Grundfragen des Staatskirchen- und Religionsrechts. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

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Издательство: Bookwire
Серия: Mainzer Beiträge zum Kirchen- und Religionsrecht
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783429062422
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Anspruch auf staatsbürgerlichen Gehorsam hatte. Die Katholiken waren nun zwischen Glaubenstreue und staatsbürgerlichem Gehorsam hin und her gerissen. Der Episkopat wurde durch diese Situation gedrängt, seine Verurteilung zurückzunehmen. Hitler sicherte der Kirche in seiner Regierungserklärung vom 27.2.1933 die Unantastbarkeit ihrer Rechte zu. Für Hitler war das Reichskonkordat 1933 ein weiterer Baustein für die Anerkennung durch die katholische Bevölkerung56 auf dem Weg zur Einigung der Nation im Einheitsstaat. Mit dem Konkordat verband Hitler die Hoffnung auf den Gewinn der katholischen Bevölkerung. Die Anerkennung Roms, in Form eines Reichskonkordates, sollte die Eingliederung der katholischen Volksteile erleichtern.57 Weiter versprach sich Hitler durch das RK „außenpolitischen Prestigegewinn“. Die Kirche war nun Verhandlungspartner des ansonsten außenpolitisch beargwöhnten Regimes. Das Reichskonkordat wurde aus kirchlicher Perspektive als concordatum defensionis abgeschlossen.58 Es ist aber im Verlauf der Zeit in der Bundesrepublik, als dem Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches zum concordatum amicabilis geworden. Die Frage, ob ein Vertrag, den die katholische Kirche mit einem diktatorischen Unrechtsregime geschlossen hat, überhaupt fortgelten könne, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Konkordatsurteil entschieden. Dort heißt es, dass das Reichskonkordat durch den Zusammenbruch der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft seine Geltung nicht verloren habe. Vertragspartner des Heiligen Stuhles sei das Deutsche Reich gewesen. Die Vertragsschließenden hätten eine Dauerregelung gewollt. Daher könne das von den Gegnern der Weitergeltung des Reichskonkordats vorgebrachte Argument, das Konkordat gelte nur für die Dauer des nationalsozialistischen Systems, nicht überzeugen. Wie das Gericht in seiner umfangreichen Urteilsbegründung ausgeführt hat, hatten die Konkordatsparteien weder an der völkerrechtlichen noch an der innerstaatlichen Gültigkeit des Reichskonkordats gezweifelt, auch wenn es von dem nationalsozialistischen Regime in zunehmendem Maße missachtet – und von der Kirche von Anfang an nicht als ein concordatum amicitiae, sondern als concordatum defensionis betrachtet worden sei.59

      Aufgrund der durch das Grundgesetz in Art. 30 konstituierten Kulturhoheit der Länder, gehören die Beziehungen zwischen Staat und Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Gesetzgebung und Verwaltung überwiegend zur Kompetenz der einzelnen Bundesländer. Dies gilt auch für das Konkordatsrecht. Aufgrund der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland und der in ihr begründeten Kulturhoheit der Länder ist jedes Bundesland zum Abschluss von Konkordaten mit dem Heiligen Stuhl und von Kirchenverträgen mit den evangelischen Landeskirchen und anderen Religionsgemeinschaften legitimiert. Von dieser Möglichkeit hat die Mehrzahl der Bundesländer einen regen Gebrauch gemacht. Dies hat dazu geführt, dass gegenwärtig in keinem Staat der Welt das Staatskirchenvertragsrecht in so starkem Maße entwickelt ist wie in der Bundesrepublik Deutschland.60 Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Religions- und Staatskirchenrechts sind im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland geregelt.61 Die Bestimmungen des Reichskonkordats gelten für den Bereich der gesamten Bundesrepublik Deutschland und für West-Berlin, sofern nicht in den vor dem Reichskonkordat abgeschlossenen Länderkonkordaten abweichende Regelungen enthalten sind oder die Länder nach Abschluss des Reichskonkordats in einzelnen Fällen aufgrund ihrer Kulturhoheit im Rahmen ihrer Zuständigkeit abweichende Vereinbarungen getroffen haben.

