»Du fändest es besser, wenn ich Jungs hinterherstarren würde?«, fragte ich kühl.
»Ich erwarte, dass du dich an die Regeln hältst, nicht reitest und nicht dauernd im Pferdestall bei diesem Bastard von Gaul rumhängst.«
Jiri grinste breit.
Ich presste die Lippen aufeinander. Unabhängig davon, dass ich die Einzige in unserer Pseudofamilie war, die ganz sicher nicht rumhing, hatte Novak kein Recht dazu, Dalibor zu beleidigen. Keines der anderen Pferde in unserem Stall – Jiris reinrassiges Eispferd Moc eingeschlossen – hatte Dalibors Klasse. Seine Eleganz und Ausdauer waren einzigartig.
»Eine edle Abstammung ist leider keine Garantie für einen edlen Charakter«, sagte ich, mühsam beherrscht. »Weder bei Pferden noch bei Menschen.« Ich drehte mich um und stürmte aus der Küche. Die Tür fiel etwas zu laut hinter mir ins Schloss, und obwohl ich wusste, dass es Ärger geben würde, bereute ich kein einziges Wort. Ich rannte die Treppe hinauf in mein kleines Dachzimmer und verschloss die Tür hinter mir.
Es dauerte nicht lange und ich hörte schwere Schritte auf den Stufen. Meine Familie kam selten zu mir hoch, niemand hatte Lust, sich die schmale Treppe hinauf ins Dachgeschoss zu zwängen, nur um mich zu besuchen. Umso wichtiger musste der Grund diesmal sein.
Jemand rüttelte an der Klinke. Ich rutschte aus dem alten Hängesessel, den ich so vor dem Fenster unter der Dachschräge befestigt hatte, dass ich einen einmaligen Ausblick auf das schneebedeckte Land hatte. Bei gutem Wetter konnte ich bis zum Ende der weiten Ebene sehen, hinter der die Klippen steil in den Abgrund stürzten.
»Mach die Tür auf, Ash!« Novaks Stimme klang ärgerlich.
Ich drehte den Schlüssel im Schloss herum und öffnete einen Spaltbreit. Doch mein Stiefvater schob sich mit grimmigem Brummen ins Zimmer.
»Wir waren noch nicht fertig mit unserer Unterhaltung.«
»Nein? Ich wusste nicht, dass es etwas zu besprechen gab …«
»Dann hör mir zu. Die Ernte ist in den letzten beiden Jahren mager ausgefallen. Wie du weißt, gab es keinen Sieger bei den letzten Rennen, und wir müssen auf die Reserven der Gewächshäuser zurückgreifen.«
Ich runzelte die Stirn. Was sollte das? Jeder wusste, dass die Rennen in den letzten Jahren nicht erfolgreich gewesen waren. Denn erst wenn der Sieger mit einer Blüte des Schneefeuers zurückkehrte, entfaltete sich die Magie der seltenen Blume, die nur an der Grenze zum Tal des Frühlings wuchs und den Schnee in unserem Land zum Schmelzen brachte, sodass der Boden zu fruchtbarem Leben erwachte. Nach der Ernte setzten die Stürme wieder ein und Eis und Frost umschlossen die Dörfer und Höfe. Nach und nach versank das Land des ewigen Schnees wieder unter der weißen Decke, die ihm seinen Namen verliehen hatte.
»Auch die Heupreise sind teurer geworden. Wenn du nichts dazuverdienst, kann ich Dalibor nicht länger mit durchfüttern«, fuhr Novak fort.
»Wie meinst du das?«, stotterte ich, obwohl es eigentlich sonnenklar war.
Novak straffte seine Schultern, wodurch er ein wenig zu wachsen schien – was unter den niedrigen Dachschrägen natürlich kaum möglich war. »Wenn du nicht ab sofort jeden Monat für seine Ration bezahlst, werde ich Dalibor verkaufen.«
Seine Worte schlugen mir wie eine Ohrfeige ins Gesicht. Meine Wangen brannten, obwohl er mich nicht berührt hatte, und mein Hals war so eng, dass keine Worte hindurch kamen. Er wusste genau, dass mir die anfallenden Arbeiten auf unserem Hof keine Zeit ließen, einen bezahlten Job anzunehmen. Da Jiri und Julie nicht mithalfen und Novak sein Amt als Richter ausübte, musste ich alles allein erledigen. Hilflos schüttelte ich den Kopf.
Doch Novak zuckte nur mit den Schultern. »Vielleicht hast du ja Glück und findest unter den Anzeigen eine Putzstelle im Dorf.« Er warf die Tageszeitung auf mein Bett.
