Schneefeuer. Kyra Dittmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kyra Dittmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783649631101
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Geruch nach Leder und Pferden war. Mehrere teure Sättel hingen auf speziellen Vorrichtungen an den Wänden. Vorsichtig nahm ich den ersten herunter und legte ihn auf den Holzbock vor mir. Ich feuchtete eine Ecke des Küchenhandtuchs an und rieb damit über die harte Seife, bis kleine Schaumbläschen entstanden. Dann seifte ich das mattschwarze Leder ein, bis es feucht glänzte. Der Trick, damit das Leder schön weich blieb, war, die Seife nicht abzuspülen, sondern eintrocknen zu lassen.

      Als ich den Sattel behutsam zurückhängte, fiel mein Blick durch ein schmales Fenster, das auf die Reitbahn hinaus zeigte. Mehrere Leute standen am Zaun, der die Strecke eingrenzte. Es war eher eine Rennbahn als ein Reitplatz – was ziemlich ungewöhnlich in unserer Gegend war. Das große Rennen war zwar eines der wichtigsten Ereignisse des Landes, aber nur wenige Gestüte verfügten über den Besitz und die finanziellen Möglichkeiten, das Training auf einer eigens dafür angelegten Bahn durchzuführen. Überhaupt gingen die Meinungen zum Training der Pferde stark auseinander, weil es im Grunde ja nicht auf reine Geschwindigkeit ankam. Ich selbst war der festen Überzeugung, dass nur die Kombination von Schnelligkeit und Ausdauer den Weg zum Ziel ebnete. Deshalb trainierte ich mit Dalibor nicht nur auf unserer Sprintstrecke, sondern auch in unwegsamem Gelände – im Bewusstsein, dass weder er noch ich je die Chance auf eine Teilnahme am Rennen haben würde. Trotzdem war ich heimlich stolz darauf, dass er womöglich eines der am besten trainierten Pferde des Landes war. Was für eine Ironie! Aber wer keine Träume hat, stirbt noch zu Lebzeiten, hatte Ma schließlich immer gesagt.

      Ich hätte weiterarbeiten sollen, doch meine Neugier hielt mich zurück. Nur ganz kurz wollte ich sehen, worauf alle so gebannt warteten. Denn dass dort draußen gleich etwas Spannendes passieren würde, stand außer Frage. Sogar Bruno lehnte mit verschränkten Armen am Zaun und hatte offenbar jeglichen Arbeitseifer vergessen. Milan hockte auf einem der Zaunpfosten und auch Herr Kral stand in einiger Entfernung und beobachtete aufmerksam das Geschehen. Die anderen Leute kannte ich nicht, vielleicht irgendwelche Trainer, Bedienstete oder sogar Freunde der Familie.

      Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können. Das Fenster war im oberen Drittel der Wand eingelassen, sodass gerade genug Licht in die Sattelkammer fiel – es war definitiv nicht wegen der guten Aussicht gebaut worden. Vorsichtig stützte ich mich an einer der Sattelhalterungen ab, um einen sicheren Stand zu haben. Und dann entdeckte ich ihn: Jakub Kral … beziehungsweise sein Pferd: eine wunderschöne reinweiße Schimmelstute, eines der schönsten Eispferde, die ich je gesehen hatte. Mit tänzelndem Schritt betrat es die Bahn. Ich hatte keine Ahnung, ob die Bewunderung der Umstehenden mehr dem Pferd oder mehr seinem Reiter galt. Ich jedenfalls konnte mich nicht entscheiden, wen ich in diesem Moment beeindruckender fand.

      Ja, ich musste es vor mir selbst zugeben: Allein die Art, wie Jakub Kral im Sattel saß, gefiel mir. Er klebte förmlich auf dem Rücken der Stute und schwang bei jedem noch so ungestümen Sprung lässig mit. Seine Bewegungen gingen fließend in die Schritte des Pferdes über. Es war unverkennbar, dass sie gut zusammenpassten. Obwohl die Stute offenbar Temperament besaß, hielt Jakub die Zügel locker in den Händen. Immer wieder strich er ihr beruhigend über die Mähne, genau so, wie ich es bei Dalibor tat, wenn er mit seinen Gedanken wieder mal den Hufen drei Sprünge voraus war. Bruno schloss das Gatter der Rennbahn hinter der Stute und hob den Arm. In der anderen Hand hielt er eine Stoppuhr, wartete aber offenbar noch, bis der Reiter seine Startposition eingenommen hatte. Dann ließ er seinen Arm nach unten sausen, und ich konnte das Ticken des Zeigers förmlich hören, als die Stute ihren Körper streckte und pfeilschnell vorschoss. Kuba stand mit angewinkelten Knien in den Steigbügeln und hatte die Hände über dem Mähnenkamm vorgeschoben. Sein Körper schwebte perfekt ausbalanciert über dem Rücken der Stute, deren klar definierte Muskeln gleichmäßig arbeiteten. Mit aufgestellten Ohren flog sie über die Rennbahn, dass die feine Schneeschicht wie bei einem Wirbelsturm aufstob.

