Schneefeuer. Kyra Dittmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kyra Dittmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783649631101
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Doch dann bemerkte ich die anderen Jungs hinter ihm, und mir dämmerte, dass ich genau vor dem Prinzenchalet stand – eine Art Jugendclub, in dem sich die Prinzenanwärter trafen. Die Mädchen zog es automatisch ebenfalls dorthin, denn jede wollte sich in der Nähe der umschwärmten Jungs aufhalten, mit ihnen reden oder wenigstens einen Blick auf sie werfen, um von einem Tanz im Ballsaal zu träumen. Ganz besonders Julie, Krystina und Zuzana.

      Mir wurde ganz flau im Bauch bei dem Gedanken, dass ich womöglich einem der zukünftigen Prinzen in die Augen gesehen hatte. Allerdings weniger, weil ich diese Tatsache so aufregend fand, sondern vielmehr, weil ich eine innere Abneigung gegen Jungs wie Jiri hegte. Da konnte dieser Typ noch so grüne Augen haben! So sehr ich immer schon von der Teilnahme am großen Rennen geträumt hatte, so wenig wollte ich etwas mit einem der Prinzenanwärter zu tun haben. Ich drehte mich abrupt weg und beeilte mich, meine Einkäufe zu erledigen. Ich hatte wirklich genug zu tun.

      Als ich mit vollen Körben zurück zum Kutschplatz ging, sah ich Julie und die anderen Mädchen gerade in Terezas Schneiderei verschwinden. Schnell verstaute ich die Einkäufe auf der Ladefläche und zurrte die Riemen fest.

      »Pass gut auf unsere Sachen auf, Lancelot!« Ich klopfte dem alten Wallach auf sein etwas zu knochiges Hinterteil. »Vielleicht habe ich Glück und finde einen Job, von dem ich auch dir ein bisschen extra Heu kaufen kann.«

      Lancelot schnaufte leise und ich machte mich auf den Weg zur Vermittlungsstelle. Fast alle Stellenangebote liefen über diese Zentrale. Das kleine Büro am Rande des Dorfes war brechend voll. Ich konnte kaum die Tür öffnen, ohne gegen einen der Wartenden zu stoßen. Bei der Bandbreite an unterschiedlichen Menschen, die hier vor dem großen Tresen an der gegenüberliegenden Seite des Raumes anstanden, musste doch eigentlich für jeden das Richtige dabei sein, dachte ich. Große, kräftige Kerle waren ebenso vertreten wie kleine, schmächtige Männchen, die schon auf den ersten Blick nach Büroarbeit aussahen. Auch Frauen jeden Alters waren darunter: strenge Hauswirtschafterinnen, mollige Köchinnen, zarte Näherinnen, Hebammen, die ordentlich zupacken konnten, und Putzfrauen, die ihre Haare mit einem Tuch zurückgebunden hatten. Ich musste beinahe schmunzeln, so treffsicher hätte ich sagen können, wer welche Art Job suchte.

      Auf der anderen Seite des Tresens saßen drei Frauen mittleren Alters, die die Schlange der Reihe nach abarbeiteten. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich so weit vorgerückt war, dass ich mitbekam, wie der Ablauf war. Nach eingehender Befragung, endlosem Kopfschütteln und grimmigen Blicken händigten die Frauen jedem Arbeitssuchenden einen Bogen mit einer Liste weiterer Fragen aus.

      Meine Nervosität stieg. Was, wenn ich den Anforderungen nicht gerecht wurde? Jeder, der seinen Zettel ausgefüllt hatte, steckte ihn in einen kleinen grünen Kasten mitten auf dem Tresen. Die Menschen verließen die Vermittlungsstelle ohne Ausnahme mit deprimiertem Gesichtausdruck.

      Als ich an der Reihe war, lächelte ich höflich. »Guten Tag, ich suche dringend …«

      »Das tun sie alle«, unterbrach mich die Frau auf der anderen Seite des Tisches. Mit der riesigen Brille, die ihre Augen stark vergrößerte, wirkte sie wie ein großes Insekt. »In den fünf Jahren, die ich hier arbeite, hat noch nie jemand auf Anhieb eine Stelle gefunden.«

      »Oh, mir ist es ganz egal, was ich mache«, sagte ich schnell. »Hauptsache …«

      »Natürlich, Schätzchen, aber den Arbeitgebern ist es nicht egal, wer bei ihnen anfängt. Jeder eignet sich für etwas Bestimmtes. Die Kunst liegt darin, zwei zu finden, die zusammenpassen.«

      Ich sah sie erwartungsvoll an, doch sie drückte mir nur ein Blatt Papier in die Hand.

      »Sie haben mich noch gar nichts gefragt«, erinnerte ich sie.

