Ellen. Carolin Schairer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carolin Schairer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783897419964
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Teil hat. Metallicblau, mit Kamera, eines der neuesten Nokia-Modelle! Das muss ja ein Vermögen gekostet haben.«

      »Das ist ein Firmenhandy«, klärte Lukas mit vollen Backen auf. »Nina ist doch jetzt wichtig.«

      »Ich habe es ja gesagt: Das ist total kapitalistisch!« krähte Marga triumphierend.

      Mark gab Nina das Handy zurück. Mit mulmigem Gefühl schaute sie auf die Anrufliste – und erstarrte. Ellen McGills Name leuchtete ihr wie ein Warnsignal entgegen.

      Was wollte die Frau an einem Samstag von ihr?

      Sie beschloss, den Anruf zu ignorieren. Missmutig legte sie das Handy zurück in die Tasche und versuchte es zu vergessen, doch ihr Milchkaffee wollte ihr nun nicht mehr recht schmecken. Als gleich darauf auch noch ein SMS kam mit der Nachricht, es sei eine Nachricht auf ihrer Mobilbox eingelangt, ließ sie ihr schlechtes Gewissen sie nicht mehr los. Sie stand auf und ging in Richtung Toilette, um die Nachricht abzuhören. Ellens Message auf der Mobilbox war kurz und eindeutig.

      »Rufen Sie mich an. Sofort.«

      Mit zittrigen Händen drückte sie Ellens Nummer. Ellen McGill hob sofort ab – so, als hätte sie auf Ninas Rückruf gewartet. Es gab kein Wort der Begrüßung.

      »Where are you?«

      »Ich … äh … in einem Lokal«, stotterte Nina und fühlte, wie sich ihr Puls sofort beschleunigte.

      »Didn’t you read your e-mails?«

      Nina war sich keiner Schuld bewusst. Natürlich hatte sie am Freitag um 18 Uhr, als sie LENOPHARM verlassen hatte, noch ihre Mails gecheckt. Kein einziges hatte eine Dringlichkeit, die einen Samstagsanruf rechtfertigte.

      Sie versuchte Ellen McGill dies zu erklären und war sich ihres stümperhaften Englischs dabei völlig bewusst.

      Ellen McGill antwortete auf Deutsch. »Ich meine nicht das Mail vom Freitag. Es ist heute gekommen, in der Früh. Checken Sie Ihre Mails nicht regelmäßig?«

      »Am Samstag? Da bin ich doch gar nicht im Büro«, erwiderte Nina fassungslos. War diese Frau von Sinnen?

      »Haben Sie kein home-office?« Das Entsetzen der gesamten Welt lag in Ellen McGills Stimme.

      »Nein.«

      »Ändern Sie das. Und kommen Sie jetzt ins Büro. Sofort. «

      Noch vor einer Woche hätte Nina es für einen schlechten Scherz gehalten, am Samstag im Büro erscheinen zu müssen. Doch McGills Stimme klang alles andere als scherzhaft.

      »Ich … äh … habe keine Zugangsberechtigung für Wochenenden.« Das waren Brauners Worte gewesen, als er ihr den Eintrittschip für den Haupteingang nach Vertragsunterzeichnung überreicht hatte. »Ich komme heute nicht rein.«

      »Natürlich kommen Sie herein«, erklärte Ellen kurz angebunden. »Ich werde Ihnen die Türe öffnen. – Ich erwarte Sie in spätestens einer halben Stunde.«

      Wie im Trance ging Nina zurück an den Tisch.

      »Ich muss weg.«

      Die Köpfe flogen nach oben. Erstaunte Blicke.

      »Wohin denn?«, fragte Lukas erstaunt.

      »Ins Büro.«

      Nina begann ihren Mantel anzuziehen und ihre Tasche unter dem Stuhl herauszufischen. Sie warf einen letzten Blick auf das angebissene Croissant auf ihrem Teller. Freilich hätte sie es einpacken können, doch der Appetit war ihr vergangen.

      »Was, jetzt am Samstag?«, fragte Sonja irritiert. »Das kann doch nicht wahr sein. Zahlen die dir dann wenigstens, wenn du jetzt kommst?«

      »Ich bin pauschaliert«, erwiderte Nina lahm. Sie erwartete nicht, dass ihre Freunde sie verstanden. Sie verstand sich ja selbst nicht. Warum versuchte sie nicht einmal, gegenüber dieser Frau Widerstand zu leisten?

      »Ich habe es doch gewusst!,« krähte Marga triumphierend. »Das ist ein total kapitalistische Sys-täääm, diese Pharmakon-zärn!«

      Sie zog einen gewagten Vergleich zum Dasein der Feldsklaven in den amerikanischen Südstaaten zu Beginn des 19. Jahrhunderts, doch Nina war mit einem kurzen Abschiedsgruß bereits verschwunden.

