Grundlegende europarechtliche Normen
Europarat | Europäische Union |
Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), von 1950 Art. 9: Religionsfreiheit (mit einem Gesetzesvorbehalt) Art. 14: Diskriminierungsverbot Zusatzprotokoll zur EMRK von 1952 zu Art. 2: Recht der Eltern auf religiöse Erziehung ihrer Kinder | Vertrag über die Europäische Union (EUV), in der Fassung des Vertrag von Lissabon von 2007, in Kraft seit 1.12.2009 Art. 6 I: Anerkennung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 10: Gedanken-, Gewis-sens- und Religionsfreiheit Art. 14 III: Recht der Eltern auf religiöse Erziehung ihrer Kinder Art. 21: Diskriminierungsverbot Art. 22: Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen |
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), in der Fassung des Vertrags von Lissabon Art. 10: Diskriminierungsverbot Art. 17 I: „Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedsstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht.“ Art. 17 III: „Die Union pflegt mit diesen Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog.“ Art. 19: Gesetzgebung gegen Diskriminierungen |
Das Sekundärrecht umfasst die Rechtsakte, die die Organe der Union in Ausübung ihrer Kompetenzen erlassen. Das sind Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen. Verordnungen gelten unmittelbar, Richtlinien sind hinsichtlich des Ziels verbindlich, bedürfen aber der Umsetzung in nationales Recht. Die EU kann nur tätig werden, soweit sie durch die primärrechtlichen Verträge dazu ermächtigt ist. Dabei gilt das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, wie am Gleichbehandlungsrecht deutlich wird. Die Regelungskompetenz in diesen Fragen ist der EU erstmals mit dem Vertrag von Amsterdam übertragen. Art. 19 AEUV (früher Art. 13 EGV) ist die Grundlage für den Erlass von Regelungen im Bereich des Gleichbehandlungsrechts, „um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen“. Wegen der Einbeziehung der Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist diese Norm von eminenter religionsrechtlicher Bedeutung. Zugleich handelt es sich dabei um eine Art Sammelbestimmung für alle denkbaren Formen von Ausgrenzung. Daher schließt die Formulierung von Art. 19 AEUV nicht aus, dass einzelne dort genannte Kriterien miteinander in Konkurrenz treten. Das erweist sich z.B. mit Blick auf das Ämtervergaberecht in der katholischen Kirche zunächst als nicht unproblematisch, wenn can. 1024 CIC den Empfang der Priesterweihe Männern vorbehält. Diese Norm ist für die katholischen Bischöfe und Diözesen als Rechtsträger nach nationalem Recht bindend. Hinsichtlich des Verhältnisses von Staat und Kirche beschränkt jedoch im Primärrecht Art. 17 Abs. 1 AEUV des sog. „Kirchenartikels“ die Kompetenz der EU, in dieses Verhältnis einzugreifen. Absatz 1 übernimmt den Wortlaut der sog. Amsterdamer Kirchenerklärung von 1997 (Erklärung Nr. 11 zur Schlussakte des Vertrages von Amsterdam). Er lautet: „Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen und beeinträchtigt ihn nicht.“ Damit erkennt die EU die Vielfalt der europäischen Staatskirchensysteme an und akzeptiert die grundsätzliche nationale Regelungskompetenz für das Verhältnis von Staat und Kirche.
