Schneefeuer. Kyra Dittmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kyra Dittmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783649631101
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bei der Kälte draußen etwas Warmes in den Bauch zu bekommen. Hühnersuppe gab es bei uns zu Hause eher selten. Ich schlachtete grundsätzlich nur die alten Schneehennen, die zu schwach waren, um den Winter zu überstehen, und die schmeckten lange nicht so gut, weil sie nicht fett genug waren.

      Noch einmal stieß Bruno mich an, aber diesmal schob er ein Brett mit einem dunklen Brotlaib zu mir herüber. Das Messer ließ die Kruste knacken, bevor es in dem weichen Brot versank. Mir lief das Wasser im Mund zusammen, und ich konnte es einfach nicht ablehnen, obwohl ich bei jedem Bissen daran dachte, was ich dafür würde zahlen müssen.

      Nur heute, beschloss ich. Ausnahmsweise.

      Trotz meiner Vorsätze wanderte mein Blick immer wieder zu dem Jungen gegenüber, der sich so locker mit den anderen unterhielt, als würde er schon sein ganzes Leben lang hier arbeiten.

      »Hey, Kuba, reitest du Laska heute Nachmittag noch?«, fragte ihn plötzlich ein dünner, langer Kerl, den ich aufgrund seiner weißen Kleidung eindeutig als Küchenjungen einsortierte. »Ich würde sie zu gerne noch mal rennen sehen.«

      Mani, die neben ihm saß, stieß den Langen ebenso vorwurfsvoll an, wie Bruno es zuvor bei mir getan hatte. Er errötete, grinste aber. »Nach der Arbeit natürlich.«

      »Ach, komm schon, Mani«, warf der Gefragte ein. »Ich helfe dir auch nachher noch beim Kartoffelnschälen, dann kannst du Patrik eine halbe Stunde Auszeit gönnen.« Sein Lächeln war entwaffnend.

      Mani schmunzelte, aber Herr Kral am anderen Ende des Tisches räusperte sich. Sein strenger Blick war auf den Jungen mit den grünen Augen gerichtet und ich hielt gespannt die Luft an.

      »Kuba, du weißt, was ich dir gesagt habe.« Die Stimme des Gutsherrn klang trotz der mahnenden Worte unerwartet weich.

      »Sicher, Vater.« Ein Zwinkern stahl sich in die grünen Augen meines Gegenübers, und so langsam sickerte die Erkenntnis zu mir durch, dass er weder Stallbursche noch Küchenjunge sein konnte …

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       Kapitel 5

      Vorurteile

      Jakub Kral, genannt Kuba – ältester Sohn des Hofes, Anwärter auf den Prinzentitel und der höchstgehandelte Favorit des diesjährigen Eispferde-Rennens. Wieso war mir diese Verbindung nicht gleich aufgefallen? Ich musste den Löffel ablegen, um ein weiteres Mal zu verhindern, dass er in die Schüssel fiel.

      Meine Gefühle hätten nicht widersprüchlicher sein können.

      Einerseits hegte ich eine tiefe Abneigung gegen aufgeblasene Prinzenanwärter wie Jiri. Andererseits empfand ich so etwas wie Verehrung für Jakub Kral – er musste ein verdammt guter Reiter sein, wenn er als Favorit angepriesen wurde. Den Rest des Gesprächs bekam ich nicht mehr mit. Ich knabberte an meiner Brotkruste und versuchte, mich so unauffällig wie möglich zu verhalten. Was mir jedoch nur mäßig gelang.

      »Kein Wunder, dass du keine Muckis hast, wenn du wie ein Kaninchen an dem Brot herumnagst.«

      Als ich ertappt aufsah, grinste Bruno. Doch zum Glück erhob sich Herr Kral in diesem Moment und verabschiedete sich. Wie auf ein Zeichen verstummten alle und stellten ihre Schüsseln zusammen. Es war ein seltsamer Ablauf auf dem Kralshof. Das Verhältnis zwischen dem Gutsherrn und seinen Leuten schien besonders zu sein, denn das Mittagessen hatte mich eher an die Tischrunde einer Großfamilie erinnert. Auch wenn Herr Kral auf den ersten Blick etwas mürrisch und streng wirkte, hatte ich soeben vielleicht seine gütige Seite kennengelernt – je nachdem, wie viel mich dieses Essen kosten würde. Das musste ich unbedingt in Erfahrung bringen.