Erst als er sich abgewandt hatte und schon halb wieder auf der Treppe war, löste sich meine Schockstarre. »Das kannst du nicht machen!«, stieß ich hervor. »Du hast Ma versprochen, dass ich Dalibor behalten darf.«
Novak hielt inne. Es dauerte einen Moment, bis er sich wieder zu mir umdrehte, doch die Kälte, die in seinem Blick lag, sagte alles. »Die Zeiten ändern sich«, erwiderte er nur und stieg die schmalen Stufen hinunter.
Ich starrte ihm hinterher, auch als er längst verschwunden war. Immer noch konnte ich nicht glauben, was er gerade angedroht hatte. Er wusste, wie viel mir Dalibor bedeutete – und dass die Putzstellen im Dorf sehr begehrt bei den ärmeren Familien und dementsprechend rar waren. Nicht, dass ich mir zu fein dafür gewesen wäre, aber seine Forderung war ebenso gehässig wie aussichtslos. Mit Tränen in den Augen schloss ich meine Zimmertür wieder und ließ mich aufs Bett fallen. Meine Hände zitterten, als ich die Zeitung aufschlug und die Stellenanzeigen überflog. Die meisten Jobs erforderten eine Ausbildung, die Novak niemals bezahlen würde. Eine Putzfrau suchte natürlich keiner. Mein Blick fiel auf den Artikel über das große Rennen.
»Eine Frage der Ehre«, lautete die Überschrift. Und obwohl ich wusste, dass ich danach nur noch trauriger sein würde, konnte ich nicht anders und las weiter.
»Als größter Favorit des Rennens wird in diesem Jahr Jakub Kral gehandelt. Der älteste Sohn des Kralshofs kann hervorragende Trainingszeiten vorweisen, und die reinrassigen Eispferde, die die Familie in langer Tradition züchtet, haben bereits in früheren Jahren mehrere Siege errungen.« Diesen Teil hatte Jiri natürlich nicht vorgelesen. »Da in den beiden vergangenen Jahren keiner der Prinzen das Schneefeuer heimgebracht hat, legt die gesamte Bevölkerung ihre Hoffnung in das diesjährige Rennen.«
Darunter war ein Foto von einem grauhaarigen Mann zu sehen, der etwa in Novaks Alter sein musste. Im Hintergrund war ein hübsches weißes Haus mit rotem Ziegeldach zu erkennen. Neben dem Bild stand klein gedruckt: »Die Reserven sind langsam aufgebraucht, unsere Ressourcen werden knapper. Ein Sieg ist in diesem März so wertvoll wie noch nie, und wir bauen darauf, dass Jakub unserer Familie Ehre bringen wird.« Der Mann musste Herr Kral sein. Ich hatte schon viel von ihm gehört, weil er ein bekannter Pferdezüchter war, doch begegnet war ich ihm nie.
Plötzlich fiel mein Blick auf einen kleinen Kasten unter dem Artikel: »Der Kralshof sucht vor dem Eispferde-Rennen einen tatkräftigen Stallburschen zur Unterstützung.« Es folgte die Adresse des Hofes.
Frustriert warf ich die Zeitung zu Boden und betrachtete das Foto auf meinem Nachttisch, das Mas lachendes Gesicht zeigte. Es wäre die perfekte Stelle für mich gewesen. Wenn die Sache nicht einen Haken gehabt hätte: Der Kralshof suchte einen Stallburschen – aber ich war nun mal ein Mädchen.
Kapitel 2
Nichts für Mädchen
Ich legte Lancelot das Schlittengeschirr um den Hals und verspannte die Riemen. Der alte Wallach war ein dunkelbrauner Kaltblut-Mix, mit Sicherheit das geduldigste Kutschpferd der Welt und neben Dalibor das einzige Pferd auf dem Sturmhof, das keine reine Abstammungslinie vorzuweisen hatte. Sein freudiges Schnauben, als ich das Tor öffnete und frischer Wind in den Stall hineinwehte, entlockte mir trotz meines Kummers ein Lächeln. Lancelot liebte seinen Job und konnte enorme Kräfte aufbringen. Selbst wenn die langen Behänge an seinen Beinen mit dicken Eiszapfen verzottelt waren, zog er den kleinen Einspänner noch im Trab den Berg hinauf.
»Ich weiß, Dalibor, ich wünschte auch, es wäre anders. Aber immerhin sind wir heute Morgen schon gemeinsam unterwegs gewesen.« Ich kitzelte mein Pferd zur Aufmunterung an den Nüstern, weil es mich wie immer etwas beleidigt ansah, wenn ich