Schneefeuer. Kyra Dittmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kyra Dittmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783649631101
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zu lassen. »Ähem, ich möchte mich auf die Stallburschenstelle bewerben.« Meine Worte erschienen mir besonders piepsig und ich wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken.

      Die Frau runzelte kurz die Stirn, lächelte aber freundlich. »Soso«, sagte sie und sah mich interessiert an.

      Ich glaubte meine Tarnung schon verloren, doch sie öffnete die Tür weiter und bat mich herein. Sie trug eine weiße Schürze, die mit etlichen kleinen Flecken übersät war. Die Hausherrin – falls es überhaupt eine gab – war sie garantiert nicht.

      »Ich werde Herrn Kral Bescheid geben. Warte hier!« Sie drehte sich um, ging den Flur hinunter und verschwand hinter einer der Türen.

      Ich trat nervös von einem Fuß auf den anderen, während ich mich umsah. Der alte Holzboden war an einigen Stellen bereits abgewetzt, aber die hohen Decken ließen den langen Flur dennoch herrschaftlich wirken. Ölgemälde von Pferden in unterschiedlichen Jahreszeiten hingen an den Wänden. Fasziniert schaute ich mir die Bilder an. Im Sommer hatte der Maler die Bäume und Sträucher mit saftigen grünen Blättern gefüllt, sodass man keinen Ast mehr erkennen konnte, und das Gewicht der reifen Erntefrüchte zog die Zweige bis zum Boden. Der Herbst hingegen erstrahlte in allen Gold- und Rottönen, die die Farbpalette zu bieten hatte. Mit der Realität, die ich kannte, hatten diese Darstellungen nichts gemein. Solange ich zurückdenken konnte, war schon der Frühling ein Ereignis. Der Sommer hielt kaum Einzug, dann fielen die ersten Blätter bereits zu Boden. Und noch bevor der Wald in bunten Farben erstrahlen konnte, bedeckte der Schnee wieder die Bäume.

      »Herr Kral möchte dich sehen«, riss mich die Stimme der Frau aus meinen Betrachtungen.

      Ihre Worte hallten wie ein Echo in meinen Ohren, während ich in ihre Richtung ging. Obwohl sie mich aufmunternd anlächelte, sackte mein Mut mit jedem Schritt eine Etage tiefer.

      »Keine Angst. Er knurrt manchmal, aber er beißt nicht«, sagte sie leise, als ich an ihr vorbei ins Zimmer trat. Ich lächelte dankbar und sie zwinkerte mir zu.

      Hinter einem wuchtigen dunklen Eichenschreibtisch saß ein grauhaariger Mann mit kurz geschorenem Bart. Ich erkannte ihn sofort von dem Foto aus der Zeitung wieder. Seine eindrucksvolle Erscheinung vereinnahmte den ganzen Raum.

      »Na, mein Junge«, sagte er in etwas barschem Ton, doch um seine Augen herum konnte ich winzige Fältchen entdecken, die darauf hindeuteten, dass er in seinem bisherigen Leben das ein oder andere Mal gelacht hatte. Ich versuchte, mir meine Angst nicht anmerken zu lassen. »Du willst also als Stallbursche arbeiten?« Seine Frage klang belustigt.

      »Ja, Herr Kral.« Ich bemühte mich, eine gerade Haltung einzunehmen, damit ich etwas größer wirkte. Mir war klar, dass ich nicht durch meine Statur punkten würde. Seinem Blick nach zu urteilen, konnte Herr Kral sich nicht einmal vorstellen, dass ich überhaupt eine Heugabel halten konnte.

      Einen endlosen Moment lang schaute er mich nur an. Seine Augen hatten eine unergründliche dunkelbraune Farbe. Doch ich hielt seinem prüfenden Blick stand. Diese Masche hatte Novak schon etliche Male angewendet, mit reinem Niederstarren konnte mich niemand einschüchtern.

      »Ich kann zur Probe arbeiten«, schlug ich vor.

      Seine dichten Brauen zogen sich kaum merklich zusammen, es entging mir dennoch nicht. Er strich sich mit dem Zeigefinger über den Bart, als müsste er über meinen Vorschlag nachdenken. »Es ist so«, sagte er schließlich. »Außer dir haben sich noch ein paar andere Bewerber gemeldet …« Mein Herz klopfte gespannt. »… ihre Gehaltsvorstellungen hatten allerdings wenig mit ihrer Arbeitsleistung gemein. Probe arbeiten wollte keiner von ihnen.« Er kreuzte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. »Wie hoch ist dein Gehaltswunsch?«, fragte er.

      Hervorragend, dachte ich – denn darüber hatte ich mir in meiner Aufregung keine Gedanken gemacht. Ich rief mich zur Ruhe. Ma hatte mir immer geraten, ehrlich zu sein, und wenn ich mein Arbeitsverhältnis schon mit der größten Lüge aller Zeiten begann, sollte der Rest wenigstens der Wahrheit entsprechen, fand ich.