Trotzdem sind Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht vor einer zumindest mittelbaren Einflussnahme durch EU-Gesetzgebung und die Rechtsprechung der europäischen Höchstgerichte geschützt. Die Nicht-Zuständigkeit der EU für das Religions- bzw. Staatskirchenrecht schaffte keinen europarechtsfreien Raum. Vielmehr sind Folgewirkungen der Ausübung bestehender Kompetenzen auf das Kirchen- und Staatskirchenrecht grundsätzlich möglich, etwa im Bereich des Datenschutz- oder des Antidiskriminierungsrechts. Die Kompetenzausübungsnorm des Art. 17 Abs. 1 AEUV bewirkt letztlich ein Rücksichtnahmegebot zugunsten des Patrimoniums der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, das sich in Ausnahmeklauseln konkretisieren kann. So enthält etwa die sog. Beschäftigungsrahmenrichtlinie (2000/78/EG), die Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung im Bereich Beschäftigung und Beruf verbietet, in Art. 4 Abs. 2 Ausnahmen für Tätigkeiten bei religiös-weltanschaulich geprägten Arbeitgebern. Auch im europäischen Datenschutzrecht finden sich in Art. 8 der »Datenschutzrichtlinie« (95/46/EG) Ausnahmevorschriften für Religionsgemeinschaften. Der dortige Abs. 2d findet Anwendung, wenn es um die Verarbeitung von Daten durch diese Gemeinschaften geht. Abs. 2 bezieht sich auf die Verarbeitung von religionsbezogenen Daten durch den Staat (Bsp.: Verwaltungsvoraussetzungen des Kirchensteuereinzugs).
Der sog. „Kirchenartikel“ im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union bringt zudem eine wichtige rechtliche Klarstellung hinsichtlich der Rolle von Kirchen und Religionsgemeinschaften im europäischen Institutionengefüge. Art. 17 Abs. 3 AEUV formuliert die institutionelle Anerkennung der Kirchen als gesellschaftliche Kraft, indem er festschreibt, dass die Union „mit diesen Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrag einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog pflegt.“ Freilich bleibt festzuhalten, dass diese Norm über den Grad einer selbstverpflichtenden Absichtserklärung zum Dialog nicht hinausreicht. Damit steht Art. 17 Abs. 3 AEUV jedoch im Gefüge der europarechtlichen Normen nicht allein.
Allgemein ist im Bereich des sekundären Europarechts zwischen ausschließlichen und nichtausschließlichen Kompetenzen zu unterscheiden. Daneben wird die EU in Bereichen, in denen ihr keine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zusteht, nur tätig, wenn die verfolgten Ziele auf Unionsebene besser erreicht werden können als auf nationaler Ebene (Subsidiaritätsprinzip).
3. Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften
Das Staats-Kirchen-Vertragsrecht (oder Vertragsstaatskirchenrecht) beinhaltet jenes Recht, das staatliche und kirchliche Autoritäten gemeinsam setzen, indem sie miteinander einen Vertrag schließen. Dieses Recht setzt voraus, dass Staat und Kirche(n) sich gegenseitig als souveräne Vertragsparteien anerkennen. Sie lassen erkennen, dass beide Entitäten die Absicht haben, sich berührende Interessen gemeinsam, dauerhaft und einvernehmlich zu regeln. Das Vertragsstaatskirchenrecht ist eine wichtige und weltweit verbreitete Quelle und eine Grundlage für die Ordnung der Verhältnisse von Staat und Kirchen. Das gilt nicht nur für Deutschland oder Länder deutscher Sprache.37
3.1 Historische Entwicklung des Staatskirchenvertragsrechts
Die Geschichte der Konkordate nimmt ihren Anfang zu Beginn des 12. Jahrhunderts. Es diente zunächst der Befriedung des fortdauernden Investiturstreits. Die Konkordate von London (1107) und vor allem das gut dokumentierte Wormser Konkordat (1122) sind zwar nicht der Form, aber der Sache nach die Vorreiter der folgenden Konkordate. Für Deutschland sind die Frankfurter Fürstenkonkordate (1447) für die Zeit bis zum Ende des alten Reiches (1803) und die Neuaufbrüche im 20. Jahrhundert mit dem Bayerischen (1924), dem Preußischen (1929), dem Badischen (1932) Konkordat und dem Reichskonkordat [nachfolgend kurz: RK]38 (193 3) für die vertragsrechtliche Gestaltung der gegenwärtigen Beziehungen von Staat und Kirche von dauerhafter Bedeutung.39 Nach dem Abschluss des Reichskonkordats trat in Deutschland im Hinblick auf den Abschluss von Staatskirchenverträgen, wegen der