      Die Frau lächelte milde. »Zu jung, zu unerfahren und vor allem zu zart gebaut. Die Chancen stehen ehrlich gesagt nicht besonders gut.«

      »Oh …« Ich nickte niedergeschlagen und nahm den Bogen entgegen.

      Als ich etwa eine halbe Stunde später meinen Fragebogen in die grüne Kiste steckte, hatte sich mein Mut verflüchtigt wie eine Schneeflocke im Frühling. Die Frau hatte vermutlich recht, die Aussichten, dass ich hier einen Job finden würde, waren unterirdisch. Mit hängendem Kopf schlich ich die Straße entlang. Ich hatte so große Erwartungen in die Vermittlungsstelle gesetzt. Und ich hatte keinen Plan, was ich jetzt machen sollte.

      Neben mir flog eine Tür auf und dröhnendes Gelächter drang mitsamt einer Qualmwolke aus dem Haus. Ich hustete und wollte mich gerade abwenden, als ich Kalle zwischen den Männern in der Kneipe ausmachte. Der Schmied war ein Raubein erster Güte, aber ein Mann mit Herz. Er war mein Freund, seit ich als kleines Mädchen schon die Hufe angehoben hatte, wenn er zum Beschlagen auf den Sturmhof gekommen war. Ich musste daran denken, wie er mich immer gelobt hatte für mein Fingerspitzengefühl im Umgang mit den Pferden.

      Und da hatte ich eine Eingebung.

      Ich änderte die Richtung und steuerte auf den Eingang zu. Die verwunderten Blicke der Männer ignorierte ich ebenso wie die dummen Bemerkungen.

      »Na, suchst du deinen Papa?«

      Ich bahnte mir einen Weg durch die Menge zu Kalle und tippte ihm auf den Arm. »Hey, Kalle, du könntest doch bestimmt jemanden gebrauchen, der dir beim Beschlagen hilft, oder?«, fragte ich voller Hoffnung. »Einen, der die Pferde festhält oder das Werkzeug säubert …?«

      Kalle sah mich fragend an. »Sag bloß, dein Bruder sucht Arbeit.«

      Ich schüttelte energisch den Kopf. »Nein! Ich wollte …«

      Schallendes Gelächter ertönte um mich herum.

      »Der Pimpf hat ja noch nicht mal den Stimmbruch hinter sich.« Der Dicke hielt mich offenbar für einen Jungen. Zwar sah ich in meinen einfachen Klamotten sicher nicht aus wie die anderen Mädchen, aber meine langen, zum Zopf gebundenen Haare hätten zumindest ein eindeutiger Hinweis sein müssen. Vielleicht waren sie auch unter meinen Schal gerutscht, aber es ärgerte mich trotzdem.

      Ich atmete einmal tief durch und wollte zu einem weiteren Versuch ansetzen, doch ein kräftiger Schlag auf den Rücken ließ mir die Worte im Hals stecken bleiben.

      »Vielleicht findest du ja eine Stelle auf einem Gutshof. Bestimmt wird irgendwo jemand gesucht, der als Windstopper zwischen die Ritzen passt.« Die Männer lachten erneut.

      Ich kniff die Augen zusammen und fixierte den Kerl, dessen ledrige Haut an einen alten Stiefel erinnerte.

      »Lass sie in Ruhe, Kremp! Ašleah ist ein Mädchen und sie sucht ganz bestimmt keine Arbeit im Stall. Und bei mir in der Schmiede …« Kalle lächelte mich bedauernd an und mein Herz sackte ab. »… tut mir leid, aber das geht wirklich nicht. Frag doch mal bei Magda in der Küche.«

      Ich warf einen letzten Blick in die grinsenden Gesichter um mich herum und nickte langsam.

      Zögerlich drückte ich mich zwischen den Stühlen hindurch und wollte gerade an die Küchentür klopfen, als sie von innen aufgestoßen wurde.

      »Verschwinde, Betty! Ich habe ohnehin zu viele Leute in der Küche, die ich nicht bezahlen kann!«

      Die Tür fiel scheppernd wieder ins Schloss und eine hagere junge Frau drehte sich zu mir um. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn.

      »Drecksladen!«, sagte sie zu mir. »Ich habe sowieso keine Lust mehr, noch drei weitere Monate auf mein Geld zu warten.«

      Sie stapfte zur Tür hinaus, ohne sich noch einmal umzuwenden. Und vermutlich war das auch das Beste, was ich tun konnte.

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      Dalibors Schnauben begrüßte mich. Ich hatte Lancelot ausgespannt und in seine Box gebracht, Julie war mit ihren Schätzen im Wohnzimmer verschwunden. Leise öffnete ich den Riegel und schlüpfte in Dalibors Box. Novak musste nicht alles mitbekommen. Ein Pferd war seiner Meinung nach zum Arbeiten da und Reiten erfüllte auch nur den Zweck der Fortbewegung – mehr nicht. Dass ich Dalibor