Schneefeuer. Kyra Dittmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kyra Dittmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783649631101
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gerade noch so geduldet.

      Ich hatte Novak gesagt, dass ich zum Markt fahren würde, woraufhin ich prompt diverse Aufträge erhalten hatte, die erledigt werden mussten. Plötzlich flog die Tür auf, die vom Waschraum in den Stall führte. »Warte, ich komme mit!«, rief Julie.

      »Du willst mit zum Einkaufen?«, fragte ich überrascht. Ich war ziemlich sicher, dass ihr Vorschlag kein Hilfsangebot sein sollte, und machte mir prompt Sorgen, dass sie meine Pläne durchkreuzen könnte.

      »Die Schneiderin stellt heute ihre neuen Stoffe für den Prinzenball vor, und ich werde nicht warten, bis mir eines der anderen Mädchen den schönsten weggeschnappt hat.« Julie ignorierte meinen genervten Blick. Ihre Wangen leuchteten rosa unter der gleichfarbigen Pudelmütze hervor. Sie trug eine ebenfalls rosa glitzernde Wolljacke und silberne Schneeboots. Bestimmt hatte sie Novak um Geld für ein Kleid angebettelt, und ich würde wetten, dass er ihr, ohne zu murren, etwas gegeben hatte. Julie bekam immer, was sie wollte.

      Ergeben nickte ich. Mir blieb sowieso nichts anderes übrig. »In Ordnung.«

      Hoffentlich würde ich sie im Dorf möglichst schnell wieder loswerden, damit ich all meine Vorhaben umsetzen konnte! Ich kletterte auf den Kutschbock und half ihr hoch, um mir wenigstens ihre Nörgeleien zu ersparen.

      Doch kaum war sie oben, ging es auch schon los: »Uff, ist das unbequem!« Sie verdrehte die Augen, als sie neben mir auf die Sitzbank plumpste. Unbequem war eines ihrer Lieblingswörter. In Julies Welt war so ziemlich alles unbequem, jegliche Art von Arbeit ebenso wie die kleinste körperliche Anstrengung, die nichts mit Posieren für ein Foto zu tun hatte.

      Ich schnalzte mit der Zunge und Lancelot trabte los. Der Weg ins Dorf dauerte eine knappe Viertelstunde, in der ich gerne vor mich hinträumte und die Ruhe der verschneiten Felder um mich her genoss. Das Land des ewigen Schnees hatte einen seltsamen Charme. Einerseits liebte ich die trotzige Kälte, das Knistern der Eisflächen und die Stille, in der man jeden noch so leisen Schritt wahrnahm; andererseits wusste ich genau, welche Gefahren sich dahinter verbargen. Der Schnee war ein gefährlicher Freund, der sich jederzeit gegen einen wenden konnte. Man durfte ihm niemals vertrauen.

      »Wie hältst du das nur aus?«, fragte Julie nach wenigen Minuten gereizt.

      »Was denn?«, erwiderte ich irritiert.

      »Na, dieses öde Geschaukel.« Sie rieb ihre dicken Fäustlinge aneinander, obwohl ich mir kaum vorstellen konnte, dass sie darin fror. Meine Fingerspitzen kribbelten bereits von der Kälte, aber öde war diese Fahrt allenfalls wegen Julie.

      »Ich komme jede Woche zweimal hier entlang«, klärte ich sie auf. »Ich bin es also nicht anders gewohnt.« Offenbar hatte sie bisher nicht bemerkt, wie oft ich ins Dorf fuhr und vor allem für sie Einkäufe und Besorgungen erledigte.

      »Wenigstens ein Polster hätte ich mir mitnehmen sollen. Ich bekomme bestimmt blaue Flecken von den Schlaglöchern auf dieser holprigen Strecke.«

      Verwundert suchte ich die glatte Schneedecke nach Bodendellen ab.

      »Jiri hat erzählt, dass heute ein Treffen im Prinzenchalet stattfindet. Bestimmt sind dort eine Menge gut aussehender Jungs!«, plapperte Julie weiter. Ich warf ihr einen Seitenblick zu. Sie konnte innerhalb von Sekunden das Thema wechseln, ohne auch nur einen Gedanken an den vorherigen Satz zu verschwenden. »Würdest du nicht auch gerne mal mit einem Prinzen tanzen?«

      Ich schnaubte und schüttelte den Kopf. »Nein, wirklich nicht.« Mir reichten Julies ausführliche Berichte über Probleme mit Jungs völlig aus. Ich war mir sicher, dass ich nichts weniger in meinem Leben brauchte als Liebeskummer. Und die Prinzenanwärter fand ich sowieso durchweg unsympathisch.

      »Du bist echt seltsam«, kommentierte meine Stiefschwester. In ihren Augen war ein Leben ohne Jungs vermutlich noch öder als eine Schlittenfahrt.