      Stolze fünfundzwanzig Minuten später stand sie vor dem Firmengebäude. Ellen McGill wartete bereits in der Eingangshalle. Sie telefonierte auf dem Handy, als sie Nina einließ. Während sie mit dem Lift ins obere Stockwerk fuhren, erläuterte McGill einem unbekannten Anrufer auf Deutsch die Vorzüge von Reroxin und die Schwachstellen der in THE LANCET publizierten Studie. Sie tat dies sehr professionell und wirkte am Telefon so freundlich, wie sie Nina noch nie zuvor erlebt hatte.

      Nina musterte Ellen verstohlen. Sie trug einen jener extravagant geschnittenen Anzüge, die Nina an ihr bei jedem Zusammentreffen auf das Neue bewunderte, und sah aus wie an einem ganz gewöhnlichen Bürotag. In ihr keimte der Verdacht auf, dass Ellen McGill den Samstag möglicherweise als ganz normalen Bürotag betrachtete.

      In ihrem Büro angekommen, hatte Ellen den Anrufer verabschiedet und fiel in jenen wenig freundlichen Tonfall zurück, an den Nina sich nie gewöhnen wollte.

      Auf Englisch informierte sie Nina: Dorina Eisenfuss, eine Größe der Wiener Kabarettszene, war in der Nacht von Freitag auf Samstag einem Nierenleiden erlegen. Ungünstigerweise war sie zuvor mit Reroxin behandelt worden, was ihr behandelnder Hausarzt gegenüber der Presse in einem Nebensatz geäußert hatte. Unter dem Eindruck der eben publizierten Studie war dies ein Köder, den die Medien mit Begeisterung aufgegriffen hatten.

      »Seit acht Uhr morgens beantworte ich Journalistenanrufe«, sagte Ellen McGill. »Das ist nicht meine Aufgabe. Aber von Ihrer Seite kam keine Reaktion.«

      »Ent…entschuldigung«, stammelte Nina. »Ich wusste das nicht.«

      »Es ist aus meiner Sicht die Aufgabe der PR-Abteilung, Radio und Fernsehen täglich zu verfolgen. Es wurde bereits um sieben Uhr früh gesendet, dass Dorina Eisenfuss tot ist.«

      Nina schwieg betreten. Sie wagte nicht zuzugeben, dass Lukas und sie nicht einmal einen Fernseher besaßen.

      Die nächsten Stunden verbrachte sie damit, das Pressestatement möglichst auswendig zu lernen und den Fragen- und-Antworten-Katalog zu studieren. Außerdem schickte ihr Ellen McGill alle zehn Minuten weitere Materialien über die Wirkweise von Antibiotika sowie bereits früher veröffentlichte, positiv ausgefallene Studien zu Reroxin. Nina blätterte darin, verstand aber mangels Hintergrundwissen weniger, als Ellen McGill von ihr zu erwarten schien.

      Es riefen noch weitere drei Journalisten an, die alle von Ellen mit Informationen versorgt wurden. Nina war froh darum. Sie traute sich nicht zu, irgendwelche Fragen zu Antibiotika im Allgemeinen und Reroxin im Besonderen zu beantworten.

      Der vierte und letzte Anruf traf um zehn vor sechs Uhr abends ein. Ellen McGill befand sich gerade in Ninas Büro. Sie hatte ihr einen Stapel mit Kopien auf den Tisch gelegt – weitere Studien zu Reroxin, die Nina lesen sollte. Ellen McGill warf einen kurzen Blick auf das Display ihres Handys.

      »Das ist die Nummer der größten Yellow-Press-Zeitung in diesem Land«, informierte sie Nina. »Listen and learn!«

      Sie nahm den Anruf entgegen und schaltete den Lautsprecher ein. Nina hörte mit wachsendem Entsetzen die provokativen Fragen des Journalisten, die ganz klar darauf abzielten, LENOPHARM die Schuld am Tod von Dorina Eisenfuss in die Schuhe zu schieben, und sie verfolgte Ellen McGills sachliche und geschickte Antworten auf diese Frage. Jasna Milics Satz kam ihr in Erinnerung: In dir hat Nina sicher jemanden, der ihr Starthilfe gibt. – Und Ellen McGills Erwiderung darauf: I don’t know much about PR.

      Ellen McGill trat soeben den Gegenbeweis zu ihrer eigenen Aussage an. Trotz aller Furcht, die sie vor ihr empfand, konnte Nina eine leichte Bewunderung für sie nicht verhehlen. Dieses Gefühl verflog jedoch rasch, als Ellen schließlich geendet hatte und sie mit strengem Blick fixierte. »Tomorrow, that is your job! I won’t call any journalists.«

      Nina wurde blass. Sie sollte morgen selbst mit