Schneefeuer. Kyra Dittmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kyra Dittmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783649631101
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Was war mit den Heu- und Strohkosten? Ich konnte doch nichts dafür von meinem Lohn abzweigen! Zögerlich blieb ich mit der Hand am Riegel stehen. Als ich mich zu dem Gutsherrn umdrehte, stand mein Entschluss dennoch fest.

      »Ich kann mir das nicht leisten«, sagte ich. »Wenn Sie mich einstellen wollen, arbeite ich für den Preis von einem Ballen Heu im Monat, davon kann ich nichts abziehen. Ein warmer Stellplatz ist meinem Pferd nicht so wichtig wie das Raufutter.«

      Herr Kral lächelte nicht, aber in seinem Blick lag eine seltsame Regung, die ich nicht deuten konnte. »Für heute ist dieser Stellplatz umsonst. Alles Weitere werden wir nach deinem Probetag sehen.«

      Ich hätte gern weiter nachgefragt, aber ich wollte seine Geduld nicht herausfordern. »In Ordnung«, erwiderte ich leise, obwohl ich wusste, dass es das nicht war.

      Nachdem ich Dalibor abgesattelt hatte, stellte mich Herr Kral dem eigentlichen Stallburschen vor, zu dessen Unterstützung ich – hoffentlich – eingestellt werden sollte. Bruno war ein kräftiger kleiner Mann, bestimmt doppelt so breit wie ich, mit einem kantigen Gesicht. Seine Bartstoppeln ließen ihn verwegen wirken. Ich schätzte ihn auf beinahe siebzig und war mir sicher, dass sein Erfahrungsschatz mein Wissen über Pferde komplett in den Schatten stellte. Seinem skeptischen Blick nach traute er mir ebenso wenig zu wie Herr Kral. Wenn sie geahnt hätten, dass ich ein Mädchen war, wäre ihr Urteil noch vernichtender ausgefallen. Ich schluckte meinen Frust herunter.

      »Bruno wird dir weitere Anweisungen geben, wenn du mit dem Stallausmisten fertig bist. Wir sehen uns zum Mittagessen.«

      Zum Mittagessen? Ich verstand nicht so recht, was er damit meinte, aber der Gutsherr nickte mir noch einmal zu und verschwand, bevor ich fragen konnte. Na, dann … Ich schnappte mir eine Mistgabel samt Schubkarre und betrat die erste Box. Das Pferd sah mich neugierig an und verfolgte jede meiner Bewegungen mit größtem Interesse. Als ich fast fertig war, hatte es so weit Vertrauen zu mir gefasst, dass es geradezu übermütig an meiner Jacke knabberte. Ich straffte die Schultern, drehte mich zu ihm um und sagte laut und deutlich: »Nein!«

      Erst jetzt bemerkte ich Bruno, der vor der Box stand und sich offenbar köstlich amüsierte. Verunsichert sah ich ihn an. Als ein tiefes Lachen aus seiner Kehle kam, musste ich jedoch unwillkürlich mitgrinsen. »Was denn?«, fragte ich.

      »Du könntest ihn draußen anbinden, dann hättest du mehr Platz«, entgegnete er. »Hast du denn keine Angst, dass er dich tritt?«

      »Dass er mich tritt?«, wiederholte ich. »Wieso sollte er das tun?«

      Brunos Blick wurde ernster. Es schien, als überraschte ihn meine Frage. Dann nickte er, obwohl das wirklich keine passende Antwort war. »Es sind nicht alle hier so friedlich wie er, aber mach es, wie du willst.« Ein Lächeln huschte über seine Lippen, bevor er sich abwandte und mich wieder meiner Arbeit überließ.

      Während ich überlegte, ob er mich gerade ausgelacht hatte und sich vielleicht sogar freuen würde, wenn ich diesen Job nicht bekam, oder ob er nur nett sein wollte, sah ich mir den Schimmel genauer an. Mir war noch nie ein Pferd begegnet, das grundsätzlich böse war. Sicher konnte das Verhalten der Menschen auch aus einem zahmen Tier ein Monster machen. Jiris Moc zum Beispiel legte grundsätzlich die Ohren an, wenn man die Box betrat, aber er ließ sich auch ebenso schnell besänftigen, wenn er registrierte, dass nur ich es war. Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht, hatte Ma immer gesagt. Deshalb brachte ich jedem Pferd Vertrauen ohne Vorurteile entgegen. Ma hatte mich zudem gelehrt, dass fast alle Tiere diesen Vertrauensvorschuss zurückgaben.

      Ganz in Erinnerungen versunken, setzte ich meine Arbeit fort, bis auch die letzte Box ausgemistet war. Keines der Pferde hatte mich getreten. Warum auch?

      »Mittagspause«, brummte Bruno.

      Ich sah überrascht auf, als ich die Schubkarre beiseitestellte. War es schon so spät? Meinem knurrenden Magen nach zu urteilen, lautete die Antwort ganz klar: ja. Das trockene Stück Brot in meiner Satteltasche würde nur leider gegen meinen Hunger nicht viel helfen.