      »Ich brauche pro Monat so viel, wie ein Ballen Heu kostet«, antwortete ich mit fester Stimme. So sehr ich diesen Job brauchte, daran gab es nichts zu verhandeln.

      Herr Kral sah mich aufmerksam an.

      »Nicht mehr und nicht weniger«, fügte ich etwas leiser hinzu.

      Herr Kral erhob sich abrupt und ging zur Tür. Mein Herz sackte mir in die Hose. Jetzt hatte ich verloren!

      Mit unbewegter Miene drehte sich der Gutsherr zu mir um und hielt mir die Tür auf. »Morgen früh um sieben Uhr zum Probearbeiten.«

      Ich starrte ihn einen Augenblick lang ungläubig an, bevor der Sinn seiner Worte zu mir durchdrang. Dann nickte ich schnell. »Vielen Dank!«

      Obwohl ich mich enorm bremsen musste, um nicht laut aufzujauchzen, ließ ich mir nichts anmerken. Lange würde ich mich jedoch nicht zurückhalten können. Ich hatte es geschafft! Zumindest den ersten Schritt. Natürlich war es ein Test, aber ich würde alles daransetzen, um ihn zu bestehen!

      Meine Füße kribbelten, während ich den langen Gang hinunterging. Als ich hörte, wie sich die Tür hinter mir schloss, begann ich zu laufen. Ich konnte es kaum erwarten, ins Freie zu kommen. Schwungvoll riss ich die Eingangstür auf – und wäre fast mit jemandem zusammengestoßen. Nur wenige Zentimeter vor dem Gesicht meines Gegenübers bremste ich ab und blickte in zwei seltsam vertraute grüne Augen.

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       Kapitel 4

      Falsch gedacht!

      Ich hatte meinen Wecker auf fünf Uhr dreißig gestellt, doch ich wachte sogar noch vor dem ersten Klingeln auf. Wie ein gespitzter Pfeil schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass heute der entscheidende Tag war. Die erste Prüfung hatte ich bestanden. Was auch immer Herr Kral für einen Eindruck von mir gehabt hatte – mein Rollenspiel musste ihn überzeugt haben. Er hatte mich nicht rausgeworfen und ich durfte zur Probe arbeiten. Ich konnte es kaum erwarten! Eilig sprang ich aus dem Bett. Ich hatte genau eineinhalb Stunden Zeit, um mir die Zähne zu putzen, mich anzuziehen, die Stallarbeit zu erledigen und zum Kralshof zu reiten.

      So leise wie möglich schlich ich die Treppe hinunter. Trotz aller Vorsicht knarrte die vorletzte Stufe, sodass ich kurz innehielt und einen Wunsch zu den Sternen hinauf schickte: Hoffentlich wachte Novak nicht auf! Schließlich hatte ich niemandem gesagt, was ich vorhatte … Doch alles blieb still.

      Ich tastete mich im Dunkeln in die Küche und nahm genau wie gestern das übrig gebliebene Stück Brot vom Vortag mit. Das musste als Proviant ausreichen. Erst im Stall zündete ich eine kleine Lampe an. Dalibor hob erstaunt den Kopf und schnaubte leise. Normalerweise gab es die morgendliche Heuration erst eine Stunde später. Aber wenn alles gut ging, würde dieser Zeitplan ab sofort der Vergangenheit angehören. Ich mistete die Boxen aus, während die Pferde ihr Heu malmten, fegte die Stallgasse und fütterte die Schneehühner. Die restlichen Hausarbeiten würde ich in Zukunft am Abend erledigen müssen. Doch wenn ich Glück hatte und die Stelle bekam, konnte ich noch früh genug mit Novak darüber reden.

      Als ich Dalibors Fell gebürstet hatte und den Sattel auflegte, war es genau sechs Uhr dreißig. Blieb noch eine halbe Stunde für den Weg bis zum Kralshof – für den ich gestern mit dem Schlitten über eine Dreiviertelstunde gebraucht hatte. Aber Dalibor war schnell und ich hoffte, dass mich so früh am Morgen niemand beobachten würde. Ich führte mein Pferd ins Freie und schloss das Stalltor hinter mir. Am Horizont zeigte sich ein erster heller Streifen, der den Himmel sanft von der Erde trennte. In weniger als einer halben Stunde musste ich mein Ziel erreicht haben, lange bevor die Sonne ihre Strahlen über die Berge schicken würde.

      Ich streifte meine Reithandschuhe über und zog mich in den Sattel. Dalibor spitzte die Ohren und begann zu tänzeln. »Hey, langsam.« Ich klopfte ihm beruhigend den Hals. »Warte noch, bis wir vom Hof runter sind. Ich will nicht, dass uns jemand hört.«