Grundfragen des Staatskirchen- und Religionsrechts. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

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Издательство: Bookwire
Серия: Mainzer Beiträge zum Kirchen- und Religionsrecht
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783429062422
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so dass in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat und öffentlich, als einzelner oder in Verbindung mit anderen – innerhalb der gebührenden Grenzen – nach seinem Gewissen zu handeln.“ (DH 2)

      In diesem Sinne entspricht dem Konzilstext besser eine Übersetzung mit dem in der Staatslehre eingeführten Begriff der Religionsfreiheit.64

      Unerledigt blieben auf dem Konzil, auch aufgrund der Unschärfe des Begriffs „religiöse Freiheit“ für den staatskirchenrechtlichen Diskurs, das Problem der religiösen Toleranz und die Frage der religiösen Freiheit in der Kirche selbst. Der Begriff „Toleranz” erscheint in den Konzilsberatungen fast ausschließlich als Kontrastbegriff zu dem der religiösen Freiheit, den man überwinden möchte.65 Dieses negative Verständnis erklärt sich aus dem Weiterwirken der traditionellen Toleranzlehre der Päpste des 19. Jahrhunderts. Toleranz bedeutete damals die Duldung des Irrtums und galt folgerichtig als Übel. Von hier schien der Weg zu der Einsicht der unterschiedlichen Anteilnahme am christlichen Heilsangebot noch weit. Er gelingt durch eine Rückbesinnung auf die frühe Geschichte der Kirche, in der ihr selbst als Minderheitenreligion durch den römischen Staat Toleranz widerfährt. 311 erlässt Kaiser Galerius ein erstes Toleranzedikt: Das Christentum wird fortan eine im Reich erlaubte Religion. Zwei Jahre später, 313, folgt das Mailänder Abkommen („Toleranzedikt“) zwischen den Kaisern Konstantin und Licinius, mit dem für das Christentum die sogenannte „konstantinische Wende“ ihren Anfang nahm. Nunmehr erfährt die Kirche die rechtliche Gleichstellung des Christentums mit den anderen Religionen, bevor es im Jahr 370 mit dem Drei-Kaiser-Edikt „Cunctos populos“ von Theodosius I., Gratian und Valentian II verabschiedet, zur Staatsreligion erhoben wird.66 Fortan mutiert der Toleranzbegriff zu dem, was über Jahrhunderte die Kirchengeschichte und die Lehre der Kirche prägen sollte. Daher darf Dignitatis Humanae tatsächlich als ein Durchbruch hinsichtlich der Anerkennung der Religionsfreiheit durch die katholische Kirche verstanden werden, die ohne Toleranz gegenüber anderen Religionen und Bekenntnissen nicht zu haben ist.

      Wenn es um die konkrete Ausgestaltung der Religionsfreiheit durch die Religionsgemeinschaften geht, kommt es darauf an, ob und in welchem Rahmen der Staat dieses Freiheitsrecht garantiert. Das Konzil fordert dazu grundlegende Freiheiten ein, ohne die sich die Kirche eine Unabhängigkeit von staatlichen Einflüssen nicht vorstellen kann:

      „Die Freiheit als Freisein von Zwang in religiösen Dingen, die den Einzelnen zukommt, muss ihnen auch zuerkannt werden, wenn sie in Gemeinschaft handeln. Deshalb steht diesen [religiösen] Gemeinschaften die Freiheit zu, dass sie sich gemäß ihren eigenen Normen leiten, der Gottheit in öffentlichem Kult Ehre erweisen, ihren Gliedern in der Betätigung ihres religiösen Lebens beistehen, sie durch Unterricht unterstützen und jene Einrichtungen fördern, in denen die Glieder zusammenarbeiten, um das eigene Leben nach ihren religiösen Grundsätzen zu ordnen. In gleicher Weise steht den religiösen Gemeinschaften das Recht zu, dass sie nicht durch Mittel der Gesetzgebung oder durch verwaltungsrechtliche Maßnahmen der staatlichen Gewalt daran gehindert werden, ihre eigenen Amtsträger auszuwählen, zu erziehen, zu ernennen und zu versetzen, mit religiösen Autoritäten und Gemeinschaften in anderen Teilen der Erde in Verbindung zu treten, religiöse Gebäude zu errichten und zweckentsprechende Güter zu erwerben und zu gebrauchen. Auch haben die religiösen Gemeinschaften das Recht, keine Behinderung bei der öffentlichen Lehre und Bezeugung ihres Glaubens in Wort und Schrift zu erfahren. Es gehört außerdem zur religiösen Freiheit, dass die religiösen Gemeinschaften nicht daran gehindert werden, die besondere Fähigkeit ihrer Lehre zur Ordnung der Gesellschaft und zur Beseelung des ganzen menschlichen Tuns zu zeigen. Schließlich ist in der gesellschaftlichen Natur des Menschen und im Wesen der Religion selbst das Recht begründet, wonach Menschen aus ihrem eigenen religiösen Sinn sich frei versammeln oder Vereinigungen für Erziehung, Kultus, Caritas und soziales Leben schaffen können“ (DH 4).

