Grundfragen des Staatskirchen- und Religionsrechts. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

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Издательство: Bookwire
Серия: Mainzer Beiträge zum Kirchen- und Religionsrecht
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783429062422
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nach dem Grundgesetz gewährte Eigenständigkeit und ihre Selbständigkeit in ihrem eigenen Bereich verletzen, wenn er bei der Auslegung der sich aus einem bestimmten Bekenntnis oder einer Weltanschauung ergebenden Religionsausübung deren Selbstverständnis nicht berücksichtigen würde.“9

      Der Begriff bleibt also so weit, dass er für eine Fülle von religiösweltanschaulichen Auffassungen, die mehr oder weniger organisiert auftreten, anwendbar. Das Bundesverfassungsgericht hat in weiteren Entscheidungen (siehe Fn. 4) diese grundlegende Betrachtungsweise entfaltet. Stellvertretend für diese sei hier die „Bahá’í Entscheidung“ angeführt. In dieser Verfassungsbeschwerde ging es zentral um die Frage der Anerkennung der persischen Glaubensgemeinschaft als Religion im Sinne des deutschen Staatskirchenrechts. Dabei kommt es dem Staat lediglich zu, „den von der Verfassung gemeinten oder vorausgesetzten, dem Sinn und Zweck der grundrechtlichen Verbürgung entsprechenden Begriff der Religion zugrundezulegen.“10 Eine entsprechende Prüfung entfällt, wenn nach aktueller Lebenswirklichkeit, Kulturtradition und allgemeinem wie auch religionswissenschaftlichem Verständnis die betreffende Gemeinschaft unstrittig als eine Religionsgemeinschaft wahrgenommen wird.11 Diese Sichtweise erlangt gerade im Lichte der religiös-weltanschaulich pluralen Gesellschaften zunehmende Bedeutung.

      Merke: Kriterien zur Anerkennung als Religion/Religionsgemeinschaft:

      1. Ziel der Gemeinschaft ist wenigstens die partielle Pflege des religiösen oder weltanschaulichen Lebens ihrer Mitglieder.

      2. Unbestreitbarkeit der Wahrnehmung der Gemeinschaft als Religionsgemeinschaft nach der aktuellen Lebenswirklichkeit, Kulturtradition und dem allgemeinem wie auch dem religionswissenschaftlichem Verständnis.

      3. Aus verfassungsrechtlicher Sicht halten wir fest: Eine Religionsgemeinschaft ist unabhängig von einer bestimmten Rechtsform jede freie Gemeinschaft von Gläubigen, die durch ein gemeinsames oder verwandtes Glaubensbekenntnis verbunden sind und sich die allumfassende Erfüllung der sich aus dem Glaubensbekenntnis ergebenden Aufgaben zur Aufgabe gemacht hat.

      Aufgrund der Besonderheit des deutschen Staat-Kirche-Verhältnisses zwischen den Extremen von Staatskirche und Laizismus lohnt es sich dieses Rechtsgebiet zu erschließen. Und das beginnt mit der Definition und ihren historischen Wurzeln.

      Der Begriff „Staatskirchenrecht“ scheint in der deutschen Rechtssprache erstmals im Jahre 1855 verwendet worden zu sein.12 Das war die Zeit in Europa, als die Staaten nach dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 versucht haben ihr Verhältnis zur römischen Kirche auf ein neues Fundament zu stellen. Dabei standen sich zunächst die über Jahrhunderte tradierte kuriale Auffassung von der Superiorität der Kirche über den säkularen Staat und die staatswissenschaftliche Ideologie der Superiorität des Staates über die Kirche nahezu unversöhnlich gegenüber. Die erste Begegnung der katholischen Kirche mit einem auf Volkssouveränität gestützten demokratisch-republikanischen Staat wurde für die Kirche zu einem tief traumatischen Erlebnis. Daher erklären sich die von da an noch über 100 Jahre währenden Ressentiments gegen bürgerliche Gesellschaften.

      Der Terminus „Staatskirchenrecht“ beschreibt nach diesem überlieferten Verständnis, ganz allgemein und zugleich umfassend, jenen Teil des staatlichen Rechts, der sich mit Religion und Religionsgemeinschaften befasst.

      Staatskirchenrecht ist: „die Summe jener staatlichen Rechtsnormen (Gesetze, Verordnungen, Staatsverträge), welche Kirchen und Religionsgemeinschaften in ihrem Verhältnis zum Staat, untereinander und zum einzelnen Mitglied oder Nichtmitglied sowie die Rechtsstellung einzelner physischer und juristischer Personen unter dem Gesichtspunkt von Glaube, Gewissen und Weltanschauung betreffen.“13