      Ich beeilte mich, noch vor Bruno zurück in den Stall zu kommen. Ein näheres Zusammentreffen mit Jakub Kral wollte ich vermeiden, obwohl ich meine Angst, dass er mich erkennen könnte, selbst lächerlich fand. Jemand wie er würde sich garantiert nicht an einen kurzen Augenblick am Fenster des Prinzenchalets erinnern! Der Sohn des Kralshofes hatte bestimmt jede Menge Verehrerinnen. In wenigen Wochen würde er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Prinzentitel verliehen bekommen, sein Name genoss ohnehin ein hohes Ansehen im Dorf, und er hatte genug Geld, um sich alles kaufen zu können, wovon er träumte. Ich war mir sicher, dass er wunschlos glücklich war und nicht über das Gesicht einer Unbekannten nachgrübelte.

      Um nicht tatenlos herumzustehen, bis ich neue Anweisungen bekam, griff ich nach einem Besen und fegte die Heureste zusammen, die von der morgendlichen Fütterung zurückgeblieben waren. Als Bruno endlich auftauchte, hatte ich die Hälfte schon geschafft.

      »Wenn du hier fertig bist, kannst du dir die Kammer ganz hinten links vornehmen. Das Sattelzeug muss geputzt werden. Ich stelle dir Seife und Lederfett bereit.«

      Ich nickte. »In Ordnung.«

      Insgeheim machte ich mir jedoch Sorgen. Wenn mein Job nur aus Misten, Fegen und Sättelputzen bestand, würde ich wohl nicht lange etwas zu tun haben und früher oder später wieder gefeuert werden – falls Herr Kral mich überhaupt einstellte. Denn obwohl niemand behaupten konnte, dass ich an meinem Probearbeitstag faul gewesen wäre, hatte ich doch Angst, dass sowohl Bruno als auch Herr Kral mir keine anderen Aufgaben zutrauten. Nur weil ich nicht so kräftig aussah, hieß das ja noch lange nicht, dass ich keine schwere Arbeit verrichten konnte. Ich musste dafür sorgen, dass ich es ihnen beweisen konnte!

      Während ich gedankenverloren die Stallgasse fegte, sah ich, wie Jakub Kral eine der Boxen betrat. Schnell wandte ich mich ab und arbeitete mich in die entgegengesetzte Richtung bis zu Dalibor vor. Mein Pferd stand dösend in einer Ecke der Box und blinzelte mir entgegen. Ganz ohne Frage genoss er die Vorzüge des Kralshofes.

      »Na, du Schlafmütze?« Ich grinste. »Gewöhn dich besser noch nicht zu schnell dran!«

      »Ist er neu hier?«, fragte eine Stimme neben mir.

      Ich drehte mich um und erschrak, als ich in zwei leuchtend grüne Augen blickte. Doch dann fiel mir auf, dass es gar nicht Jakub sein konnte, weil der Junge, der vor mir stand, mindestens zwei Köpfe kleiner als ich war. Ich hatte ihn vorhin beim Mittagessen nicht bemerkt. Er sah Jakub allerdings zum Verwechseln ähnlich und konnte demnach nur sein Bruder sein – obwohl seine Haare viel heller waren und in feinen Löckchen fast bis zu den Schultern fielen.

      »Ja, Dalibor ist genauso neu hier wie ich«, antwortete ich.

      »Ein sehr schönes Pferd.« Der Junge sah Dalibor prüfend an. »Endlich mal eines, das nicht bloß langweilig weiß ist.«

      Ich lächelte. Die Augen eines Kindes kannten noch keine Vorurteile.

      »Wie heißt du denn?«, fragte der Kleine weiter.

      Erst jetzt fiel mir auf, dass sich bisher nicht einmal Herr Kral dafür interessiert hatte. Seltsam! Ich zögerte mit der Antwort. Konnte ich mich durch meinen wahren Namen verraten?

      »Ash«, sagte ich schließlich. »Und du?« Mit klopfendem Herzen hielt ich ihm meine Faust entgegen – wie es die Jungs in der Schule immer gemacht hatten.

      Ein breites Zahnlücken-Grinsen zeigte sich in dem kindlichen Gesicht, als der Kleine seine Faust gegen meine schlug. »Milan.« Er strahlte mich an. »Sind wir jetzt Freunde?«

      Ich lächelte geheimnisvoll. »Wir mögen uns erst mal. Ob wir echte Freunde werden, die auch in schwierigen Situationen zusammenhalten, wird sich zeigen.«

      Milan nickte nachdenklich.

      »Jetzt muss ich aber meine Arbeit erledigen.« Ich boxte ihm sachte gegen die Schulter, bevor ich den Besen abstellte und mich auf den Weg in die Sattelkammer machte.

      Auf einem kleinen Tisch stand ein Tiegel Seife, daneben lagen ein Schwamm und ein altes Küchenhandtuch. Ein Eimer mit frischem Wasser und eine Dose mit Lederfett waren