      An dieser Stelle fassen die Konzilsväter jene grundlegenden Freiheitsanforderungen zusammen, die Gegenstand vieler grundlegender Bestimmungen in den Konkordaten geworden sind. Jedoch bleibt der Text notwendig abstrakt. Eine spezifische Auslegung ist geboten, wenn es zu Konflikten anlässlich der Religionsausübung zwischen konkurrierenden Rechten und Interessen kommt.

      Die Idee der Unabhängigkeit von Staat und Kirche formuliert das 2. Vatikanische Konzil an verschiedenen Stellen und in unterschiedlichen theologischen und kirchenrechtlichen Zusammenhängen. Zunächst konstatiert die Pastoralkonstitution Gaudium et Spes (GS 76) nicht nur die gegenseitige Unabhängigkeit von Staat und Kirche, sondern zugleich deren jeweilige Autonomie: „Die politische Gemeinschaft [Communitas politica] und die Kirche sind auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig [independentes] und autonom [autonomae]“. Das Konzil vermeidet hier offenbar den vieldeutigen und leicht missbrauchten Begriff der „Trennung“, der nicht ihren Vorstellungen des Verhältnisses von Staat und Kirche entspricht. Beide Institutionen leisten ihren je eigenen Beitrag zum Gemeinwohl. Beide befassen sich mit denselben Menschen, jedoch aus unterschiedlichen Perspektiven und Zuständigkeiten. Da der Mensch in seinem Denken und Handeln jedoch nicht strikt getrennt als Staatsbürger und Angehöriger betrachtet werden kann, bedarf es einer gedeihlichen Zusammenarbeit. Diese Überzeugung hat sich seit dem 2. Vatikanischen Konzil unbeachtlich des Bekenntnisses und der Religionszugehörigkeit durchgesetzt. Daher gilt, die in GS 76 zur Sprache gebrachte Forderung nach Unabhängigkeit nicht nur für die katholische Kirche, sondern für alle Religionsgemeinschaften. Darin ist zugleich eine Absage an Systeme des Staatskirchentums einerseits und der Staatskirchenhoheit andererseits, sowie Einschränkungen der korporativen Religionsfreiheit enthalten. Die Kirche bekennt sich mit diesem Konzept faktisch zur Parität von Staat und Kirche und damit zu einem religiös neutralen Staat. Dieser Gedanke setzt sich fort in dem vom Konzil deklarierten Verzicht auf staatliche Bevorzugungen oder Privilegien (DH 7), ebenso wie den Verzicht auf ein ohnehin schon von der Rechtsentwicklung überholtes brachium saculare, welches der CIC/1917 noch in can. 2198 aufgenommen hatte. Gleichsam Zug um Zug fordert die Kirche im Dekret über die Kirche, Christus Dominus (CD 20), vom Staat den Verzicht auf Privilegien vor allem in Hinsicht auf die Art und Weise der Bischofsbestellung um dem kanonisch rechtlichen Grundsatz der libera nominato aut confirmatio des Papstes Rechnung zu tragen (can. 377 § 1 CIC/1983). Freilich bedeutet diese Forderung nicht, dass die Kirche die einmal erteilten und noch in Geltung befindlichen Privilegien oder staatskirchenrechtlichen Vereinbarungen widerruft. Sie appelliert jedoch an die Staaten, der Kirche im Lichte von Religionsfreiheit und Autonomie hier freiwilligen Verzicht zu üben:

      „Um die Freiheit der Kirche in rechter Weise zu schützen und das Wohl der Gläubigen besser und ungehinderter zu fördern, äußert das Heilige Konzil den Wunsch, dass in Zukunft staatlichen Obrigkeiten keine Rechte oder Privilegien mehr eingeräumt werden, Bischöfe zu wählen, zu ernennen, vorzuschlagen oder zu benennen. Die staatlichen Obrigkeiten aber, deren Wohlwollen gegenüber der Kirche die Heilige Synode dankbar anerkennt und hochschätzt, werden freundlichst gebeten, sie mögen auf die genannten Rechte oder Privilegien, die sie gegenwärtig durch Vertrag oder Gewohnheit genießen, nach Rücksprache mit dem Apostolischen Stuhl freiwillig verzichten.“

      Zwischen dem Abschluss des Konzils und der Promulgation des neuen kirchlichen Gesetzbuchs haben einige katholisch geprägte Staaten auf dieses Privileg verzichtet. Das war aber auch mit Ausnahme der Verfassung des Fürstentums Monaco mit der Streichung der Klausel über die katholische Staatsreligion in den jeweiligen Verfassungen verbunden.67 Diese Aussage ist in can. 377 § 5 CIC/1983 übernommen worden: „In Zukunft werden weltlichen Autoritäten keine Rechte und Privilegien in Bezug auf Wahl, Nomination, Präsentation oder Designation von Bischöfen eingeräumt.“ In dieser Norm geht es um konkrete Einflussmöglichkeiten der Politik auf die Bischofsbestellungen. Es geht hier aber nicht um die in vielen Konkordaten und Staatskirchenverträgen verankerte sog. „politische Klausel“, in der es um die Zurückweisung eines Kandidaten wegen allgemeinpolitischer, d.h. verfassungsrechtlicher Bedenken geht.68 Der orientalische Codex (1990) enthält keine gleichlautende Bestimmung.

      Als einen weiteren Beleg für die Anerkennung der staatlichen Autonomie kann man die Erklärung aus dem Missionsdekret Ad gentes (AG 12) einordnen,