschlossen, die in Geltung sind.
In Deutschland bedürfen diese völkerrechtlichen Verträge gem. Art. 59 Abs. 2 GG der Transformation in nationales Recht. Aufgrund dieser Transformation genießen die Verträge als Ganzes und jede einzelne Regelung, eingeschlossen jener in den Schlussprotokollen und Geheimanhängen, den Rang eines einfachen Gesetzes.
Davon zu unterscheiden sind die sog. Bistumsverträge und die Verträge der evangelischen Landeskirchen mit den Bundesländern. Mangels der Völkerrechtssubjektivität der Bistümer und der evangelischen Landeskirchen ist der Rechtsstatus dieser Verträge nicht eindeutig. Nach mehrheitlicher Auffassung werden Staatskirchenverträge als Staatsverträge angesehen. Gelegentlich findet sich dafür auch die Bezeichnung Kirchenverträge, um die Besonderheit dieser Verträge gegenüber anderen Staatsverträgen der Bundesländer z.B. über die Landesrundfunkanstalten hervorzuheben. In diesen Verträgen geht es aber der Sache nach um Angelegenheiten, die der Staat und die Religionsgemeinschaften umfassend miteinander zu regeln beabsichtigen. Dem Inhalt nach entsprechen sie weitgehend den Konkordaten mit der katholischen Kirche.49 Konkordate und Staatskirchenverträge werden hinsichtlich der Motivation der Vertragsparteien eine Einigung über beide Seiten betreffende Angelegenheiten zu finden, in drei Gruppen unterteilt, das:
Concordatum defensionis: Zur Sicherstellung und zur Verteidigung der kirchlichen Rechte und Freiheiten;
Concordatum amicitae: Nach Beilegung eines Konfliktes oder Streites zur Herstellung des Friedens und der Begründung freundschaftlicher Beziehungen;
Concordatum pacis: Zur Festigung der Fortdauer bereits bestehender freundschaftlicher Beziehungen.
Signalwirkung hatte nach dem 2. Weltkrieg der sog. Loccumer Vertrag. Es handelt sich um den Vertrag des Landes Niedersachsen mit den evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen vom 19.3.1955. Er enthält eine umfassende Regelung aller den Staat und die Kirchen gemeinsam betreffenden Angelegenheiten. Dem Modell dieses Vertrags folgten in kurzen Abständen die evangelischen Kirchenverträge mit Rheinland-Pfalz (1962), Nordrhein-Westfalen (1957, 1958), Schleswig-Holstein (1957), Hessen (1960), West- Berlin (1970, 1981, 1986, 1990) und dem Saarland (1985).
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurden umfassende Regelungen in den evangelischen Kirchenverträgen mit den neuen Bundesländern Sachsen-Anhalt (1993), Mecklenburg-Vorpommern (1994), Freistaat Thüringen (1994) und Freistaat Sachsen (1994) getroffen. Die Unsicherheit über die Fortgeltung des RK, erst behoben durch das Konkordats-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.3.1957, hinderte die katholische Kirche in der unmittelbaren Nachkriegszeit am Abschluss von Länderkonkordaten. Erst zehn Jahre nach