Art. 136 WRV: Konkretisierung der individuellen Religionsfreiheit
Art. 137 WRV: Stellung der Religionsgemeinschaften
Art. 138 WRV: Vermögensfragen
Art. 139 WRV: Sonn- und Feiertage
Art. 141 WRV: Militär- und Anstaltsseelsorge
Art. 141 GG: „Bremer Klausel“
Geht es in dieser ersten Übersicht um eine Bestimmung der unabdingbaren Kernnormen des deutschen Staatskirchenrechts, so ist der Art. 4 über das Grundrecht der Religionsfreiheit und der Art. 137 über die Stellung der Religionsgemeinschaften im säkularen Verfassungsstaat hervorzuheben. Alle übrigen Bestimmungen entfalten in einem engeren oder weiteren Zusammenhang diese beiden verfassungsrechtlichen Grundbestimmungen.26 Die inkorporierten Artikel haben keinen niedrigeren Rang als die übrigen Artikel des Grundgesetzes, sondern sind vollgültiges Verfassungsrecht. Ihre Inkorporation in das Grundgesetz war eine Art „Verlegenheitslösung“, weil man sich auf der Herrenchiemsee-Konferenz nicht auf eine Neuformulierung dieses Rechtskomplexes einigen konnte, sich trotz aller Differenzen jedoch bewusst war, dass es einer Regelung bedurfte. Die in ihrer Substanz bewährten Weimarer Religionsartikel erschienen in diesem Fall als Ausweg aus den stockenden Verhandlungen. Die inkorporierten Artikel standen in der Weimarer Reichsverfassung nicht im Bereich von Grundrechten, sondern im Abschnitt über die „Religion und Religionsgesellschaften“. Es handelt sich um die Art. 135-141; zwei Artikel dieses Abschnitts wurden 1949 nicht in das Grundgesetz inkorporiert. Art. 135 WRV hatte die Religionsfreiheit behandelt. Seine Inkorporation war wegen Art. 4 GG obsolet. Art. 140 WRV hatte gelautet: „Den Angehörigen der Wehrmacht ist die nötige freie Zeit zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten zu gewähren.“ Diese Bestimmung wurde für überflüssig angesehen, weil man 1949 nicht damit rechnete, dass es in dem neuen Staat nach der Ordnung des Grundgesetzes je wieder ein Militär geben würde. Außerdem war die Seelsorge in der Armee für den Fall der Wiederbewaffnung über das Reichskonkordat hinreichend abgesichert.
Der Unterschied zwischen den Grundrechten und dem übrigen Verfassungsrecht liegt vor allem auf der Ebene der Möglichkeit der juristischen Einklagbarkeit verletzter Rechte. Im Falle der Verletzung von Grundrechten (Art. 1-19 GG), besteht für jeden betroffenen Bürger und in einigen Fällen auch für jeden Betroffenen unabhängig von der deutschen Staatsbürgerschaft, die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 4a GG). Das Gleiche gilt für die sog. grundrechtsgleichen Rechte, wie z.B. Art. 33 Abs. 3 S. 2 GG. Wir unterscheiden in diesem Feld die sog. Jedermannsrechte und die Bürgerrechte. Jedermannsrechte lassen sich durch Klauseln wie: „Jedermann, jeder, alle Menschen, oder niemand“ kennzeichnen. Dazu werden auch Freiheitsrechte gerechnet, die ohne personale Einschränkung gewährt oder gewährleistet werden.27 Bürgerrechte und Bürgerpflichten, die in der verfassungsrechtlichen Literatur auch als „Deutschenrechte“ bezeichnet werden, stehen folglich nur jenen zu, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Dabei handelt es sich weitgehend um bürgerliche Partizipationsrechte und – pflichten.28
Bei einer Verletzung der Rechte aus Art. 140 GG besteht eine individuelle Grundrechtsberechtigung, mangels des Grundrechtscharakters der von Art. 140 GG abhängigen inkorporierten Rechte der Art. 136-139 WRV, an sich nicht. Dieser Weg ist jedoch eröffnet, weil man sich faktisch gleichzeitig auf Art. 4 und Art. 140 GG berufen kann, da die Weimarer Religionsartikel entweder direkt dem Grundrecht auf Religionsfreiheit entspringen, oder dieses zumindest berühren. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) kann die Beschwerde wegen der Berufung auf Art. 4 GG annehmen. Bei der materiellen Prüfung der Grundrechtsverletzung wird dann auch das übrige Verfassungsrecht einbezogen.