      Der Begriff erscheint im Kontext der wachsenden religiösen Pluralisierung etwas einseitig. Zudem wird rein sprachlich der Eindruck erweckt, als seien Staat und Kirchen miteinander institutionell verwoben. Um die Weite und Neutralität des historisch überkommenen Begriffs zu erfassen14, bedarf es erläuternder Bemerkungen. Es geht nicht nur um die Beziehungen der Institutionen Staat und Kirche, sondern auch um die in den Menschenrechten und dem jeweiligen Verfassungsrecht wurzelnden Rechte der Religionsgemeinschaften und der einzelnen Gläubigen. Das Staatskirchen- und Religionsrecht behandelt also in umfassender Weise alles Kirchliche und Religiöse, das für die staatliche Rechtsordnung relevant ist.15 Auch wenn der Begriff damit nur einen Teil der tatsächlichen Wirklichkeit des rechtlichen Verhältnisses von Staat und Religion abbildet, ist er nach wie vor der üblicherweise verwendete Begriff und daher auch heute, trotz der veränderten Rahmenbedingungen, nicht obsolet. Freilich eignet er sich im religionspluralen Staat nur noch, wenn es um die rechtlichen Beziehungen zwischen dem Staat und den (christlichen) Kirchen geht, weil hier aufseiten der Religionen typische Verkirchlichungstendenzen begrifflich vorauszusetzen sind. Allein die Berufung auf den systemprägenden Charakter der Beziehungen zwischen dem Staat und den Kirchen16 vermag heute nicht mehr zu überzeugen.

      Der aus dem 19. Jahrhundert überlieferte und bis heute definitorisch verwendete, aber nicht mehr ideologisch belastete Begriff „Staatskirchenrecht“ insinuiert die soeben angesprochene Verwobenheit als eine Superiorität des Staates über die Kirche und wird daher bisweilen nicht als glücklich angesehen. Synonym kann dazu in der multireligiösen Gesellschaft auch der Begriff des „staatlichen Religionsrechts“ verwendet werden, den der Bochumer Jurist und zeitweilige nordrhein-westfälische Kultusminister Paul Mikat bereits 1980 in die wissenschaftliche Diskussion eingebracht hat.17 Dieser Begriff ist bisher aber (noch) eher weniger verbreitet, wird aber im Hinblick auf eine multireligiöse oder multiweltanschauliche Gesellschaft an Bedeutung gewinnen18 und scheint auch für den internationalen Dialog, z.B. das Religionsrecht in der EU betreffend, besser geeignet zu sein.19 Als weiterer Begriff taucht in der wissenschaftlichen Literatur der des „Religionsverfassungsrechts“ auf. Dieser unterscheidet sich von dem neutraleren des Religionsrechts durch die zumindest latente Ein- bzw. Unterordnung dieses Rechtsgebiets unter die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes.20 Das muss vor dem Hintergrund der Grundrechte der Art. 1-19 GG nicht negativ gesehen werden, weist aber auf eine weitere Tendenz hin, die dazu neigt, das gesamte Rechtsgebiet nur aus staatlicher Sicht zu betrachten. Geht man jedoch davon aus, dass es sich bei dem Staat und den Religionsgemeinschaften um jeweils autonome Entitäten handelt, greift dieser Begriff zu kurz. Daher wird das hier zu beschreibende Rechtsgebiet, wenn und insofern es nicht nur um die christlichen Konfessionen geht, besser mit Religionsrecht umschrieben.

      Der Begriff bleibt so weit, dass er für eine Fülle von religiösweltanschaulichen Auffassungen, die mehr oder weniger organisiert auftreten, anwendbar ist. Daneben muss man die Tatsache berücksichtigen, dass durch die Pluralisierung der Bekenntnisse in Deutschland Religionen und Weltanschauungen heimisch geworden sind, die keinerlei Verkirchlichungstendenzen aufweisen. Das gilt im Besonderen für den Islam und das Judentum. Daher ist die Etablierung des Begriffs Religionsrecht angemessen, wenn damit nicht eine dezidiert antichristliche Haltung verbunden ist. Dieser Begriff entspricht auch der Wortwahl in den religionsrechtlichen Artikeln des Grundgesetzes und der Weimarer Reichverfassung.

      Merke: Das Staatskirchen- und/oder Religionsrecht ist ein Teilgebiet des deutschen öffentlichen Rechts. Es umfasst die vom Staat erlassenen Gesetze und Verwaltungsvorschriften, die sich auf die Rechtsstellung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sowie deren Verhältnis zum Staat beziehen. Das Staatskirchenrecht ist nicht der Anwendung auf die in Deutschland etablierten Religionsgemeinschaften vorbehalten. Solange jedoch bewusst ist, dass durch den Gebrauch des Begriffs „Staatskirchenrecht“ nicht eine vorweggenommene Einordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche erreicht werden soll, sondern er als neutraler Begriff für eine juristische Disziplin verwendet wird, welche als einen Schwerpunkt das Verhältnis von Staat und Kirche zum Gegenstand hat, kann an diesem Begriff festgehalten werden.21

      Der Begriff Religionsrecht greift auf die Terminologie in den religionsrechtlichen Artikeln des Grundgesetzes zurück und eignet sich für die Diskussion der Rechtsbeziehung zwischen dem Staat und allen Religionen unbeachtlich seines historischen Herkommens.