      Ich musste an die Reiter von vorgestern Morgen denken, an Jiri und seine Angeberfreunde. Obwohl sich das Bild ähnelte, war das Zusammenspiel zwischen Pferd und Mensch völlig verschieden. Jakub Kral liebte seine Stute, das konnte ich sofort sehen. An diesem Ritt war nichts Dominantes oder Forderndes. Sie legten die Strecke gemeinsam zurück, vielleicht sogar – ich musste unwillkürlich lächeln – im Gleichtakt ihrer Herzen. Ganz anders als Jiri und seine Freunde.

      Nach drei Runden schnellte Brunos Arm nach unten, er schrie Jakub etwas zu und alle applaudierten. Ich musste nicht hören, welche Zeit er genannt hatte, um zu wissen, dass sie gut war. Dieser Junge galt nicht umsonst als Favorit. Am langen Zügel ließ er die Stute noch eine Runde im Schritt gehen, während er ihr immer wieder lobend den Hals klopfte. Ich konnte meinen Blick nicht von den beiden losreißen.

      Als ich hinter mir ein Geräusch hörte, fühlte ich mich ertappt und fuhr erschrocken herum. Dabei stieß ich gegen den Sattel neben mir, der bedrohlich zu schwanken begann. Mein verzweifelter Versuch, das teure Stück vor dem Absturz zu bewahren, scheiterte jedoch, und der Sattel landete auf der Erde. Als ich sah, wer mich so erschreckt hatte, wollte ich am liebsten selbst im Boden versinken: Niemand anders als Herr Kral. Ich spürte das Blut aus meinen Wangen weichen. Oh nein! Ausgerechnet die Bewunderung für seinen Sohn würde mich jetzt den Job kosten. Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst.

      Herr Kral schwieg jedoch, bis ich mich zusammenriss und ihm ins Gesicht sah. Ich schluckte schwer und holte tief Luft. »Es tut mir leid«, sagte ich mit leiser Stimme. »Ich werde die Zeit heute Abend nachholen, genauso wie die Viertelstunde, die ich benötigt habe, um mein Pferd zu versorgen.« Nun senkte ich doch den Blick, weil ich fürchtete, die Verachtung in seinen Augen nicht ertragen zu können. »Ich … ich konnte mich von dem Anblick dieses Ritts einfach nicht losreißen.«

      »Niemand kann das«, erwiderte Herr Kral knapp. Ich sah vorsichtig auf. Er lächelte nicht, aber sein Gesichtsausdruck wirkte auch nicht so finster, wie ich erwartet hatte. »Außerdem ist noch genug zu tun.« Er drehte sich um und ließ mich stehen – ziemlich verunsichert, was genau er mir hatte sagen wollen. War das nun gut oder schlecht?

      Ich hob den Sattel auf und strich mit den Fingern über die Stelle, an der er den Boden gestreift hatte. Das Leder war ein winziges bisschen aufgeraut. Nicht viel, aber mit Sicherheit genug, um den Job gar nicht erst zu bekommen. Seufzend tunkte ich einen anderen Lappen in das Lederfett und rieb die raue Stelle dick ein. Ich wiederholte diesen Vorgang immer wieder und gefühlt hundert Mal, während ich die restlichen Sättel samt Gurten reinigte, die Satteldecken abbürstete, alles trocknen ließ und anschließend einfettete. Als ich mit allem fertig war, sah man zum Glück kaum noch etwas von der Abschürfung. Dass es draußen bereits zu dämmern begann, fiel mir erst auf, als ich den Lappen versehentlich wieder in die Seife tunkte.

      »Ach, Mist«, murmelte ich und rieb mit meinem Ärmel den Schaum ab.

      »Willst du dir noch ein Abendessen erschleichen oder hast du kein Zuhause?«, fragte Bruno hinter mir belustigt.

      Ich wollte am liebsten beides mit Ja beantworten, schüttelte aber nur den Kopf. »Ich arbeite etwas länger, um die verlorene Zeit für die Versorgung meines Pferdes heute Morgen wieder aufzuholen, und …« Ich geriet ins Stottern. »… und als Ausgleich für das üppige Mittagessen, das ich mir nicht leisten kann«, endete ich leise. Dass Herr Kral mich dabei erwischt hatte, wie ich Jakub zugesehen hatte, statt zu arbeiten, verschwieg ich lieber.

      Bruno sah mich erst lange an und ließ seinen Blick dann aufmerksam durch die Sattelkammer gleiten. »Hast du alle Sättel geputzt?« Seine Frage klang etwas misstrauisch.

      Schon wieder wusste ich nicht, woran ich war. Empfand er die benötigte Zeit als zu lang, oder glaubte er mir schlichtweg nicht, dass ich es geschafft hatte, wirklich alle Sättel zu putzen?

      »Ich bin gleich fertig«, sagte ich.

      Bruno fixierte mich noch einen Moment. »Das Mittagessen auf dem Kralshof solltest du nicht ausschlagen.« Mit diesen Worten verließ er die Sattelkammer, ohne meine Arbeit weiter zu kommentieren.

      Vor lauter Verwirrung hätte ich heulen können. Durfte ich morgen nun überhaupt wiederkommen?

      Als wenig später erneut die Tür aufging, hätte ich am liebsten kapituliert, meine Sachen weggeräumt und Hals über Kopf den Hof verlassen. Stattdessen