Zu Bestimmung des Verhältnisses von Bundesrecht und Landesrecht, ist das föderale Gestaltungsprinzip des Grundgesetzes in Art. 31 GG und die Art. 70-72 GG herauszustellen. Die sog. Kollisionsregel des Art. 31 GG lautet: „Bundesrecht bricht Landesrecht.“ Das Grundgesetz bindet damit die Länder in ihren Verfassungen und der Gesetzgebung. Sie haben nicht die Möglichkeit die dort garantierten Rechte einzuschränken, können den Bürgern allerdings weitergehende Rechte einräumen. Zur näheren Ausgestaltung des föderalen Bundesstaates enthält Art. 70 GG eine Grundregel der Kompetenzverteilung, die durch die beiden folgenden Artikel näher definiert werden. Art. 70 Abs. 1 GG stellt die Gesetzgebungskompetenz der Länder fest, soweit die Verfassung nicht einen Gesetzgebungsvorbehalt zugunsten des Bundes enthält. Dabei ist zu betonen, dass die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes sich im abweichenden Fall zwingend aus Art. 71 ff GG ergeben muss. Andernfalls bleibt es bei der Kompetenz der Länder.29 Im Zusammenhang des Staatskirchen- und Religionsrechts gilt, dass die angeführten und auch weitere Normen des Grundgesetzes keinen Regelungsvorbehalt zugunsten des Bundes in dieser Thematik enthalten. Daher gilt gem. Art. 70 GG hier eine Kultushoheit der Länder ex natura rei, mit Ausnahme der Sonderseelsorgebereiche für das Militär und die Bundespolizei, die als gesamtgesellschaftliche Aufgaben aufgefasst werden.30
2. Europarechtliche Bezüge und Bestimmungen
Die fundamentalen Gewährleistungen des staatlichen Religionsrechts finden sich im Grundrechtsteil des Grundgesetzes. Im Kontext der Globalisierung und der fortschreitenden (politischen) Einigung innerhalb Europas, das auch eine Vereinheitlichung der nationalen Rechtssysteme, wenigstens aber der rechtlichen Standards erstrebt, stellt sich die Frage nach den supranationalen Wechselwirkungen der religionsrechtlichen Grundrechtsgarantien. Hier zeichnet sich ein Mehrebenensystem ab, das neben einem universalen Völkergewohnheitsrecht, die universellen und partikularen, die Unterzeichner bindenden Menschenrechtsverträge (z.B. die UNMenschenrechtserklärung, die EU-Menschenrechtcharta etc.), supranationale Menschenrechtsgarantien (Unionsgrundrechte) und schließlich die Grundrechte in den Landesverfassungen der Bundesländer umfasst.31
Als europarechtlicher Grundsatz ist festzuhalten, dass es aufgrund der föderalen Konstruktion der Europäischen Union nach der konstanten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs einen Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht gibt.32 Unter den europarechtlichen Bestimmungen, die für das Religionsrecht von Bedeutung sind, müssen zwei Ebenen unterschieden werden: die Ebene des Europarats, zu dem fast alle europäischen Staaten gehören und die Ebene der Europäischen Union, zu der zurzeit 28 Staaten (Stand: 1.7.2015) gehören.
Die Europäische Gemeinschaft (EG) wurde 1957 durch die Römischen Verträge, die Europäische Union (EU) 1992 durch den Vertrag von Maastricht gegründet. Die EU hat durch die Verträge von Amsterdam (1997) und Nizza (2001) Veränderungen durchlaufen. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Dezember 2007 hat die EU als einheitliche Organisation Rechtsfähigkeit erlangt. Dieser Vertrag ersetzt den im Jahr 2004 abgelehnten EU- Grundlagenvertrag und schließt die bis dahin offene Rechtslücke. Die vormalige »Drei-Säulen-Architektur« bestehend aus den (1) Europäischen Gemeinschaften (EG und Euratom), der (2) gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der (3) polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen wurde durch die neuen völkervertragsrechtlichen Regelwerke, weitgehend abgelöst. Der Vertrag von Lissabon (kurz: EUV) (2007) ist die Antwort auf die von Frankreich und den Niederlanden nicht ratifizierte EU- Verfassung (2004). Der Vertrag nimmt wesentliche Inhalte der römischen EU-Verfassung auf, verzichtet aber auf jene einheitsqualifizierenden Elemente (wie Flagge, Hymne, Vorrang des EU- Rechts), die letztlich das Inkrafttreten der europäischen Verfassung verhindert haben. Anders als die nationalen Verfassungen, deren Ziel die verfassungsrechtliche Sicherung des Gemeinwesens ist, zielt der EUV darauf schrittweise ein europäisches Gemeinwesen zu errichten.33 Die wesentlichen Elemente des EUV sind damit nicht Grundrechtsgarantien, sondern Zielvorgaben für die weitere Harmonisierung des nationalen Rechts in der Europäischen Union, dessen Fernziel in einem föderalen Gemeinwesen liegen könnte.
Das Unionsrecht ist grundsätzlich vom nationalstaatlichen Recht zu unterscheiden. Es setzt sich aus Primärrecht (die Verträge) und Sekundärrecht (Einzelrechtsakte) zusammen:
Das primärrechtliche Fundament besteht aus zwei Verträgen: dem Vertrag über die Europäische Union (EUV) und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), in dem der ehemalige EGV in revidierter Form aufgeht. Ergänzt werden