       Wichtige Regelungsgegenstände des Reichskonkordats, die weiterhin Geltung besitzen:

       Bekenntnisfreiheit und Freiheit der Religionsausübung (Art. 1)

       Fortbestand der Konkordate mit Bayern (1924), Preußen (1929) und Baden (1932) (Art. 2)

       freie Korrespondenz zwischen dem Heiligen Stuhl und allen deutschen Katholiken (Art. 4)

       Geistliche erhalten den gleichen Schutz des Staates wie Staatsbeamte (Art. 5)

       keine Zwangsvollstreckung in das Amtseinkommen der Geistlichen (Art. 8)

       Geistliche Kleidung darf nur von Geistlichen getragen werden. Strafen wie beim Missbrauch militärischer Uniformen (Art. 10)

       Kirchengemeinden und andere Kirchenorganisationen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts (Art. 13)

       Recht der Kirchen auf Erhebung von Kirchensteuern (Schlussprotokoll zu Art. 13)

       Treueeid der Bischöfe: „(…) Ich schwöre und verspreche die verfassungsmäßig gebildete Regierung zu achten und von meinem Klerus achten zu lassen (…)“ (Art. 16)

       Staatsleistungen an die Kirche können nur im Einvernehmen abgeschafft werden (Art. 18)

       Katholischer Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach (Art. 21)

       Katholische Religionslehrer dürfen nur mit Zustimmung des Bischofs eingestellt werden (Art. 22)

       Beibehaltung und Neueinrichtung katholischer Bekenntnisschulen (Art. 23)

       Garantie der Militärseelsorge (Art. 27)

       Schutz der katholischen Organisationen und Verbände und Ermöglichung des Gottesdienstbesuches (Art. 31)

       Keine Mitgliedschaft von Geistlichen und Ordensleuten in politischen Parteien und keine Tätigkeit für diese (Art. 32)

      Die Auflistung zeigt, dass die Regelungen des Reichskonkordats keine Probleme in einem religionsneutralen säkularen Verfassungsstaat aufwerfen. Viele der Bestimmungen können als Ausformung und Konkretisierung der Religionsfreiheit angesehen werden. Selbst weitreichende Zugeständnisse an die katholische Kirche werfen keine verfassungsrechtlichen Probleme auf, weil der Staat des Grundgesetzes hinsichtlich seiner Neutralität und Parität den Religionsgemeinschaften gegenüber sich für eine diese fördernde Haltung entschieden hat. Der einzige Punkt wäre hier, dass ein solcher Staat auch die Offenheit besitzen muss, mit anderen Religionsgemeinschaften vergleichbare Vereinbarungen zu treffen. Auch das hat in Deutschland mit den evangelischen Kirchenverträgen eine reiche Tradition. Hinzu kommen seit 1990 Verträge mit den jüdischen und einigen muslimischen Kultusgemeinden, deren Inhalte auf ähnliche, teilweise (Religionsunterricht) auch gleiche Regelungsmaterien ausgerichtet sind.

      22 Vgl. Stephan Hobe, Europarecht, Berlin 2002, 195-204.

      23 BVerfGE 6, 309, 346 f.

      24 „Niemand darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.“

      25 Vgl. Hans Jarass, Bodo Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, ‚München 132014, Art. 33 Rdn. 22.

      26 Vgl. Alexander Hollerbach, Staatskirchenrecht, (Fn. 16), 904-909.

      27 Vgl. Bodo Pieroth, Bernhard Schlinck, Thorsten Kingreen, Ralf Poscher (Hrsg.), Grundrechte Staatsrecht II, Heidelberg 302014, 121.

      28 Vgl. ebd. 121.

      29 Vgl. Christoph Degenhardt, Staatsrecht I Staatsorganisationsrecht. Mit Bezügen zum Europarecht, Heidelberg 302014, 201.

      30 Vgl. ebd. 182.

      31 Vgl. Bodo Pieroth, Bernhard Schlinck, Thorsten Kingreen, Ralf Poscher (Hrsg.), Grundrechte, (Fn. 27), 45-60.

      32 EuGH, 15.07.1964 – 6/64Rs. 6/64 Slg. 1964, 1251 – zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht, online: http://ig.cs.tuberlin.de/oldstatic/rs/EuGH/costa-enel1964.html (Zugriff: 2.9.2015).

      33 Vgl. Roland Bieber, Einleitung, in: Roland Bieber (Hrsg.), Europarecht. Textausgabe mit einer Einführung, Baden-Baden 232015, 9-16, 11f.

      34 Weiterführend dazu: Antje von Ungern-Sternberg, Religionsfreiheit in Europa, JE 86, Tübingen 2008, 43-75.

      35 Ebd. 79-86.

      36 Ebd. 75-79.

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