      Ich zuckte mit den Schultern. Sollte sie denken, was sie wollte. Julie hatte zwar alles, was sie brauchte, aber sie wusste dennoch nicht, was ihr fehlte. Um nichts auf der Welt hätte ich einen Ausritt mit Dalibor gegen eines ihrer Kleider getauscht. Und der Tanz mit einem der »Prinzen«, wie die arroganten Typen genannt wurden, die für das Eispferde-Rennen nominiert waren, rangierte noch weiter unten auf meiner Wunschliste.

      Als ich die ersten Dächer der Häuser hinter dem Schneewall auftauchen sah, atmete ich erleichtert auf. »Soll ich dich direkt bei der Schneiderin absetzen?«, fragte ich hoffnungsvoll.

      »Nein, ich komme erst mit zum Markt. Vielleicht finde ich dort ein paar schicke Accessoires, bevor ich mich unter die Konkurrenz mische.« Sie kicherte.

      Ich unterdrückte ein Stöhnen und lenkte Lancelot in Richtung Kutschplatz.

      »Wo willst du hin?«, rief Julie aufgebracht. »Du glaubst doch nicht, dass ich den ganzen Weg bis zum Marktplatz laufe! Wenn die Pailletten an meinen Boots schmutzig werden, sind die Schuhe komplett ruiniert.«

      Ich warf einen Blick auf ihre lächerlich unpraktischen Stiefel. »Also, mitten auf dem Markt kann ich nicht stehen bleiben.«

      »Was?« Julie sah mich verständnislos an. »Hey, da sind Krystina und Zuzana. Warte mal!«

      Julie rief lauthals nach ihren Freundinnen. Dann sprang sie eilig vom Wagen und ich musste Lancelot abrupt zum Stehen bringen, sonst wäre sie vermutlich der Länge nach hingefallen. Ihre Schuhproblematik hatte sie offenbar schon wieder vergessen. Die beiden anderen Mädchen kreischten erfreut auf, als sie sie erblickten, was – angesichts ihrer Konkurrenz um die Gunst der Prinzenanwärter – in meinen Augen die reinste Ironie war. Trotzdem fiel Julie ihnen unter quietschenden Begeisterungsrufen um den Hals, als sie die beiden erreichte. Mich hingegen würdigte sie keines Blickes mehr. Aber alles war mir lieber als ihr ständiges Geplapper. Außerdem musste ich mich beeilen, immerhin wusste ich nicht genau, wie lange sie bleiben wollte. Und selbstverständlich würde sie erwarten, dass ich sie später bei der Schneiderin wieder abholte.

      »Tschüss, Julie«, murmelte ich leise, während ich Lancelot antrieb. Schnaubend setzte sich der Wallach in Bewegung, schüttelte seine lange Mähne und trabte fröhlich zum Kutschplatz. Bestimmt war er genauso erleichtert wie ich, dass wir sie endlich los waren.

      Ich lockerte die Riemen und stellte Lancelot einen kleinen Eimer mit Hafer hin. Dann machte ich mich auf den Weg zum Markt.

      Die große Turmuhr neben der Kapelle zeigte bereits kurz vor elf und das halbe Dorf war auf den Beinen. Heute war Markttag, das bedeutete eifriges Rangeln und Feilschen um die frische Ware. Wegen der schlechten Ernte waren die Preise gestiegen – Novak hatte leider recht – und die Händler nutzten die Not der Menschen schamlos aus.

      Am ersten Stand kostete ein Winterapfel so viel wie sonst ein ganzes Kilo, obwohl die rote Schale bereits einige braune Stellen zeigte. Sie eigneten sich mehr als Futteräpfel, aber ich hatte leider nicht genug Geld, um den Pferden welche zu kaufen. Ich seufzte. Dalibor würde in Zukunft auf seine Leckereien verzichten müssen. Ich musste froh sein, wenn ich das Heu bezahlen konnte.

      Ich hielt nach günstigeren Angeboten Ausschau. Ein paar Stände weiter gab es noch etwas schrumpeligere Äpfel – dafür zum halben Preis. Ich kramte meine letzten Ersparnisse hervor und kaufte zwei. Als ich die kostbare Errungenschaft in meinem Korb verstauen wollte, rempelte mich jemand so heftig von hinten an, dass einer der beiden Äpfel zu Boden fiel und zwischen den Füßen der anderen Marktbesucher davonkullerte. Ich bückte mich und versuchte, ihn einzuholen, doch er wurde immer wieder ein Stück weiter getreten, bis er gegen eine Hauswand prallte. Als ich ihn endlich aufhob, sah er äußerst unappetitlich aus – selbst für ein Pferd.

      »Mist!«, murmelte ich und fast kamen mir die Tränen. Ich schluckte, hob den Kopf und … schaute in zwei strahlend grüne Augen. Irritiert blinzelte ich.

      Ich stand direkt vor einem Fenster, von der anderen Seite der Scheibe aus blickte mich ein Junge an. Er hatte ohne Zweifel die schönsten Augen, die ich je gesehen hatte. Das kräftige Grün erinnerte mich an den Frühling. Etwas Rastloses lag in seinem Blick. Er lächelte nicht, aber er wandte sich auch nicht ab, sondern starrte mich genauso neugierig an wie