      Ich wollte gerade zu Dalibor in die Box gehen, als Bruno mir mit einem tadelnden Schnalzen auf die Schulter tippte. »Der Chef mag es nicht besonders, wenn man mit dreckigen Fingern am Tisch sitzt. Also wasch dir die Hände.«

      Ich sah ihn misstrauisch an. »Am Tisch?«

      »Wo sonst?«, erwiderte Bruno. »Oder willst du deine Suppe im Stall löffeln?«

      Ich hätte gerne gefragt, was er damit meinte, entschied mich aber dagegen. Weder Bruno noch Herr Kral schienen viele Worte zu mögen.

      Eilig schrubbte ich stattdessen meine Finger an dem kleinen Waschbecken in der Stallgasse mit Kernseife und trocknete die Hände an meiner Hose ab. Mit einem verlegenen Blick auf meine schmutzigen Sachen folgte ich Bruno bis zum Eingang des Gutshofes.

      Die Frau, die mich gestern empfangen hatte, hielt uns die Tür auf und verfolgte mit Argusaugen, wie Bruno seine Schuhe auszog. Ich tat es ihm schweigend nach. Auf dem Weg den Flur entlang – in Socken! – konnte ich mir eine Frage aber dennoch nicht verkneifen. »Wer ist sie eigentlich?«, flüsterte ich Bruno zu.

      »Mani, die Köchin«, antwortete er so laut, dass meine Neugier nicht geheim blieb. Als ich mich erschrocken umdrehte, lag ein Schmunzeln in Manis Gesicht.

      Ich fühlte meine Wangen erröten, obwohl ich nicht wusste, warum ich mich schämte. Vielleicht, weil Mani aussah wie eine Großmutter, die sich jedes Kind wünschte, und ich Sorge hatte, dass sie mir diesen Wunsch ansehen könnte. Ihre etwas zu üppigen Rundungen waren perfekt für eine tröstende Umarmung und in ihren Augen lag eine unergründliche Zuversicht.

      Ich hätte so gern eine Großmutter oder einen Großvater gehabt. Aber Mas Vater und Mutter waren lange vor meiner Geburt gestorben und auch Novak hatte keine Eltern mehr. Vielleicht war das ein Grund mehr gewesen, der Ma und meinen Stiefvater zu ihrer seltsamen Zweckgemeinschaft veranlasst hatte: Ma wollte nicht riskieren, ein uneheliches Kind zur Welt zu bringen, nachdem mein Vater tödlich verunglückt war, bevor sie heiraten konnten. Novaks erste Frau dagegen hatte die Geburt von Jiri und Julie nicht überlebt. Es war keine Liebe im Spiel gewesen, und das hatte sich auch in den fünfzehn Jahren, die sie zusammen verbracht hatten, nicht geändert. Doch solange Ma gelebt hatte, gab es so etwas wie einen Zusammenhalt unter uns. Erst nach ihrem Tod hatten sich Novak und meine Stiefgeschwister von mir abgewandt und ließen mich bei jeder Gelegenheit spüren, dass ich kein echtes Familienmitglied war.

      Ich setzte mich an den Tisch neben Bruno und verfolgte das Geschehen, unsicher, ob ich hierhergehörte. Aßen die Arbeiter immer im Haupthaus gemeinsam zu Mittag? Und – das Wichtigste – wie viel würde ich von meinem Lohn abgeben müssen, um diese Mahlzeit zu bezahlen? Ich rutschte unruhig auf dem Stuhl herum.

      »Sitz still!«, schalt mich Bruno. »Oder willst du das Kissen durchscheuern?«

      Ich schüttelte schnell den Kopf. Da fiel mir etwas – oder besser gesagt, jemand – auf: Genau gegenüber von mir saß der Junge, vor dem ich gestern nach unserm Beinahe-Zusammenstoß an der Haustür überstürzt geflohen war. Der Junge mit den grünen Augen! Hoffentlich konnte er sich nicht an unsere erste Begegnung am Prinzenchalet erinnern, wo ich ihn sekundenlang durch die Scheibe angestarrt hatte. Oder zumindest nicht an meinen langen Zopf … Mit unverhohlener Neugier sah er mich an. Sein Blick war mir unangenehm, weil ich bei jeder genaueren Betrachtung befürchtete, jemand könnte meine weiblichen Züge entdecken. Obwohl meine Figur sehr jungenhaft wirkte, hatte ich mir vorsorglich einen Verband um die Brust gewickelt, der mögliche Rundungen verbergen sollte.

      Ich schaute nervös zwischen meiner Schüssel, die Mani, die Köchin, gerade mit dampfender Suppe füllte, und dem Jungen auf der anderen Seite hin und her. Seine Kleidung ließ, soweit ich es erkennen konnte, keine Rückschlüsse auf die Art seiner Anstellung zu – er trug einen dunkelblauen Strickpullover, der so weich aussah, dass ich am liebsten mit den Fingern über die Wolle gestrichen hätte. Bruno stieß mich von der Seite an, dass mir beinahe der Löffel in die Suppe gefallen wäre. Sein mahnender Gesichtsausdruck verriet, dass ich den Jungen zu lange angestarrt hatte. Du lieber Himmel, ich musste wirklich vorsichtiger sein!

      Mit